Erwerbungen

Zeitzeichen

On Kawara, One Hundred Years Calender – 20th Century „24,845 days“, 2000, 68,6 × 129,5 cm; MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main
On Kawara, One Hundred Years Calender – 20th Century „24,845 days“, 2000, 68,6 × 129,5 cm; MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

Absolute Konsequenz und lakonische Eleganz ist den Arbeiten On Kawaras eigen. Mit der seltenen Graphik „One Hundred Years Calender – 20th Century, 24,845 days“ konnte das MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main eine zentrale Werkgruppe seiner Sammlung komplettieren: Kawaras „Date Paintings“. In diesen Ikonen der Konzeptkunst fixierte der japanische Künstler ab 1966 gleich einem täglichen Ritual lediglich das jeweilige Maldatum auf Leinwand. Das großformatige Blatt von Kawaras „Hundertjährigem Kalender“ entfaltet ein Ornament numerischer Daten: Im Pixelraster aller Tage des 20. Jahrhunderts zeichnet sich in Gelb sein Leben ab, während er an schwarz markierten Tagen seine Datumsbilder malte. In den unzähligen Markern bannte der Künstler die Zeit auf Papier und erbrachte gleichzeitig den sichtbarsten Beweis ihres unerbittlichen Verstreichens. Was Kawara schuf, ist ein Zeitzeichen seltener Klarheit und Nüchternheit: ein modernes Memento mori. Am 27. Juni 2014 starb On Kawara im Alter von 29.761 Tagen in New York.

Reiterstandbild

Franz Krüger, August Neidhardt von Gneisenau im Kreis seiner Offiziere (Ausschnitt), 1819, 108 × 88 cm; Stiftung Moritzburg, Halle (Saale) – Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt
Franz Krüger, August Neidhardt von Gneisenau im Kreis seiner Offiziere (Ausschnitt), 1819, 108 × 88 cm; Stiftung Moritzburg, Halle (Saale) – Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt

Seinem meisterlichen Ruf als „Pferde-Krüger“ wird der am preußischen Hof reüssierende Maler mit seinem Reiterbildnis des berühmten Heeresreformers und Feldherrn der Befreiungskriege August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831) mehr als gerecht: Vielfältig erstrahlen die Felltönungen der Rappen, Braunen, Füchse und Schimmel, artistisch führen die edlen Rösser die verschiedenen Dressurlektionen vor; umfassend breitet Franz Krüger (1797–1857) sein meisterhaftes Können vor dem Betrachter aus, dabei strahlt prächtig ein Himmel in Blau zwischen grauen Wolken hervor. Weit mehr als ein bloßes Repräsentationsgemälde, zeigt das Bild von Krüger den 1814 zum Grafen erhobenen Gneisenau als klugen Militärreformer und Vorbild für seine Offiziere, die – hinter dem Grafen gestaffelt – ehrfurchtsvoll auf den souveränen, würdevollen und hochdekorierten Veteranen blicken. Dass Krüger Gneisenau nicht als erfolgreichen General im Kriegsgetümmel vorstellt, entspricht der Wahrnehmung des Kriegshelden in dieser Zeit, als Gneisenau sich trotz seiner großen militärischen Verdienste keiner herausragenden Wertschätzung am konservativen Hof, der ihm „Jakobinertum“ unterstellt, erfreuen kann. So erkennt man in Krügers Bildnis fernab überhöhender Stilisierungen eher den realistischen Dokumentar, der Gneisenau hier in seiner zur Entstehungszeit aktuellen Funktion als Gouverneur von Berlin präsentiert und geschickt die Verehrung der Zeitgenossen und die denkmalgleiche Persönlichkeit des Kommandanten aufscheinen lässt. 126 Jahre hatte sich das kostbare Gemälde Franz Krügers seit seiner Entstehung im Eigentum der Familie von Gneisenau befunden, bevor es im Zuge der Bodenreform im Herbst 1945 auf Gut Sommerschenburg konfisziert wurde. Bei der Verteilung der Kunstwerke aus den sogenannten Schlossbergungen gelangte das Bildnis des Grafen in die Moritzburg in Halle, wo es seitdem als ein zentrales Werk über Jahrzehnte in der ständigen Ausstellung gezeigt wurde. Im Jahr 2000 wurde es schließlich an den Erben des enteigneten Eigentümers auf der Grundlage des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes rückübertragen. Kurz vor Ende der Nießbrauchsfrist Ende dieses Jahres konnte die Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt das Porträt des Grafen Gneisenau nun für die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg rechtmäßig erwerben. Dort belegt das Gemälde auch zukünftig Krügers koloristisches Können und seine kompositorische Meisterschaft.

