Erwerbungen

In Dresden geht die Sonne auf

Otto Dix, Sonnenaufgang, 1913, 50,5 × 66 cm; Städtische Galerie Dresden
Otto Dix, Sonnenaufgang, 1913, 50,5 × 66 cm; Städtische Galerie Dresden

Otto Dix’ aufgehende Sonne wirft ein fahles Licht auf einen Schwarm dahinfliegender Krähen und ein tristes Winterfeld. Der Weg, der dieses Feld diagonal durchschneidet, führt nicht zur kalten Sonne hin – er verliert sich am Horizont, an dem sich die Wolken unruhig auftürmen. Aus heutiger Perspektive wirkt dieses 1913 entstandene Gemälde als Vorahnung auf den Ersten Weltkrieg – und es vereint in sich die Ambivalenzen solcher Vorahnungen: Dix teilte zunächst die Kriegsbegeisterung vieler seiner Zeitgenossen. Statt der Hoffnung auf Erneuerung erfuhr er jedoch bald schon die Schrecken des Krieges – fast ohne Unterbrechung sollte der Maler diese an vorderster Front erleben. Sein „Sonnenaufgang“ erscheint so als ahnungsvolle Seelenlandschaft und existentialistisches Bekenntnisbild zugleich, bei dessen Komposition Dix’ künstlerisches Vorbild van Gogh – besonders sein „Weizenfeld mit Krähen“ (1890) – deutliche Spuren hinterließ. 1920 schenkte Otto Dix dieses wichtige Frühwerk dem Dresdner Stadtmuseum, wo es 1937 zusammen mit zahlreichen anderen Werken aus den Beständen des Museums beschlagnahmt wurde. Im selben Jahr wurde der „Sonnenaufgang“ auch in die Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ integriert und lagerte danach im Depot des Reichspropagandaministeriums. 1943 gelangte das Bild zu dem Kunsthändler Bernhard A. Böhmer nach Güstrow. Von dort wurde das Gemälde nach Böhmers Tod zwischen 1945 und 1947 nach Westdeutschland überführt und war ab dann in verschiedenen privaten Sammlungen nachweisbar. Der Städtischen Galerie ­Dresden gelang nun der Ankauf von Otto Dix’ „Sonnenaufgang“ und sie kann hiermit nach 80 Jahren eine schmerzliche Lücke in ihrem Bestand schließen.

Um die Ecke gebogen

Sitzbank (Modellreihe Nr. 715/c), Entwurf Gustav Siegel, Ausführung Jacob & Josef Kohn, Wien, vor 1900; Grassi-Museum für Angewandte Kunst Leipzig
Sitzbank (Modellreihe Nr. 715/c), Entwurf Gustav Siegel, Ausführung Jacob & Josef Kohn, Wien, vor 1900; Grassi-Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Bäume wachsen gerade in den Himmel – mal mehr, mal weniger. Doch der Tischler Thonet wollte Kunst statt Natur, rund geschwungenes Holz, ohne zu schnitzen. Sanft im Wasserdampf gebogen, gelang ihm die Möbelrevolution: Das Patent von 1842 zum Holzverbiegen wird ihn zu völlig neuen Formen inspirieren – leicht und haltbar, mit sehr geringem Materialaufwand. Und nicht nur Thonet, den späteren Designer etlicher Ikonen. Fortan erschließt sich der ganzen Möbelindustrie ein völlig neues Formenrepertoire. Die Wiener Brüder Kohn, Thonets schärfste Konkurrenten, bogen Holz bald sogar noch deutlich schneller: Minutenwerk war nun, was vorher mehr als eine Stunde brauchte, und es trieb die Möbelpro­duktion effizient voran. Doch erst zur Weltausstellung 1900 setzten die Ge­brüder auch auf Gestaltung wie schon jahrzehntelang auf Masse. So wie in Gustav Siegels Sitzbank aus Buche mit ihrem dreidimensionalen Bugholz für Rückenlehne und die vorderen Beine: Die Weltausstellung brachte einen Grand Prix für die Bank und den Entwerfer Siegel, den die Brüder Kohn alsbald zu ihrem Chef­designer erkoren. Gebogen und zugleich im rechten Winkel, ganz ohne Zierwerk und geprägt vom Jugendstil, weist die Sitzbank weit hinaus in Richtung Bauhaus und Werkbund. Als Exempel neuer Möbelkunst gesellt sich die Sitzbank nun im Leipziger Grassi-Museum für Angewandte Kunst zu etlichen anderen Objekten, die einst schon 1900 in Paris zur Weltausstellung den Aufbruch in die Moderne verhießen.

