Kulturgemeinschaften

Die digitale Transformation in der Fläche

Wie das Förderprogramm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN die digitale Content-Produktion in Kultureinrichtungen vorantreibt
von Conrad Mücke und Sarah Ehrhardt

Die Kultureinrichtungen des Landes befinden sich im Umbruch: Forderungen nach mehr Partizipation, Abgabe von Deutungs­hoheit, institutioneller Öffnung aber auch die Relevanz von Kultur selbst werden kontrovers diskutiert. Mega­trends und dynamische Prozesse wie die aktuellen Einschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, die digitale Transformation oder die gesellschaftliche Diversifizierung erfordern von Häusern aller Sparten rasche Antworten.

Doch die digitale Transformation ist nicht erst seit der Pandemie ein Thema im Kulturbereich. Auf dem Gebiet der Kulturförderung sind mit Initiativen wie museum4punkt0 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder dem Fonds Digital der Kulturstiftung des Bundes in den letzten Jahren wegweisende Entwicklungen vorangebracht und umgesetzt worden. Jedoch richten sich die genannten Programme teils nur an eine Sparte und betreiben in erster Linie „Spitzenförderung“. Noch immer sind kleinere Kultur­einrichtungen personell und materiell nicht so ausgestattet, dass sie für das – in vielen Bereichen noch nicht zu den Kernaufgaben zählende – Arbeitsgebiet der Digitalisierung Förderungen erfolgreich hätten einwerben können.

Hinzu kommt der Umstand, dass viele Einrichtungen sich bisher nicht darum bemüht haben, ihre Inhalte in geeigneten Formaten online anzubieten. Es fehlte vielfach das nötige Know-how – aber oft auch die Offenheit, diesen Weg zu beschreiten. Dies änderte sich erst im März 2020 mit der Anordnung bundesweiter Schließungen für weite Teile des öffentlichen Lebens und der Kulturbetriebe im Zuge der Corona-Pandemie. Digitalisierung wird für viele zum Ausweg aus dem drohenden Verlust an Sichtbarkeit. Mit schwindender Aufmerksamkeit beim Publikum steigt vielerorts auch die Dringlichkeit, sich vermehrt ins Digitale zu bewegen. Seitdem sprießen überall im Web neue Initiativen, werden Kanäle in den sozialen Medien erstellt, Vlogs und Pod­casts veröffentlicht. Das Wort „hybr­id“ verheißt die Lösung für viele Veranstaltungen im Bereich der darstellenden Kunst. Das Publikum nimmt diese Angebote dankend an. Die Twitter-Konzerte eines Igor Levit machten vielen Hoffnung zu einem Zeitpunkt, als weder ausreichend Schutzausrüstung noch Impfstoffe gegen das Virus zur Verfügung standen.

Gemein ist vielen dieser Initiativen eine „Hands-on-Mentalität“ gepaart mit einer Menge Enthusiasmus. Doch die Aufbruchsstimmung kann den Mangel an fundamentalen Kenntnissen im Bereich digitaler Infrastrukturen und Produktionen nicht immer kaschieren. Auch ist vielen dieser eilig erdachten Formate gemein, dass sie ohne vorherige Analyse des Umfelds und der Zielgruppen gestartet wurden. So ambitioniert die – inhaltlich exzellenten – Projekte auch sein mögen: Leider versanden etliche von ihnen nach kurzer Zeit oder finden nicht das Publikum, das sie verdienen. Die mit dem Andauern der Pandemie immer häufiger konstatierte Bildschirmmüdigkeit lässt sich ganz bestimmt vor allem mit dem Bedürfnis nach einem Kultur­erlebnis in seinem räumlichen und sozialen Kontext begründen – die Qualität vieler Digitalproduktionen mag jedoch auch einen Teil dazu beigetragen haben.

In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass es sich um digitale Content-Produktionen von Laien handelt. Eine Kuratorin, ein Regisseur oder die Vorsitzende eines Heimatvereins verfügen in der Regel über wenig Expertise auf diesem Gebiet. Erschwerend hinzu kommt, dass für die neuen Aufgaben zumeist keine Ausstattung vorhanden war. Geeignete Hardware und auch Software-Lizenzen stellen für die von Schließungen betroffenen Einrichtungen eine nicht geplante Ausgabe dar – und das in einer Situation, in der die Einnahmen gänzlich oder in Teilen weggebrochen sind und öffentliche Haushalte durch die Folgekosten der Pandemie nach Einsparpotenzialen suchen müssen.

Das in kürzester Zeit von der Kulturstiftung der Länder sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf die Beine gestellte und im Rahmen von NEUSTART KULTUR mit Bundes- sowie Landesmitteln ausgestattete Förderprogramm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN setzt genau hier mit seinen nunmehr zwei Förderlinien an. Bei den knapp 300 Projekten der ersten Förderlinie wurden zunächst die Lücken in der medientechnischen Ausstattung geschlossen und Mittel für die Beauftragung externer Dienstleistungen aus der Kreativwirtschaft zur Verfügung gestellt, um die eilig gelaunchten Online- und Hybridformate zu professionalisieren. Mit der Ansprache insbesondere kleinerer und kleinster, oftmals ehrenamtlich geführter gemeinnütziger Kultureinrichtungen und der Deckelung der Fördersumme bei 50.000 Euro trägt dieses Programm die digitale Transformation in die Fläche. Als Resultat reichen alle geförderten Projekte mindestens zwei Produktionen auf dem Gebiet der digitalen Kulturvermittlung und Kulturkommunikation ein.

