Ein beschriebenes Blatt
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehört eine der ältesten Gebang-Palmblatthandschriften Südostasiens zum Bestand der Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. Es handelt sich um einen religiösen Text in der bereits von Wilhelm von Humboldt untersuchten altjavanischen Kawi-Schrift. Sie ist in einem für Java typischen hölzernen Kasten aufbewahrt. In den Sammlungen weltweit haben nur wenige Dutzend Gebang-Handschriften die Zeit überdauert. Lange ging man davon aus, dass es sich bei den wenigen ältesten erhaltenen Exemplaren um Handschriften aus den Blättern der Nipah-Palme (Nypa fruticans) handelte, aber nach neuesten Erkenntnissen wurden Blätter der Gebang-Palme (Corypha gebanga) verwendet. Sie stellen den Übergang von Stein- und Metallinschriften zum portablen Schriftträger dar und wurden direkt mit Rußtusche beschrieben. Später wurde dieses Material recht schnell von Blättern der Lontar-Palme verdrängt, die dicker und stabiler sind, so dass der Text in den Schriftträger eingeritzt werden konnte. Gebang-Handschriften sind also unikale Objekte aus einer ganz besonderen Epoche der frühen Schriftlichkeit, deren Bestand und Erforschung unbedingt gesichert werden muss. Die Berliner Handschrift ist auf 1407 oder 1467 datiert – je nach Lesung. Damit gehört sie zu den ältesten Exemplaren weltweit. In der Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin gibt es über 3.500 Palmblatthandschriften, aber nur diese eine Gebang-Palmblatthandschrift.
Nicht nur Alter und Material der Handschrift sind ungewöhnlich, sondern auch der Text ist unikal, von dem keine weitere Kopie bekannt ist. Es ist ein shivaitischer Text auf Sanskrit mit altjavanischen Erläuterungen mit dem Titel Darma Pātañjala. Im Text werden u. a. die Kosmologie des Shivaismus und das Konzept von Yoga und Karma behandelt, und zwar in Form eines Frage-Antwort-Dialogs zwischen der Hindu-Gottheit Bhattara und seinem Sohn Kumara.
Die Aufbewahrung der Handschrift in dem hölzernen Kasten hat zwar den Verlust loser Teile verhindern können, da aber die Maße des Kastens zu knapp bemessen wurden sind, leiden die einzelnen Blätter bei jeder Nutzung. Hinzu kommt, dass durch den Faden im Schnurloch in der Mitte der Blätter Feuchtigkeit eingedrungen und das Material an diesen Stellen spröde und brüchig geworden ist. Die einzelnen Palmblätter sind an diesen Stellen durch Brüche so destabilisiert, dass eine Digitalisierung oder gar Nutzung durch die Forschung ohne eine grundlegende konservatorische Sicherung und Neukonzeption der Aufbewahrung ausgeschlossen ist. Dieses Objekt ist für die Benutzung zurzeit gesperrt.
Mit Fördermitteln aus der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts wird diese Zimelie jetzt vom Berliner Diplom-Restaurator Dirk Schönbohm aus dem verordneten Dornröschenschlaf geholt. Hauptziel der Maßnahmen ist die nachhaltige, konservatorische Sicherung des unersetzbaren Originals für die Zukunft. Das neue Aufbewahrungskonzept soll die Nutzung des Originals durch Handschriftenexperten ermöglichen, ohne dass das Palmblatt selbst angefasst werden muss. Nach erfolgter Konservierung und Umsetzung des neuen Konzepts steht diese Handschrift der Wissenschaft wieder zur Verfügung. Gerade für die Forschung sind neben dem Text die physischen Aspekte des Objekts von Bedeutung, die nur am Original angemessen untersucht werden können. Das Risiko weiterer Schäden ist durch diese Maßnahme und durch die Lagerung in dem der DIN-Norm entsprechend klimatisierten Tresormagazin weitgehend minimiert. Nach der Digitalisierung werden die Scans in hoher Qualität in der Online-Datenbank www.orient-digital.de frei verfügbar sein.