Deutsch-italienische Familienaufstellung
Sommer, Sonne, Schönheit. Nicht erst seit Goethes Zeiten zog es nordalpine Künstler magisch in das Land, wo die Zitronen blühen. Im 19. Jahrhundert jedoch wurde die Italienreise für Maler, Graphiker und Bildhauer aus Deutschland beinahe obligatorisch. Animiert vom Geist des Südens war auch die rheinisch-berlinische Künstlerdynastie Begas. Reinhold, gewissermaßen der Cavaliere unter den Bildhauern des Kaiserreichs, holte die schwellenden Formen von Bernini und Michelangelo ins protestantische Berlin. Doch der Überwinder der Rauch-Schule war nicht der erste Begas in Italien. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder konnten nun zwei ganz und gar italophile Gemälde für das künftige Begas Haus in Heinsberg (zum Begas Haus siehe den Beitrag von Wolfgang Cortjaens und Rita Müllejans-Dickmann ab Seite 31 im Heft) gesichert werden. Nicht mediterrane Motive jedoch waren ausschlaggebend für den Erwerb der Bilder, sondern deren Maler: Carl Joseph Begas d. Ä. und dessen ältester Sohn Oscar Begas, im Familienkreis Prinz Oscar genannt. Heinsberg kann mit der „Winzerfamilie“ von Carl Begas d. Ä. und dem „Urteil des Paris“ von Oscar Begas seinen Anspruch als deutschlandweit vielseitigste Sammlung zur Künstlerdynastie Begas künftig noch deutlicher machen. Von beiden Künstlern kommen Hauptwerke nicht mehr allzu oft auf den Markt. Unabhängig voneinander – doch natürlich nicht zufällig – gelangten die Gemälde nach Heinsberg. Carl Begas’ Genrestück „Die Winzerfamilie“ galt als verschollen, bevor es 2010 aus Privatbesitz wieder auftauchte und durch das Kölner Auktionshaus Lempertz an Jack Kilgore vermittelt werden konnte. Der renommierte New Yorker Kunsthändler präsentierte das Gemälde 2011 auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht, wo es im nahen Heinsberg entsprechende Begehrlichkeiten auslöste. „Das Urteil des Paris“ von Oscar Begas hingegen war vor 42 Jahren über das Berliner Auktionshaus Leo Spik an den Vorbesitzer verkauft worden. 2011 lieferte der es ebendort wieder ein. Kontinuitäten, Nachbarschaften: zwei Glücksfälle. Glück und Lebenslust strahlen beide Bilder aus. Das darf man als Symptom auch für die Gemütsart ihrer Schöpfer lesen. Carl Begas d. Ä., den 1794 in Heinsberg geborenen Begründer der Künstlerdynastie, zog es wiederholt gen Süden. 1814 war der preußische König Friedrich Wilhelm III. in Paris auf den bei Antoine-Jean Gros ausgebildeten Nachwuchskünstler aufmerksam geworden. Vom Preußenkönig gefördert, ging Begas nach Abschluss seines Pariser Studienaufenthaltes 1821 nach Berlin. Bereits im Januar 1822 konnte er, finanziert durch ein königliches Stipendium, seine erste Italienreise antreten. Bis zur Rückkehr nach Berlin im Oktober 1824 lebte und arbeitete er hauptsächlich in Rom.