Kartenkunst

Aus dem Atlas von Antonio Lafreri: Fernando Bertelli, Universale descrittione di tutta la terra conosciuta fin qui, 1571, 44 × 76 cm; Bayerische Staats­bibliothek, München
Aus dem Atlas von Antonio Lafreri: Fernando Bertelli, Universale descrittione di tutta la terra conosciuta fin qui, 1571, 44 × 76 cm; Bayerische Staats­bibliothek, München

Dass Antonio Lafreri (1512–1577) heute nicht vergessen ist, verdankt er vor allem den Titelblättern seiner Atlanten. In Venedig und Rom arbeitete er als Drucker und Kartenhändler. Seine eigenen Werke waren von geringerer Bedeutung – allerdings ist Lafreri der erste, der einzeln erstellte, gedruckte und auch verkaufte Kartenblätter für seine Kunden individuell zusammenstellte und einheitlich gebunden anbot. „Lafreri“ war also gleichsam eine Dachmarke, unter der die Kartenblätter bedeutender Stecher vereint und gehandelt wurden. Heute hingegen lassen sich einzelne Kartenblätter besser handeln als gebundene Konvolute. Der für die Bayerische Staatsbibliothek München erworbene Lafreri-Atlas wäre so fast für eine Auktion zerlegt und dann in 191 Lots versteigert worden. Der unscheinbare Einband enthält Meilensteine der Kartographie wie die Afrikakarte Giacomo Gastaldis – Kartensammler aus der ganzen Welt hätten ihre Sammlungen komplettieren können. Durch großzügiges Entgegenkommen der Eigentümer ist es gelungen, den Band als Ganzes zu erhalten und so die hochkarätige Kartensammlung der Bayerischen Staatsbibliothek zu erweitern.

Codex Cusanus

Nikolaus von Kues, Vaterunser-Auslegung (Sermo XXIV), Cod. Cus. 220a, ca. 1460 –1485, 14,4 × 10,5 cm; St. Nikolaus-Hospital/Cusanusstift, Bernkastel-Kues
Nikolaus von Kues, Vaterunser-Auslegung (Sermo XXIV), Cod. Cus. 220a, ca. 1460 –1485, 14,4 × 10,5 cm; St. Nikolaus-Hospital/Cusanusstift, Bernkastel-Kues

Mit dunkelbraunem Rindsleder bespannte Holzdeckel, verziert mit Streicheisenmustern und zarten Bildstempeln, bergen den geistigen Reichtum des christlichen Glaubens: Mit einer spätmittelalterlichen Sammelhandschrift religiöser Erbauungsliteratur – Gebete, Psalmen, Meisterzitate und Katechismen – erwarb das Cusanusstift in Bernkastel-Kues erstmals seit 176 Jahren wieder einen kostbaren Codex für seine historische Handschriftenbibliothek. Eine philologische Sensation ist das Herzstück des Kompendiums: eine frühe mittelhochdeutsche Fassung der Vaterunser-Predigt des Nikolaus von Kues (lat. Cusanus, 1401–1464), die der schon zu Lebzeiten berühmte Universalgelehrte auf persönliche Bitte des Augsburger Bischofs Peter von Schaumberg 1441 verschriftlichte. Weltweit existieren nur neun Abschriften des verlorenen Originalmanuskriptes: Die jüngst erworbene Sammelhandschrift überliefert jedoch die vielschichtige theologische Meditation zum zentralen Christengebet in einer der wohl ältesten und sprachlich originalgetreusten Kopien. Ein ausgezeichneter Schreiber fertigte die Blätter vermutlich im Skriptorium des Kölner Franziskanerklosters St. Agnes ad Olivas zwischen 1460 und 1485 in besonders akkurater Bastarda-Schrift. In der Bibliothek des Cusanusstifts – der Hüterin des geistigen Vermächtnisses des Kirchenreformers, Fürstbischofs und päpstlichen Legaten – gesellt sich der Kodex am Geburtsort des Theologen zu den rund 270 philosophisch-religiösen, aber auch naturwissenschaftlich-mathematischen Handschriften, die Kardinal Cusanus seiner Stiftung einst hinterließ.