Blatt für Brot

Adolf Wölfli, Braut-Ring, 1905, 74,7 × 98 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg
Adolf Wölfli, Braut-Ring, 1905, 74,7 × 98 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg

Die Frage, wo das Eigenartige endet und das Kranke beginnt, ist im Leben eine oft gestellte – und doch im Künstlerdasein eine besonders prekäre. So glich es etwas Unerhörtem, als der Schweizer Walter Morgenthaler, Arzt an einer psychiatrischen Anstalt bei Bern, um 1910 mit dem Aufbau eines kleinen Museums begann, dessen Exponate aus seiner Anstalt kamen. Mit seiner Schrift „Ein Geisteskranker als Künstler“ schließlich widmete er seinem begabtesten Patienten Adolf Wölfli (1864–1930) eine monographische Analyse und setzte ihn damit einem profes­sionellen Künstler gleich. Als Halbwaise in bitterer Armut aufgewachsen, als Kindersklave auf Bauerngütern herumgestoßen und schließlich wegen Notzucht mit Minderjährigen ins Zuchthaus geworfen, war Wölfli mit der Diagnose „Schizophrenie“ 1896 in die Irrenanstalt Waldau gekommen, wo er ein rätselhaftes, magisches künstlerisches Schaffen begann, darunter kleine Farbstiftzeichnungen, die später als „Brotkunstblätter“ berühmt werden sollten, da Wölfli sie gegen Kautabak oder Malutensilien eintauschte. Kein Geringerer als der Maler Jean Dubuffet entdeckte Wölfli nach dem Zweiten Weltkrieg wieder und rückte ihn ins Zentrum seiner Idee der „Art brut“. Documenta-Kurator Harald Szeemann schließlich verhalf ihm seit den 1960er Jahren zu internationaler Anerkennung. Heute ist Wölfli der wohl wichtigste Vertreter der „Outsider Art“ und wird von Museen weltweit gesammelt. Zwei frühe und besonders rare Zeichnungen des Künstlers hat nun die Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg erworben, die im umgebauten ehemaligen Hörsaal der Neurologie einen weltweit einzigartigen Bestand an Werken bewahrt, die Patienten und Patientinnen psychiatrischer Anstalten um die Wende zum 20. Jahrhundert schufen. Über 435 Künstler sind in der Sammlung vertreten, die der Arzt und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn von 1919 bis 1921 zusammengetragen hat.

Amouröses aus dem Mittelalter

Es mag heutzutage nicht verwundern, dass sich hinter dem Titel „Studenten­abenteuer“ eine pikante Erzählung über amouröse Verwicklungen zweier Männer in Paris verbirgt – dass sie aber mehr als 700 Jahre alt ist, verblüfft vermutlich schon. Der Germanistik ist die unterhaltsam-komische Geschichte vom listigen Bettentausch, die im 14. und 15. Jahrhundert weit verbreitet war, lange bekannt; jetzt jedoch darf sie sich über den Fund einer deutlichen früheren Fassung freuen. Denn gemeinsam mit zwei weiteren Vers­erzählungen („Die zwei Beichten“ und „Der Ritter und die Magd namens Maria“) ist die Märe – wie jene im Mittelalter beliebten Texte heißen, die sich Themen wie Ehe, Ehebruch oder listiger Übervorteilung widmeten – in einer bislang un­bekannten Sammelhandschrift aus dem späten 13. Jahrhundert aufgetaucht. Ein Sensationsfund, denn das sechzehnseitige Heftlein, das nur 7,5 mal 5,5 Zentimeter misst, zählt hiermit zu den ältesten erhaltenen Märenhandschriften. Von wem und für wen die Texte geschrieben wurden, ist nicht bekannt. Auch die Federzeichnung eines Teufels gibt noch Rätsel auf. Die Staatsbibliothek zu Berlin wird sich ­künftig mit diesen Fragen beschäftigen, denn ihr ist es gelungen, die kostbare Pergamenthandschrift zu erwerben.

