Melancholie in Potsdam

Die Retrospektive Lotte Lasersteins im Jahr 2003 im Ephraim-Palais der Stiftung Stadt­museum Berlin war die triumphale Wiederentdeckung der deutschen Malerin. Doch nur drei Werke der 1937 nach Schweden emigrierten jüdischen Künstlerin sind in deutschen kulturhistorischen Mu­seen zu finden, in den USA und Groß­britannien sind mehrere erstklassige Werke in öffentlichen Sammlungen vorhanden. Jetzt konnte auf einer Londoner Auktion von Sotheby’s im Juni gegen inter­na­tio­nale Bieter ihr großformatiges Hauptwerk „Abend über Potsdam“ von 1930 (110 x 205,5 cm) für Berlin ersteigert werden. Somit kommt zum ersten Mal ein Werk Lotte Lasersteins in ein deutsches Kunstmuseum – in die Neue National­galerie der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Erwerbung gelang mit Unterstützung der Kultur­stiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB-Stiftung), des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch Wolfgang Wittrock.

„Abend über Potsdam“ entstand nach zahlreichen Porträtdarstellungen, die Laser­stein Ende der 1920er Jahre oft in spezifisch modernen Kontexten wie Motorrad­fahren oder Tennisspielen schuf. Auf einer Dachterrasse geht der Blick weit über die topographisch genaue Ansicht der Stadt Potsdam, an einem Tisch versammeln sich in ahnungsvoller Melancholie versunken fünf Personen, ein Schäferhund liegt er­mattet unter dem Tisch: Visionär kompo­niert Laserstein mit Blick auf die zeit­po­li­tische Situation ein Stimmungs- und Schlüsselbild der Weimarer Republik am Vor­abend des Nationalsozialismus. Die bewegten 1920er Jahre sind vorüber, orientie­rungslos und desillusioniert war­ten die jungen Menschen auf die Dämme­rung.

Zwar stehen Lotte Lasersteins Bil­der der Neuen Sachlichkeit nahe und sind dem Realismus verpflichtet, der sich als roter Faden durch alle Malstile der Moder­ne zieht, die Künstlerin verzichtet aber sowohl auf objektivierende Dar­stellung als auch auf jede gesellschaftskritische Über­zeichnung und Karikierung. In der Ber­liner Neuen Nationalgalerie gesellt sich das Werk zu den opulenten Sammlungs­be­ständen von George Grosz, Otto Dix, Rudolf Schlichter und Christian Schad. Das Gemälde kehrt so nach 80 Jah­ren nach Deutschland zurück und wird zunächst in einem eigenen Saal in der Neuen Nationalgalerie präsentiert.

Die deutsch-jüdische Malerin Lotte Laserstein (1898-1993) gehört zu den Künst­lern der „verschollenen Generation“. Sie studierte an der Berliner Kunstaka­demie und wurde 1937 von den Nationalsozialisten zur Emigration gezwungen, in Schwe­den lebte sie bis zu ihrem Tod. In Deutschland in Vergessenheit geraten, gilt sie seit der Retrospektive 2003 als herausragende Vertreterin des Realismus der Weimarer Republik.