Best of Bauhaus

Ludwig Mies van der Rohe, Entwurf für ein Pavillon-Haus, 1934; Bauhaus-Archiv - Museum für Gestaltung, Berlin
Ludwig Mies van der Rohe, Entwurf für ein Pavillon-Haus, 1934; Bauhaus-Archiv – Museum für Gestaltung, Berlin

Mit seiner radikal reduzierten Formensprache lenkte er die Architektur des 20. Jahrhunderts in eine völlig neue Richtung: Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) propagierte eine funktionale, schlichte Bau-Ästhetik, die sich fundamental vom Dekor und Zierrat der vorherigen Jahrzehnte abgrenzen sollte. Wie sehr der Architekt dieses Streben nach Sachlichkeit verinnerlicht hatte, zeigen seine Entwürfe von 1934 auf den ersten Blick: In Tusche auf Pergamentpapier zeichnend, deutet Mies van der Rohe auf zwölf Skizzenblättern mit nur wenigen Linien Innen- und Außenperspektiven an, deren Blickschneisen durch schnörkellose Räumlichkeit beeindrucken. Im Auftrag von Margarete Hubbe entwarf der ehemalige Direktor des Bauhauses in Dessau eines seiner nach innen orientierten „Hofhäuser“. Auf der Elbinsel vor Magdeburg sollte das langgestreckte, mit Flachdach versehene Pavillon-Haus im ummauerten Gartenhof entstehen. Zwar wurde seine Idee baulich nie verwirklicht, doch die Skizzen dokumentieren auf exzellente Weise die eindrucksvolle Werkpraxis des führenden deutschen Architekten der 1920er und 30er Jahre. Unlängst konnte das Berliner Bauhaus-Archiv – Museum für Gestaltung diese Mies van der Rohe-Zeichnungen als Teil eines Konvoluts erwerben. Neben den zeichnerischen Zeugnissen des Architekten bereichert nun ein Kinderbett von 1926/27 nach einem Entwurf des Bauhaus-Meisterschülers Marcel Breuer die Berliner Sammlung. Auch das funktionalistische Interieur einer Kleinstwohnung, bestehend aus einem Exemplar der „Frankfurter Küche“ der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky und einem Wohn-Schlafzimmer des Möbelgestalters Ferdinand Kramer, geht in den Besitz des Bauhaus-Archivs über. Die Möbelkombination wurde 1929/30 als feste Einrichtung für die Laubenganghäuser der Siedlung Frankfurt-Praunheim entworfen, die im Zuge des „Schwarzen Freitags“, der 1929 die Weltwirtschaftskrise auslöste, als Einraumwohnungen mit minimierter Quadratmeterzahl errichtet wurden.

Freundschaftsbild

Unbekannter Maler, Porträt Johann Georg Jacobi, um 1770, 53,5 × 42,5 cm; Gleimhaus, Halberstadt
Unbekannter Maler, Porträt Johann Georg Jacobi, um 1770, 53,5 × 42,5 cm; Gleimhaus, Halberstadt

„Oh lassen Sie mich weinend Sie umarmen: DIESE SPRACHE DER LIEBE, der Erkentlichkeit sagt mehr als iede andere […]. Nur dieienigen können sie reden, die in das innerste Heiligthum der Freundschaft hineingegangen sind.“ Wer so schreibt, weiß sich unter Gleichgesinnten, und in der Tat waren Absender und Adressat dieser Zeilen einander in der Literatur und im Leben in inniger Freundschaft verbunden: Johann Georg Jacobi (1740–1814) und Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803). In dem literarischen Manifest einer empfindsamen Männerfreundschaft scheint die Atmosphäre des „Halberstädter Dichterkreises“ auf, den Gleim mit Jacobi, Wilhelm Heinse und anderen pflegte. Eine ähnlich gesteigerte Empfindsamkeit geht auch vom Porträt Jacobis aus, das ein (noch) unbekannter Künstler um 1770 von dem jugendlichen Dichter schuf. Mit dem Ankauf des Gemäldes für das Gleimhaus in Halberstadt gelang es, dem Gleim’schen „Freundschafts­tempel“, der größten Porträtgalerie deutscher Dichter und Denker der Aufklärung, einen der wichtigsten Protagonisten hinzuzufügen.