Was die Avantgarde nach Hagen schrieb

 

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Autographe aus dem Nachlass von Gertrud Osthaus; Osthaus Museum Hagen

Das Sammlerpaar Karl Ernst und Gertrud Osthaus, auf das die Gründung des Hagener Folkwang-Museums zurückgeht, hatte sich Zeit seines Lebens für die Förderung moderner Kunst eingesetzt. Enthusiastisch unterstützten und entdeckten sie Künstler, gaben neue Werke in Auftrag und begleiteten deren Entstehungsprozess. Rund 100.000 Autographe und Dokumente im Karl Ernst Osthaus-Archiv im Osthaus Museum Hagen geben faszinierende Einblicke in das vielfältige Wirken der beiden Mäzene. Durch den Ankauf des Privatarchivs Manfred Osthaus konnte dieser kostbare Bestand jüngst erweitert werden: Über 500 Autographe und Dokumente umfasst die Sammlung, die aus dem persönlichen Nachlass von Gertrud Osthaus stammt und sich im Besitz ihres Enkels Manfred befand. Ob Karl Schmidt-Rottluffs „Dank für das Glück der Stunden auf Hohenhof“, ein Kärtlein des in Kur befindlichen Ernst Ludwig Kirchner, der die baldige Fertigstellung eines Wandbildes ankündigt, oder die Bitte Oskar Kokoschkas um den Ankauf eines seiner Werke: Die Korrespondenzen aus den Jahren von 1899 bis 1920 mit so bedeutenden Protagonisten des Kunstlebens dieser Zeit wie Alexander Archipenko, Paul Cassirer, Le Corbusier, Auguste Renoir, Henry van de Velde und Marianne Werefkin zeichnen ein eindrucksvolles Bild des berühmten Sammlerpaars und werfen auch auf das Wirken von Gertrud Osthaus als Sammlerin und Förderin ein helleres Licht.

Ewige Weisheit

Heinrich Seuse, Büchlein der ewigen Weisheit, 1435, 21 × 15 cm; Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg
Heinrich Seuse, Büchlein der ewigen Weisheit, 1435, 21 × 15 cm; Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg

Fast sieht es so aus, als hätte die Dominikanernonne den in purpurrotes Schafs­­leder gebundenen Band mit perfekt erhaltenen Schließen eben aus der Hand gelegt: Sogar das spätmittel­alterliche Lesezeichen – eine Leseschnur mit Leserädchen – liegt noch an seinem Platz. Auf 118 Papierseiten enthält das Büchlein den Traktat der ewigen Weisheit des Mystikers Heinrich Seuse (1295–1366). Die Buchmeisterin des Nürnberger Dominikanerinnenklosters St. Katharinen, Kunigund Niklasin, hat sogar seine Entstehungsgeschichte im Bibliothekskatalog korrekt verzeichnet. „Desgleichen ein Büchlein, das enthält die ewige Weisheit. Es gehört Schwester Margreth Koepf und deren Schwester hat es für sie schreiben lassen.“ Wichtige und selten überlieferte Informationen! In die Nürnberger Stadtbibliothek, die die Kloster­bibliothek 1596 weitgehend übernommen hatte, war der 1435 geschriebene Band jedoch nicht mehr gelangt – über Jahrhunderte galt er als verschollen. Erst mehr als 400 Jahre später gelang ihr nun mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder der Ankauf.