In Rom schloss sich Begas den Nazarenern um Friedrich Overbeck und Julius Schnorr von Carolsfeld an, lernte aber auch „Klassizisten“ wie den Architekten Ignaz Hittorff und den Bildhauer Bertel Thorvaldsen kennen. Im Rückblick distanzierte sich der später berlinisch-realistisch gestimmte Maler von seinen schwärmerischen Anfängen: „Ehe ich nach Rom kam, hatte ich die meisten der bedeutenden Städte Italiens besucht. Die Kapelle des Giotto in Padua wirkte entscheidend auf mich, weil diese Fresken mit meiner damaligen Stimmung sympathisirten. […] Ich schüttete aber das Kind mit dem Bade aus; ein Beweis, daß ich wenigstens sechs Jahre später hätte nach Italien gehen müssen.“ Trotz solcher Umwege hat Begas d. Ä. seinen Erfolg auf direktem Weg gefunden. 1825 mit Wilhelmine Bock, einer der schönsten Frauen Berlins, verheiratet, im Jahr darauf zum Professor der Berliner Akademie ernannt, steigt der rheinische Einwanderer zum gefragten Porträtmaler der preußischen Hauptstadt auf. Bekannt sind seine Porträts der Ordensträger des „Pour le mérite“. Aber auch seine biblischen Historien erregten Aufmerksamkeit. 1832 bezieht die stetig wachsende Familie – Carl und Wilhelmine Begas ziehen sechs Söhne groß, zwei Töchter sterben hingegen früh – das geräumige, von Baurat Gottlieb Christian Cantian entworfene Wohn- und Atelierhaus Am Karlsbad 10. Begas Senior ist ein überzeugter Familienmensch. Voller Stolz malt er 1835 den siebenjährigen Oscar mit Palette und Pinseln an der Staffelei. Nur wenige Jahre später wird ihm dieser hochbegabte Wunderknabe bei der Ausführung seiner Gemälde zur Hand gehen. Wer sich auf das späte, erst 1850 gemalte Genrebild „Die Winzerfamilie“ einlässt, spürt etwas vom intensiven Familienglück im Hause Begas. Der 56-jährige, inzwischen zum preußischen Hofmaler ernannte Künstler zieht darin – vier Jahre vor seinem Tod – die Summe künstlerischer und emphatischer Möglichkeiten. Das Bild ist als unmittelbares Ergebnis seiner zweiten Italienreise anzusehen. Die mit dem Hofmalertitel einhergehende Verbesserung der Bezüge ermöglicht es Begas 1847, zusammen mit dem 19-jährigen Oscar eine zweimonatige Reise nach Oberitalien zu unternehmen, auf der Landschaft, Baukunst und Museen gleichermaßen studiert werden. Über Wien geht es nach Mailand, Verona, Venedig und Padua; zurück über die Schweiz und das Elsass. Noch in Italien entstehen zwei heute ebenfalls in Heinsberg aufbewahrte Vorarbeiten: eine schwungvoll gemalte Ölstudie und die akribisch ausgeführte Bleistiftzeichnung.
Wir wissen nicht, wann und wo genau auf der Reise Begas seine Modelle gefunden und unter welchen Umständen man sich getroffen hat. Das Endprodukt jedoch ist ein vom Geist der Düsseldorfer Malerschule und vom Kolorit der alten Venezianer beeinflusstes Lob der Familie, das Harmonie und Heiterkeit ausstrahlt. Lässig lehnt der schwarz gelockte Winzer an einer Brüstung, liebevoll kümmert sich seine junge Frau um den vielleicht zwei- oder dreijährigen Knaben, der, nur von einem Tuch verhüllt, auf der Schulter des Vaters sitzt. Es ist kein konkretes, sondern ein sublimiertes Italienerlebnis, das Begas d. Ä. uns in diesem Gruppenbildnis ausbreitet. Anklänge an traditionell-christliche Bildthemen wie die Heilige Familie oder den heiligen Christophorus dürften kein Zufall sein. Die Wiesenblumen und Wildkräuter, die am Strohhut des Vaters und in der Hand des Sohnes leuchten, könnten während der Reisezeit im Sommer 1847 tatsächlich geblüht haben. Die charakteristische (besonders in der Ölskizze fast wie ein Heiligenschein wirkende) Kopfbedeckung der Frau jedoch war eher in der Gegend um Rom gebräuchlich, verweist so auf frühere Reiseeindrücke. Auch Oscar Begas, der zum ebenbürtigen Maler gereifte Sohn, hat während seines zweijährigen Italienaufenthaltes 1852 bis 1854 ähnlich genrehafte Szenen des