Förderungen
Rückkehr ins Rheinland
Die zehn Männer scheinen heftig zu diskutieren. Im Scheinwerferlicht der Bühne geben sich die befrackten Herren aufgeregt, dann nachdenklich, dann gestikulieren sie wieder wild durcheinander, ehe sie ihre Köpfe konspirativ über den grünbezogenen Konferenztisch beugen. Mit seinem 1932 in Paris uraufgeführten Tanzdrama „Der Grüne Tisch“ wurde Kurt Jooss (1901–1979) über Nacht berühmt. In der stilprägenden Verbindung von klassischen und modernen Elementen entfaltete der Choreograph und Tänzer einen bittersüßen „Totentanz in acht Bildern“; bis heute wird sein Stück in Theatern weltweit aufgeführt. Mit der Gründung der Folkwang-Bühne 1928 in Essen legte der gebürtige Schwabe den Grundstein für die Durchsetzung und Ausformung eines neuen Tanztheaters. Seit der Uraufführung seines Anti-Kriegs-Balletts als einer der innovativsten Köpfe der internationalen Szene bekannt, kehrte der emigrierte Pädagoge 1949 ins Rheinland zurück, um seine Arbeit an der Folkwang-Schule, unter anderem als Lehrer von Pina Bausch, wieder aufzunehmen. Dem Deutschen Tanzarchiv in Köln ist es nun gelungen, ein bedeutendes Teilarchiv des erfolgreichen Tanzkünstlers zu erwerben. Anfang der 1970er Jahre hatte Jooss selbst das umfangreiche Material – darunter persönliche Manuskripte, Korrespondenzen, Notenschriften, Bühnenzeichnungen und Fotografien bedeutender Ateliers der 1920er und 1930er Jahre – für die Erarbeitung seiner Biographie und einer Ausstellung nach Stockholm geschickt, wo es verblieb. Die vom Künstler ausgewählten Dokumente zeichnen nicht nur ein umfassendes Bild seines Wirkens als Tänzer, Choreograph und Pädagoge, sondern ermöglichen darüber hinaus wertvolle Einblicke in die Kultur- und Tanzgeschichte jener Zeit. Befindet sich der umfangreiche Nachlass Jooss’ seit 2002 im Kölner Tanzarchiv, ist die glückliche Wiedervereinigung jahrzehntelang getrennter Bestände nicht nur für das Deutsche Tanzarchiv ein wahrer Glücksfall, sondern wird auch die Tanzforschung enorm bereichern.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Kunststiftung NRW
Mann aus Marmor
Die in Versalien gemeißelte Inschrift annonciert den Porträtierten: Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und einer der Leitfiguren des europäischen Klassizismus. Rom war die ästhetische Inspirationsquelle, Wahlheimat des Gelehrten und der Entstehungsort der Skulptur: Im Auftrag des bayerischen Kronprinzen Ludwig (I.) von Salvatore de Carlis (1785 bis nach 1839) realisiert, gehörte die Büste zu den ersten Kunstwerken, welche die geplante Walhalla schmücken sollten. 1812 nach München gelangt, fand sie ihre Aufstellung bis 1837 im sogenannten Saal der Neueren der 1830 vollendeten Glyptothek, um danach in eine der Wittelsbacher Privatresidenzen überführt zu werden. So erzählt die Geschichte ihrer Aufbewahrungsorte vom Bedeutungswandel der Skulptur und dem Schicksal eines nur kurz vom Glanz fürstlicher Patronage begünstigten Künstlers. Den vom Kronprinzen präzise formulierten Auftrag hatte de Carlis gewissenhaft erfüllt: Aus Carrara-Marmor gefertigt, „ohne aller Costume in