Ein Martyrium im Depot
Die Legende vom heiligen Sebastian wird gelegentlich Ambrosius zugeschrieben, entstand aber wohl erst um die Mitte des 5. Jahrhunderts, wobei verschiedene römische Märtyrergeschichten in einer Handlung zusammengefasst wurden. Demnach war er Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof Diokletians, wo er allerdings seinen christlichen Glauben verheimlichte. Dennoch erlaubte ihm seine Stellung, christlichen Glaubensgenossen in den Gefängnissen Roms beizustehen. Als Diokletian davon erfuhr, ließ er Sebastian an einen Baum binden und von numidischen Bogenschützen erschießen.
Sebastian wurde für tot befunden und am Hinrichtungsort liegen gelassen. Die Witwe des Märtyrers Castulus, Irene, erkannte, dass Sebastian noch lebte und pflegte seine Wunden. Nachdem er sich wieder erholt hatte, trat Sebastian dem Kaiser öffentlich entgegen und warf ihm die Sinnlosigkeit seiner grausamen Verfolgungen vor. Diokletian ließ den ehemaligen Hauptmann daraufhin zu Tode peitschen und warf die Leiche in die „cloaca maxima“. Der Christin Lucina erschien Sebastian im Traum, und er wies ihr den Ort, wo sich sein Leichnam befand. Sie bestattete ihn in den heute so benannten „Katakomben des Sebastian“, über denen im 4. Jahrhundert die Apostelkirche errichtet wurde, eine der sieben frühchristlichen Pilgerkirchen Roms. Im 9. Jahrhundert benannte man die Kirche in „San Sebastiano fuori le mura“ um.
Die Verehrung Sebastians lässt sich bereits seit dem 5. Jahrhundert nachweisen. Besondere Bedeutung erlangte der Heilige, als die Pestepidemie in Pavia im Jahr 680 erloschen war, nachdem man seine Reliquien durch die Straßen getragen hatte. Seitdem galt er als Schutzheiliger gegen die Pest, und man trug Sebastianspfeile als Amulette gegen diese „anfliegende Krankheit“. Sein Aussehen nach der Pfeil-Marter ließ ihn aber auch zum Schutzheiligen der Bürstenmacher wie vieler anderer Handwerksberufe werden. Das erste Martyrium Sebastians wurde zu einem beliebten Thema der Kunst der Renaissance, bot doch der am Baum stehende unbekleidete Heilige die Gelegenheit zur sinnlichen Aktdarstellung. Das Motiv der Grablegung ermöglichte zudem, dem jugendlichen männlichen Akt ältere Trauernde gegenüberzustellen – so auch beim Gothaer Bild.
Das großformatige Gemälde stammt aus dem Besitz des Malers Josef Grassi (1757–1838), der seit 1804 häufig für den Gothaer Hof tätig wurde und seine Gemäldesammlung der Herzoglichen Bildergalerie auf dem Friedenstein vererbte. Im Verzeichnis der 58 überführten Gemälde war das in Rom von Grassi erworbene Gemälde als Werk des Caravaggio (1571–1610) gelistet. Noch im 19. Jahrhundert wurde es Gerrit van Honthorst (1592–1656), später dann Theodor Rombouts (1597–1637) zugeschrieben, beides Maler, die stark von Caravaggio beeinflusst waren.
Wegen der starken Beschädigung der Malerei und des Bildträgers, zahlreichen schollenartigen Markierungen retuschierter Kittpartien an der Bildoberfläche und wegen des stark verfärbten Firnisses befindet sich das Gemälde seit Jahrzehnten im Depot. Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder hat mit einer Spende für die Restaurierung bereits den Anfang gemacht, wir bitten aber auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, herzlich um weitere Unterstützung der dringend erforderlichen Arbeiten: In einem ersten Schritt wurde die alte Doublierungsleinwand entfernt und der Firnis abgenommen. Dabei trat die wirkungsvolle Lichtführung und sensible Farbgestaltung zutage, so dass nun an eine Neuzuschreibung an einen italienischen Meister – etwa Mattia Preti (1613–1699) – gedacht werden muss, doch werden dies erst intensive kunsthistorische Untersuchungen nach Abschluss der Restaurierung bestätigen können. Dies wäre umso spannender, trennte man sich doch in den 1930er Jahren von weiten Teilen der italienischen Bildwerke durch Verkauf, so dass das Gemälde einen der wenigen herausragenden Vertreter italienischer Malerei in den Sammlungen von Schloss Friedenstein zum Urheber hat.
Vorgesehen ist, das Gemälde im Betkabinett in den Repräsentationsräumen von Schloss Friedenstein dauerhaft auszustellen. Hervorragend eignet sich das Bildthema – aber auch die würdevolle Stimmung des Gemäldes – dazu, den Ort der herzoglichen Privatandacht dem Besucher gegenüber zu versinnlichen und dabei zusätzlich ein weiteres qualitätvolles Gemälde aus der Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha zu entdecken.