Ein erstes Bild
Er war ein Künstler noch fast ohne Werk. „Viel Stoff zu meiner Melancholie“ hatte er gerade in Paris gesammelt, dabei viel Absinth getrunken, doch nur wenig Kontakt zu den revolutionären Künstlern der Pariser Bohème gefunden. Aber er sog die Kunst von van Gogh, Cézanne, von Tizian, Rubens und Velázquez in sich auf, bildete seinen Stil nach dem Abbruch des Kunststudiums autodidaktisch aus. Trübsinn und Schaffensdrang gingen während Max Beckmanns Parisaufenthalt 1903/04 eine seltsame Allianz ein. „Wenn ich nicht im Café oder im Bett bin male ich Bilder von 5,5 x 4 m Größe. Kurzum benehme ich mich wie es für einen genialen Menschen recht und billig ist.“ Der selbstbewusste 20-jährige verließ schließlich übereilt Paris, strandete, obwohl er eigentlich nach Italien wollte, in Genf, und fand dort in Ferdinand Hodlers Werk „fast alles das wieder was ich mir selbst in ziemlich schwierigen Kämpfen als meine zukünftige Sprache gebildet hatte“.
21-jährig landete der junge Künstler 1905 schließlich in Berlin, richtete sein Atelier ein, ließ die reine Landschaftsmalerei hinter sich und malte nach Skizzen u. a. eine Gruppe nackter Jünglinge am Meer. „Etwas conventionell was?“, fragte er noch kokett einen Freund, doch gelang ihm im folgenden Jahr auf der Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes der Durchbruch in der Kunstwelt: „Signorellisch und mit Qualitäten von Courbet und Cézanne, aber doch von starker Eigenheit im Rhythmus der Akzente und in der Tonalität, die eine bewundernswerte Einheit hat. Mich Beckmann vorgestellt und ihm gratuliert“, schrieb der legendäre Kunstsammler und Publizist Harry Graf Kessler beim Anblick von „Junge Männer am Meer“ in sein Tagebuch und förderte den aufstrebenden Künstler nach Kräften von diesem Tag an.
An dieser Schwelle zum künstlerischen Durchbruch entstand auch „Große Buhne“, zusammen mit elf weiteren Meeres- bzw. Strandbildern im dänischen Küstenörtchen Agger. Fast aggressiv schiebt sich der durch die Perspektive übermächtige Damm ins Meer. Das Motiv des zivilisatorischen Eingriffs des Menschen in die Natur scheint zu dominieren, doch zugleich drapiert Beckmann – womöglich als Reminiszenz an die Figuren Caspar David Friedrichs und Gustave Courbets – eine winzige Figur mit Schirm ans Ende der Buhne, die sich dort dem Regen aussetzt. So markiert „Große Buhne“ – ebenso wie sein aus dem gleichen Jahr stammendes, bekannteres und mit dem Villa Romana-Preis ausgezeichnetes Werk „Junge Männer am Meer“ Beckmanns Wandlung vom Jugendstiladepten zum eigenständigen Künstler unter starkem Einfluss der spätimpressionistischen Bildsprache.
Aus dem Nachlass von Beckmanns erster Frau Minna Beckmann-Tube stammend, befand sich das Werk seit 1993 als Leihgabe der Nachfahren im Museum der bildenden Künste Leipzig, in Beckmanns Geburtsstadt. Dort eröffnet es die Präsentation von Beckmanns Wirken, die dank zahlreicher weiterer Leihgaben den Bogen vom Frühwerk bis zu letzten Werken während seines New York-Aufenthalts spannen kann. 1937 hatte das Leipziger Museum durch die nationalsozialistische Aktion „Entartete Kunst“ Beckmanns zentrales Werk „Großes Stillleben mit Fernrohr“ von 1927 verloren. Zum eigenen Bestand des Museums zählt lediglich das 1993 erworbene „Bildnis eines Teppichhändlers“ (1946). Nun drohte der Verlust zweier wichtiger Leihgaben, denn neben dem Leihvertrag für „Große Buhne“ wurde auch das Gemälde „Sumpfblumen“ (1907) aus der Sammlung abgezogen. Doch beide Werke können glücklich bleiben: Das Gemälde „Sumpfblumen“ konnte unlängst mithilfe des Vermächtnisses von Gerhard und Margit Merkel, Leipzig, ersteigert werden, die Erwerbung des Bildes „Große Buhne“ konnte realisiert werden mithilfe des Vermächtnisses von Gerhard und Margit Merkel, der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung.