Des Kaisers Kopf

Provokation genug, dass er hochdekorierte römische Würdenträger im Namen seines geliebten Rennpferdes Incitatus einlud und im eigens für das Tier erbauten Palast empfing. Dass Kaiser Caligula (12 – 41 n. Chr.) vor keiner Demütigung des Senats zurückschreckte, bewies er schließlich mit dem Vor­haben, Incitatus zum Konsul zu ernennen – und damit den Vorsitz des einflussreichsten römischen Gremiums einem Gaul zu überlassen. Der perfide Plan scheiterte aus einem ebenso schlichten wie zwingenden Grund: des Kaisers Entmachtung durch Ermordung.

Nicht als herausragender Stratege, Diplomat oder Feldherr fand Gaius Caesar Augustus Germanicus, postum genannt Caligula, Eingang in die Geschichte. Vielmehr bilden Verschwendungssucht und Willkür, Inzest, Zwangsprostitution, eine ausgesprochene Vorliebe für Folterungen und deren öffentliche Inszenierung sowie Machthunger bei gleichzeitigem Verschwörungswahn noch heute die schillernden Facetten des Tyrannentopos um Caligula – ein bereits in der Antike von senatorisch geprägten Geschichtsschreibern heraufbeschworenes und in Hollywood weiter genährtes Bild, dessen tendenziöse Einfärbung die jüngere Forschung heute kritisch hinterfragt. Der Urenkel von Kaiser Augustus folgte 37 n. Chr. seinem ermordeten Groß­onkel Tiberius auf den Thron. Nach den zahlreichen Hochverratsprozessen, mit denen sich sein Vorgänger bei Volk und Senat unbeliebt gemacht hatte, zeichnete sich Caligulas frühe Regentschaft durch Milde aus. Steuersenkungen und Nachsicht mit politisch Andersdenkenden brachten ihm bald nach Amtsantritt den Ehrentitel „Vater des Vaterlandes“ ein. Doch Caligula, von einflussreichen römischen Kreisen als vermeintlich leicht manipulierbare Marionette eingesetzt, prägte gegen Mitte seiner Herrschaft eine gefährliche Paranoia aus: Seine anfänglich hohe Moral korrodierte, als er sich ringsum von Verrätern und Verschwörern bedrängt sah, die ihm seine Macht streitig machen wollten. Einige seiner engsten Vertrauten, darunter seinen Adoptivsohn, bezichtigte er der Intrige, ließ sie verhaften und zwang sie in den Selbstmord. Stärker als durch seine Nächsten fühlte sich der Kaiser aber vom Senat bedroht. Über 30 Senatoren ließ Caligula verbannen oder grausam hinrichten. Doch statt einer Sicherung seiner Machtposition erreichte er das Gegenteil: Aufgebracht verschwor sich der Senat mit der ebenfalls in Ungnade gefallenen Prätorianergarde. Eine der kaiserlichen Wachen überwältigte Caligula am 24. Januar 41 n. Chr. auf dem Weg ins Theater und schlug ihn in Stücke. Kaum war der Tyrann tot, verordnete der Senat eine „damnatio memoriae“, eine Verdammung des postumen Andenkens an Caligula, die im gesamten Römischen Reich zur Vernichtung seiner Bildnisse führte.

Sensationell daher ein zufälliger Fund in den 1930er-Jahren. Bauarbeiten im spanischen Cordoba heben ein marmornes Porträt, das weit entfernt vom römischen Herrschaftszentrum überdauert hat. Das leicht fliehende Kinn, von einem charakteristischen Grübchen geziert, der Ansatz der Segelohren und nicht zuletzt der feingearbeitete Eichenlaubkranz der „Bürger­krone“: Trotz Brüchen an Nase und Ohren lässt sich das jugendliche, zu seinen Lebzeiten entstandene Antlitz Caligulas eindeutig identifizieren. Der Stil des leicht überlebensgroßen Kopfes deutet auf eine Fertigung in einem der west­lichen Machtzentren des Römischen Reichs, beispielsweise im spanischen Merida; in seiner hohen bildhauerischen Qualität steht der antike Schatz Arbeiten aus den angesehenen Werkstätten Roms jedoch in Nichts nach.

Nach Generationen in spanischem Privatbesitz konnte das äußerst seltene, gut erhaltene Marmorpor­trät nun mit einer Exportlizenz ausreisen: In den Staat­lichen Antikensammlungen und Glyptothek München reiht sich der Herrscher des julisch-claudischen Hauses nun in der hochkarätigen Kaisergalerie zwischen seine ebenfalls in Stein verewigten Vorgänger und Nachfolger ein. Noch bis zum 14. Januar 2018 können Besucher dem Neuzugang in der Sonderausstellung „Charakterköpfe. Griechen und Römer im Porträt“ von Angesicht zu Angesicht begegnen.

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung, Freistaat Bayern, Verein der Freunde und Förderer der Glyptothek und der Antikensammlungen München e.V.