Erwerbungen
Reinharts Rheinblick
Zahlreiche Maler hat die märchenhafte Landschaft des Mittelrheintals mit ihren sanften Hügeln und Weinbergen, ihren idyllischen Siedlungen und sagenumwobenen Burgen seit Ende des 18. Jahrhunderts in den Bann gezogen. Johann Christian Reinhart (1761–1847) gehört unter ihnen zu den ersten, die diese landschaftliche Schönheit festgehalten haben. 1787 begleitete der in Hof geborene Maler und Zeichner seinen Dienstherrn Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen auf einer Rheinreise und hielt die reizvollsten Orte in aquarellierten Zeichnungen fest: von Mainz bis St. Goar, vorbei an Bingen und dem Mäuseturm, über Rüdesheim und Assmannshausen, Niederheimbach und der Pfalz bei Kaub. Nur skizzenhaft mit Stift und Feder angelegt, zum Teil sparsam aquarelliert und mit Texten versehen, bestechen die acht Blätter vor allem durch ihre Spontaneität und Frische. Lange Zeit war die Rheinsuite unbekannt, ihr Auftauchen im Kunsthandel und Ankauf durch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg daher ein wahrer Glücksfall. Schließlich dokumentieren die Federzeichnungen nicht nur die frühe künstlerische Entdeckung der Rheinlandschaft, sondern zugleich eine bedeutende Facette im Œuvre Johann Christian Reinharts. Denn jener war ab 1789 in Rom zu einem der führenden Klassizisten avanciert und ist so bis heute in erster Linie für seine dort entstandenen arkadischen Ideallandschaften bekannt.
Beethovens Briefgeheimnis
Seit 1995 bewahrt das Beethoven-Haus in Bonn einen Briefumschlag auf, adressiert von der Hand des Komponisten und gerichtet an seinen Freund Franz Brunsvik de Korompa (1777–1849). Innenseitig vermerkt ein dringliches Postskriptum, der Freund solle wenn möglich früher kommen und zudem ein – nicht identifiziertes – Porträt mitbringen. Man vermutete einen Zusammenhang mit einem in einer Beethoven-Monographie von 1849 abgedruckten Brief, dessen Original als verschollen galt; die Briefausgabe von 1996 verzeichnet beide Dokumente noch getrennt. Der fehlende Brief hatte einen anderen Weg durch die Zeit genommen als der Umschlag, doch nun ergab sich die einmalige Gelegenheit, beide Teilstücke zusammenzuführen und damit eine Lücke in der bedeutenden Autographensammlung des Beethoven-Hauses zu füllen. Dort verfügt man zwar über beinahe die Hälfte aller erhaltenen Briefe Beethovens, jedoch bislang nicht über ein schriftliches Zeugnis seiner Beziehung zu dem musikliebenden Franz Brunsvik. Der freundschaftliche Kontakt geht auf das Jahr 1799 zurück, und Beethoven widmete Brunsvik zwei Klavierwerke, darunter die berühmte „Appassionata“-Sonate op. 57. Brunsviks Schwestern Josephine und Therese waren ehemalige Klavierschülerinnen Beethovens und spielten ebenfalls eine zentrale Rolle in seinem Leben – mit Josephine verband den Komponisten um 1805 ein Liebesverhältnis; Grund genug, in ihr eine Kandidatin für die nach wie vor ungeklärte Identität seiner „Unsterblichen Geliebten“ zu sehen. Das Doppelblatt an ihren Bruder, verfasst am 4. Juli 1811, ist ein spielerischer „Befehl“, Beethoven auf einer Reise zu begleiten. Tonalität und Ausdrucksweise sind vertraut und spontan, „gegeben Morgens gleich nach Aufstehen vom Kaffeetisch“, und das Postskriptum verweist wiederum auf jenes geheimnisvolle Porträt – vielleicht des Komponisten? –, das dieser kopiert wissen will. Nun, da der Brief der Forschung zur Verfügung steht, kann nicht nur die fehlerhafte Übertragung des 19. Jahrhunderts korrigiert werden, man erhofft sich von dem Erwerb auch weitere Aufschlüsse über jenes flüchtige Bildnis.
Hollands Hoffnung
Wer über das Meer herrscht, herrscht über die Welt, allemal über die des Handels, wussten die Niederländer. Am Ende ihres „Goldenen Zeitalters“ fuhren sie mit Kanonen lange wasserwärts, um endlich wieder Seemacht zu sein. Wenigstens für kurze Zeit gelang ihnen das auch, dank eines wagemutigen Flottenführers: Hier auf Ludolf Backhuysens (1630–1708) Hauptwerk steuert der frischgebackene Admiral Michiel de Ruyter hinüber zu seinem düster verschatteten Kriegsschiff „Delftland“. An diesem 18. August 1665 hatte der geniale Schiffelenker, von Gischt umspült, den Oberbefehl übernommen. Etliche Jahre Krieg sind noch zu führen, dann ist die englische Flotte überrumpelt und geschlagen, Volksheld de Ruyter kehrt gar mit dem Flaggschiff der Engländer als Trophäe heim. Backhuysens dramatisches Seestück – zuhause im Ostfriesischen Landesmuseum Emden – bläst uns mitten hinein in den schicksalhaften Tag von de Ruyters Ernennung, mit dem sich alles zum Guten wendete und auf den viele glorreiche Siege der niederländischen Flotte folgen sollten.