einer einfachen gerade vor sich hin sehenden Richtung“, in einer von Winckelmanns wahrscheinlich berühmtestem Zitat inspirierten „stillen ruhigen Seelengröße“. Dabei hatte de Carlis eine entscheidende Schwierigkeit zu überwinden: ein posthumes Bildnis eines ihm Unbekannten anzufertigen. Eine Porträtähnlichkeit war angesichts der seit dem Tod des Vorbilds vergangenen Zeit nicht zu erwarten; für die heutigen Betrachter stellt sich daher die Frage nach dem Bild, das sich die Nachwelt von Winckelmann machte. Dieser Frage kann nun in den Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek, München, nachgegangen werden, denn die Büste kehrt aus dem Kunsthandel an ihren ersten Ausstellungsort zurück.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Freistaat Bayern
Tanz der Masken
Aus großen Augenringen blicken sie dem Besucher entgegen – mythische Wesen aus der Welt der Pflanzen und Tiere: In der Ozeanien-Ausstellung des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig zeugen wertvolle Tanzmasken von der Kultur der Baining, einer Bevölkerungsgruppe der Gazelle-Halbinsel von Neu-Britannien im Bismarck-Archipel. Die äußerst aufwendig hergestellten und nahezu modern gestalteten Masken traten zu besonderen Feierlichkeiten auf, die dem Erhalt des Gleichgewichtes zwischen der Jenseitigen und der Welt der Menschen dienten. Nur den Männern war es erlaubt, solche Masken herzustellen und damit aufzutreten; üblicherweise wurden die Masken nach einmaligem Gebrauch zerstört. Die Leipziger Masken wurden mehrheitlich 1913 von Phoebe Parkinson erworben, der Witwe des Plantagenbesitzers und Ethnologen Richard Parkinson. Jedoch hatten die Ereignisse des letzten Jahrhunderts deutliche Spuren an den empfindlichen Materialien hinterlassen, so dass die Stücke nicht mehr gezeigt werden konnten. Dank des Restaurierungsbündnisses „Kunst auf Lager“ konnten nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder sechs der wertvollen Tanzmasken umfassend restauriert werden. Frisch gereinigt, mit Ergänzungen aus speziell bearbeitetem Rindenbaststoff / Tapa und mit den wieder stabilisierten Unterbauten aus Rattan kommen die charakteristischen geometrischen Muster mit ihren feinen schwarz-roten Linien nun wieder intensiv zur Geltung. So ist die einzigartige Wirkung dieser auch für die Kunstgeschichte so wichtigen Masken in der Dauerausstellung des Grassi Museums wieder erlebbar.
Schads Schattenbild
Mystisch abstrakt formieren sich in einem kristallen anmutenden Rahmen dunkle Gebilde, scheinen sich geometrischen Figuren anzunähern, nur um aufzubrechen, sich zu zergliedern und schließlich der vollständigen Gegenstandslosigkeit zu erliegen: Das Fotogramm des Künstlers Christian Schad (1894 –1984), entstanden 1919, kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges, steht für die radikale Abkehr von der Gegenständlichkeit in der Kunst. Teil der später durch den Dadaisten Tristan Tzara als Schadographien bezeichneten künstlerischen Experimente mit Fotopapier, verbildlicht die Schattenkomposition eine – so Schad – „Auflehnung gegen alles was bis dahin Bedeutung hatte“.