Volkslebens geschaffen. In der Sammlung des Konsuls Joachim Heinrich Wilhelm Wagener (heute Alte Nationalgalerie, Berlin) ist solch eine „Plauderei am Brunnen“ erhalten geblieben. Carl Begas hat Oscar, der 1852 für das Historiengemälde „Der Untergang Pompejis“ mit dem Rom-Stipendium der Berliner Akademie ausgezeichnet worden war, im Sommer 1854 ein letztes Mal in Rom besucht. Todkrank kam er von dort zurück und starb am 24. November. Während der 1828 geborene Oscar Ende 1854 aus Rom zurückkehrte, um in Berlin in die Fußstapfen des Vaters zu treten, ging sein jüngerer Bruder Reinhold 1856 nach Italien. Reinholds in Rom geknüpfte Freundschaft zu Arnold Böcklin dürfte auch Oscar nicht verborgen geblieben sein. Ob Böcklin ihn beeindruckt hat, darüber lässt sich nur mutmaßen. Sein späteres Werk wirkt wie ein gelungenes Amalgam aus dem Erbe des Vaters, historischen Zitaten und den Möglichkeiten der Gegenwart. „Das Urteil des Paris“ vollendete Oscar Begas vermutlich 1878, ist es doch im Herbst des Jahres auf der Berliner Akademie-Ausstellung gezeigt worden. Dem 50-Jährigen muss das Bild, das offenbar ohne Auftrag entstand, wichtig gewesen sein, denn 1879 präsentierte es der Künstler auch auf der Antwerpener Salon-Ausstellung sowie 1880 im Kunstverein Bremen. Auch dem „Paris-Urteil“ ging ein Italienerlebnis voraus: 1875 und 1877 reiste Oscar Begas nach Rom, wo sein zweiter Bildhauer-Bruder Carl Begas d. J. ebenfalls Anschluss an den Kreis der „Deutschrömer“, vor allem an Hans von Marées, gefunden hatte.
Der porzellanhaft feine Schmelz von Begas’ „Paris-Urteil“ ist zwar weit entfernt von Marées’ düsterer Elementarmalerei. Und doch zaubert Oscar Begas nicht allein schöne Körper, üppige Landschaft, kurz: ein Fest der Sinne auf die Leinwand; ihm gelingt vielmehr eine Deutung, in deren Komik das tragische Moment der Szene aufblitzt. Nur zu gut kennt man den Fortgang der Geschichte, die mit der Versuchung des verstoßenen Königssohns durch die Göttinnen begann. Ludwig Pietsch, der Chronist der Berliner Kunstszene der Kaiserzeit, lobte Oscar Begas „als eine[n] der besten Maltechniker und Lehrer“ seiner Zeit. Und tatsächlich zündet der Frühverstorbene in diesem Programmbild ein feinmalerisches Feuerwerk an Einfällen, das sich nicht in der Darstellung nackter Haut oder antiker Pathosformeln erschöpft. Im Gegenteil: Dieses „Paris-Urteil“ scheint Klassizismus und Realismus, Ernst und Scherz, Präzision und Lässigkeit bewusst nebeneinanderzustellen, vielleicht sogar gegeneinander auszuspielen. Großartig, wie die beiden Amoretten das heikle Geschehen verfolgen. Und wie in den beleidigten Reaktionen von Hera und Athene auf Aphrodites Auszeichnung die klassische Lehre von den Temperamenten aufscheint. Dieser Maler ist gebildet und zugleich ein heiterer Witzbold: ein Fontane-Typ, der die akademischen Anstandsregeln kennt und – siehe das träge Desinteresse des Hundes – lustvoll überschreitet. Die Kunstgeschichte hat diesen Maler bislang nur wenig beachtet. Dass Oscar Begas auf allen Registern der Antiken- und Italienrezeption zu spielen verstand, zeigt auch eine ruhende Venus von 1875, die an Tizian denken lässt, ohne zu verleugnen, ein Produkt des späteren 19. Jahrhunderts zu sein. Was er als Historienmaler zu leisten vermochte, lässt sich nur noch aus den Vorarbeiten zu den Wandbildern im Festsaal des Roten Rathauses in Berlin ermessen. Kritiker dieser im Zweiten Weltkrieg zerstörten Lünetten-Gemälde bemängelten den fehlenden Ernst und Repräsentationswillen – Ausdrucksmöglichkeiten, die sein berühmter Bildhauer-Bruder Reinhold im Übermaß beherrschte. Oscar Begas repräsentiert das zweite, sympathischere, heute beinahe vergessene Gesicht des Kaiserreichs. Sein berlinisch gezügeltes Temperament beginnt unter südlicher Sonne zu leuchten. Es ist das vielleicht schönste Erbe des Vaters.