Vor dem Aufbruch
Bereits im letzten Jahr konnte die Stadt München aus der Sammlung von Lothar Schirmer mit der Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Landesstelle nichtstaatlicher Museen in Bayern sowie des Fördervereins Lenbachhaus e.V. und Privatspenden das Environment „vor dem Aufbruch aus Lager I“ (1970/1980) von Joseph Beuys für das Lenbachhaus ankaufen. Lothar Schirmer überlässt der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zusätzlich ein Konvolut der bedeutendsten frühen Skulpturen von Joseph Beuys. Dieser neue Sammlungsschwerpunkt der Städtischen Galerie im Lenbachhaus wird künftig in den Räumen des ehemaligen Ateliers Franz von Lenbachs ausgestellt sein.
Mit Hasenblut und Farbe erzeugte Joseph Beuys die von ihm „Braunkreuz“ getaufte Emulsion, die den tiefen, rötlichen Braunton ergibt, die das Werk „vor dem Aufbruch aus Lager I“ dominiert. Joseph Beuys’ nicht begehbarer Schauraum versammelt einige Protagonisten des Büros „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung (freie Volksinitiative e. V.)“, in dem der Künstler seinen erweiterten Kunstbegriff propagierte und die neue Form einer sogenannten sozialen Plastik durchsetzen wollte. Als das Büro in Düsseldorf 1980 nach zehnjährigem Bestehen geschlossen wurde, verwendete Beuys Teile des Inventars – einen Trichter, Bodenplatten, Anschlagbretter, Kästen und Keile – für „vor dem Aufbruch aus Lager I“: Der Mensch als Handelnder, Schaffender und als Künstler steht im Mittelpunkt. Auf der Schultafel, die sich als neuer Gegenstand zu den Büromaterialien hinzugesellte, komprimierte Beuys sein künstlerisches Manifest: Ein chaotisches Liniengewirr als Symbol der organischen Energiequelle Fett mündet mittig in einer dynamischen Spiralform und schließlich in einer festen Figur, dem Tetraeder. „Wille“, „Seele/Gefühl“ und „Denken“ schrieb er dazu. Beuys’ Installation gilt als eine politische Allegorie auf die Gegenwart, auf seinen eigenen Schöpferweg als Künstler mit pädagogischem, politischem und kunsttheoretischem Impetus.
Fast gleichzeitig fand in München 1979 Joseph Beuys’ Environment „zeige deine Wunde“, sein Werk über den leidenden und sterbenden Menschen, Einzug ins Münchner Lenbachhaus, das Haus ließ damit seine zwar exquisite aber regionale künstlerische Ausrichtung hinter sich. Ein Glücksfall, dass nun aus Privatbesitz Beuys’ Werk „vor dem Aufbruch aus Lager I“ – als Antithese zur Leidens- und Todesvision „zeige deine Wunde“ – in das Lenbachhaus gelangte.