Barlachs Briefe
Güstrow 1937: Die Diffamierung, die der Bildhauer und Graphiker Ernst Barlach (1870–1938) unter den Nationalsozialisten erleidet, ist erschütternd: über 670 seiner Werke werden aus Museen und Kirchen und von Plätzen entfernt. „Im Güstrower Dom ist man dabei den Engel runterzuholen – wir hören förmlich die Hammerschläge u. möchte ich am liebsten die Trauerglocken läuten, ganz Güstrow zum Protest aufrufen. Wahrlich ein markanter Tag, der 24.8. für diese brave Stadt. Seit Monaten fragen wir uns: und was kommt nun?“, schildert Barlachs Lebensgefährtin Marga Böhmer dem befreundeten Rechtsanwalt Paul Havemann und seiner Frau Hedwig die traurigen Ereignisse. Der Brief ist Teil eines Konvoluts von 37 eigenhändigen Briefen und Postkarten Marga Böhmers und Ernst Barlachs an die Havemanns, das die Ernst-Barlach-Stiftung in Güstrow nun erwerben konnte. Neben juristischen Angelegenheiten offenbaren die Schriftstücke aus den Jahren 1933 bis 1938 persönliche Einblicke in die Zeitumstände und Lebensbedingungen des verfemten Bildhauers. Von besonderem Wert sind auch die bislang unbekannten Abbildungen von wichtigen Skulpturen Barlachs, die zahlreiche der Postkarten zieren.
An Frau Fontane
„Die Stadt und das Leben hier ist hoch interessant: vergohrne Residenz, malerisches Drecksnest und dazwischen das denkbar feinste und intelligenteste Publikum […] Ich freue mich, dass ich hier bin, sehe aber ein, daß die ganze Geschichte doch nur für Lords und Bankiers inscenirt ist. So daß man eigentlich nicht hineingehört. Wer mit keinem Tonnengewölbe-Koffer ankommt, ist von vornherein unten durch.“ Mit spitzer Feder schildert der große Romancier und brillante Briefeschreiber Theodor Fontane hier seiner Frau Emilie seine Eindrücke aus der Festspielstadt Bayreuth im Juli 1889, wo er die „Parsival“-Aufführung allerdings bereits nach der Ouvertüre verlassen hatte, weil er den Aufenthalt in dem überfüllten Theater nicht mehr ertragen konnte. 18 Briefe aus der Korrespondenz des Ehepaars aus den Jahren 1889 bis 1898 – darunter drei bislang völlig unbekannte – konnte das Potsdamer Theodor-Fontane-Archiv jetzt erwerben und damit eine wichtige Bestandslücke schließen. Sie zeigen den Dichter als liebevoll-ironischen Ehemann und beleuchten die wichtige Rolle von Emilie Fontane – das Verhältnis der Eheleute scheint doch enger gewesen zu sein als angenommen. So tituliert Fontane seine Emilie als „Verehrteste, Geliebteste, Arbeitsamste“, nennt sich selbst ihr „Alter“ und ironisiert seinen Status als „Apotheker, der statt von einer Apotheke von der Dichtkunst leben will“, also „so ziemlich das Tollste, was es giebt“. Manche Vorstellung über den großen Erzähler des 19. Jahrhunderts erhält durch diese Briefe neue Facetten.
Im Flug der Zeit
Wenn Ovid davon spricht, das Leben entrinne dem Menschen „heimlich und flüchtig“, so ist diese Vorstellung des Verrinnens der Zeit metaphorisch leicht wie eine Brise und ähnlich vergänglich. Stärker könnte der Kontrast zu Balthasar Permosers mächtiger Steinskulptur nicht sein. Permoser (1651–1732), aus Traunstein bei Salzburg gebürtig und späterer Hofbildhauer Augusts des Starken, schuf das monumentale Bild des Gottes Chronos – im griechischen Mythos der Gott der Zeit – um 1695 für einen privaten Auftraggeber für den Park des Schlosses von Seerhausen nördlich von Meißen. Dort erinnerte wohl ein Horaz-Zitat im Sockel der überlebensgroßen Figur den Betrachter daran, den Tag zu nutzen, war doch das „Carpe Diem!“ des antiken Dichters für die Zeitgenossen des Barock nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges ein zentrales Motiv. Der junge Künstler übersetzt das antike Erbe in die bewegte Formensprache seiner Zeit und gibt dem bärtigen Chronos mit seinen gewaltigen Schwingen die Physis eines Athleten, der mit Sense und Sanduhr den Lauf der Zeit in Schach hält. Doch auch Chronos konnte nicht verhindern, dass sich die Spuren der Zeit und des Krieges in den Elbsandstein einschrieben: 1905 noch intakt, wird das frühe Meisterwerk des neben Andreas Schlüter bedeutendsten deutschen Barockbildhauers im Zweiten Weltkrieg beschädigt und aus dem zerstörten Schlossareal schließlich nach Dresden verbracht, wo es nach seiner Restitution für die Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen erworben werden konnte.