Zuvor setzte man das Fotogramm – eine fotografische Technik ohne Kamera, die lediglich auf dem Zusammenspiel von Licht, Fotopapier und mehr oder weniger lichtdurchlässigen Objekten basiert – vorrangig in der Naturwissenschaft ein, um etwa die feingliedrige Struktur von Pflanzenblättern zu dokumentieren. Vom Abstraktionspotenzial fasziniert, erhob Schad das Verfahren zur künstlerischen Ausdrucksform und schuf aus Papierschnipseln und Fundstücken scherenschnittartige Schattenbilder wie die Schadographie Nr. 11. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder erwarb die Stadt Aschaffenburg das guterhaltene Werk nun für das im Entstehen begriffene Christian Schad Museum und bringt im Zuge dessen erstmals eine solch frühe Schadographie in den Besitz einer deutschen Institution.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ernst von Siemens Kunststiftung, Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken, Kurt Gerd Kunkel-Stiftung Aschaffenburg, Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau
Schleiertanz
Für die Wissenschaftler der Kunsthalle Mannheim war es ein überraschendes, ein elektrisierendes Wiedersehen mit einer alten Bekannten – fast 80 Jahre waren seit ihrem Verschwinden vergangen: Das Akt-Aquarell „Frau mit Schleier“, das in einem Londoner Auktionskatalog wieder auftauchte, war seit 1922 eines der graphischen Glanzstücke des Museums gewesen. Beschlagnahmt von den Nationalsozialisten in der Aktion „Entartete Kunst“ – der insgesamt 170 Gemälde und Skulpturen sowie 500 Graphiken der renommierten Mannheimer Avantgarde-Sammlung zum Opfer fielen –, verlor sich ab 1937 die Spur des frühen Dix-Werkes. Die „Tänzerin“ balanciert zwischen Verismus und Vision: Das Aquarell markiert einen ersten künstlerischen Höhepunkt im frühen Schaffen Otto Dix’ – so erweist sich der 1918 aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrte Maler hier bereits als Virtuose der Farbschleier und extrem dünnen Farbüberlagerungen. Vor einem abstrakten, zwischen gelb-grün und purpur-violett changierenden Hintergrund posiert eine weibliche Figur, deren Körper ein halbtransparenter Spitzenschleier umspielt. Ungewöhnlich unbestimmt ist der Charakter des großformatigen Zeugnisses der „Neuen Sachlichkeit“: Die Aktfigur scheint Dix – Zeichner des großstädtischen Lebens und zeitgenössischer Milieustudien – einem Varieté, gar einer erotischen Postkarte entnommen zu haben. Doch die Schleiertänzerin wirkt wie eine aus dem kräftigen Kolorit entstiegene, beinah geisterhafte Vision. Der Stadt Mannheim gelang es, das Aquarell noch vor der Versteigerung direkt aus italienischem Privatbesitz zu erwerben. Die Papierarbeit, die noch bis Januar 2016 in der Ausstellung „Arche. Meisterwerke der Sammlung“ präsentiert wird, schließt nun eine der schmerzhaften Lücken, die der nationalsozialistische Bildersturm in der Kunsthalle Mannheim hinterließ.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung
Heimgekehrte Verkündigung
Ergriffen sinkt Maria auf die Knie, die Arme schützend vor ihrer Brust: Gerade eröffnete ihr Erzengel Gabriel das Geheimnis – bald wird sie den Sohn Gottes gebären. Ihr in sich gekehrter Blick, das ihre Lippen umspielende Lächeln zeugen von ihrem inneren Aufruhr: Die Empfängnis durch den Heiligen Geist steht kurz bevor. Halt suchend schmiegt sich Maria an das nebenstehende Betpult, das lange, weite Gewand legt sich schützend um die künftige Gottesmutter. Gabriel, der Bote Gottes, hat am Ort der Verkündigung in Nazareth seine Nachricht überbracht. Der geschnitzte Erzengel büßte zwar über die Jahrhunderte rechte Hand und Zepter ein, doch hat sich teilweise die originale Farbfassung mit Spuren jüngerer Übermalungen erhalten. Die exquisite Arbeit mit den tief ins Holz eingeschnittenen Falten, den fein ausgearbeiteten Haaren kann eindeutig der Hand Daniel Mauchs (um 1477–1540) zugeschrieben werden. Der Meister und seine Werkstatt erregten im wirtschaftlich blühenden Ulm mit originellen Altarretabeln Aufsehen. Nicht nur Mauchs plastische Reliefs im Zentrum des Schreins begeisterten die Zeitgenossen, sondern auch die auf den Seitenflügeln. Sowohl die geringe Tiefe der Verkündigung als auch die frontal ausgerichtete Komposition deuten bei diesem Stück auf eine Einbettung in die Innenseite eines Altarflügels hin. Nun feiert das Stück seine Heimkehr: Im Ulmer Museum, wo man den Meister bereits 2009 in einer großen Werkschau mit Leihgaben aus aller Welt präsentierte, gesellt sich nun das kostbare Relief zu dem bisher einzigen anderen Werk Mauchs der Sammlung.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Verein der Freunde des Ulmer Museums, Sparkasse Ulm, Stadt Ulm, anonymer Förderer