Um die Kompetenzen in den Einrichtungen zu festigen und den Erfahrungsaustausch zu fördern, wird von der Kulturstiftung der Länder ein eigenes Fort- und Weiterbildungsprogramm mit Webinaren, Online-Workshops und Tutorials angeboten. Eine Reihe eigens dafür produzierter Lehrvideos führt in die technischen Grundlagen audiovisueller Produktionen ein und beantwortet ganz praktische Fragen: Wie funktioniert die Blende einer Kamera? Wie leuchtet man eine Interview-Situation gut aus? Welches Mikrofon nutzt man am besten? In den Vorträgen und Webinaren geht es um verschiedene Bereiche der Kulturvermittlung im Digitalen: Die Teilnehmer:innen werden im Umgang mit Schnittsoftware geschult, befassen sich mit strategischen und rechtlichen Fragen in sozialen Medien und erlernen Grundlagen in den Bereichen Formatkonzeption, Suchmaschinenoptimierung oder Barrierefreiheit.

Der Schwerpunkt liegt bei KULTUR.GEMEINSCHAFTEN im Gegensatz zu den eingangs genannten Programmen der Spitzenförderung nicht per se auf einem hohen Innovationsgrad der Einzelproduktionen. Viele der geförderten Einrichtungen befassen sich zunächst mit der Adaption und Nutzung bestehender Frameworks – hauptsächlich im Bereich web­basierter Anwendungen, die auf Kommunikation, Informationsaustausch und Interaktion basieren. Dadurch soll nicht nur eine bessere Sichtbarkeit, sondern vor allem eine zunehmende Verzahnung der analogen und digitalen Angebote erreicht werden, die mittelfristig wiederum das Innovationspotenzial der Einrichtungen erhöht.

Da die KULTUR.GEMEINSCHAFTEN im Gegensatz zu den klassischen Förderprogrammen der Kulturstiftung der Länder grundsätzlich spartenoffen unterstützen, sind darstellende wie bildende Künste gleichermaßen vertreten. Ebenso ist vom Kunstverein bis zum Heimatmuseum, von der Erinnerungsstätte bis zum Jazzclub das Feld der geförderten Institutionen breit und ausgewogen auf alle Länder sowie auf Städte und den ländlichen Raum verteilt. Es bleibt zu hoffen, dass der Austausch und der Kompetenzerwerb auch dauerhaft zu einer Aufgeschlossenheit gegenüber digitaler Kulturproduktion und -vermittlung führt, um diese Vielfalt auch abseits der Metropolen zugänglich zu machen.

Um mittel- und langfristig Strukturen zu stärken, in denen kreativ an Digitalprojekten gearbeitet werden kann, braucht es neben der finanziellen und technischen Ausstattung vor allem Neugier, Wissen und die Möglichkeit zum Austausch mit anderen.  Mit der zweiten Förderlinie von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN wurde aus diesem Grund der Schwerpunkt verlagert: Ein neues Programmmodul ermöglicht individuelle Weiterbildungen und Beratung, ein weiteres unterstützt Partnerschaften und kollaborativ angelegte Formen der Zusammenarbeit. So sind über ein Drittel der Projekte, die erst im Dezember 2021 im Rahmen der Programmfortsetzung zur Förderung empfohlen wurden, Verbundprojekte, die von mindestens zwei Einrichtungen gemeinsam konzipiert und umgesetzt werden.

Neu ist in diesem Kontext die Möglichkeit, die Arbeit von Expert:innen begleiten zu lassen. Spannende Inhalte und konkrete Projektideen gibt es in den geförderten Einrichtungen zwar zuhauf – die eigene Organisation jedoch strukturell so aufzustellen, dass sie dem digitalen Wandel offen und auf allen Ebenen gut ausgestattet begegnen kann, ist ein komplexes Vorhaben, dem ein neutraler Blick von außen hilft. Deshalb können Verbundprojekte der zweiten Förderlinie einen Transformationsagenten einladen, an genau diesen Grundlagen mitzuwirken: Über mehrere Monate werden Bedürfnisse erörtert, Prozesse evaluiert und die Rahmenbedingungen des kreativen Arbeitens verbessert. Insbesondere kleine Einrichtungen haben damit die Chance, sich neu aufzustellen und Beratungsangebote wahrzunehmen, die üblicherweise größeren Institutionen vorbehalten sind. Auf diese Weise vergrößern sie im besten Fall nicht nur ihren eigenen Handlungsspielraum, sondern auch die Zugänglichkeit und Sichtbarkeit der eigenen Kulturproduktionen, die noch viel zu oft einem kleinen Kreis vorbehalten sind.

Dass all das – die digitale Transformation, die Arbeit unter erschwerten Bedingungen, diverse neue Projekte und nicht zuletzt das Einholen von Fördermitteln – in kleinen und personell oft nicht üppig besetzten Einrichtungen gelingt, ist dem großen Engagement und der Leidenschaft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Kunst und Kultur zu verdanken. Denn auch folgendes darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: Personalkosten können über das Programm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN nicht gefördert werden. Die Projekte werden häufig „nebenbei“ oder von ehrenamtlich Beteiligten gestemmt. Sie leisten einen immensen Beitrag zum Gelingen der Vorhaben – und damit auch zur digitalen Transformation „in der Fläche“. Auf den folgenden Seiten lernen Sie einige der Projekte kennen – viel Freude beim Entdecken.

Conrad Mücke ist Projektkoordinator, Sarah Ehrhardt ist Projektkoordinatorin des Förderprogramms KULTUR.GEMEINSCHAFTEN der Kultur­stiftung der Länder.

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