Der Sammler Bernhard August von Lindenau: „Der Jugend zur Belehrung“

Staatsreformer, Astronom, sächsischer Minister, Kunstsammler. Die Liste der Tätig­keiten des Bernhard August von Lindenau lässt sich um Mathematiker, Verfassungsbegründer, Diplomat, Generaladjutant, Museumskoordinator, Kunstschul- und Museumsgründer ergänzen – und beschreibt doch nur die repräsentativsten. Bernhard August von Lindenau, 1779 im thüringischen Altenburg geboren und 1854 ebenda gestorben, wirkte in Dresden, im heutigen Sachsen und Thüringen und in seiner Heimatstadt Altenburg und gestaltete, veränderte, bereicherte sie – alle.

Valentin Schertle, Bernhard von Lindenau, 1848, aus dem Mappenwerk: „Die Männer des deutschen Volkes“, 18,8 × 14 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Bernd Sinterhauf
Valentin Schertle, Bernhard von Lindenau, 1848, aus dem Mappenwerk: „Die Männer des deutschen Volkes“, 18,8 × 14 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Bernd Sinterhauf

Am berühmtesten ist heute seine Sammlung früh­italienischer Malerei, ein Schatz, dessen sich nicht viele Museen außerhalb Italiens rühmen können – und schon gar keine privaten Sammlungen. Zu diesem kostbaren Teil der Lindenau-Sammlung gehören 180 Tafelbilder aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, darunter Werke von Fra Angelico, Fra Filippo Lippi, Masaccio, Pietro Perugino, Sandro Botticelli und vielen anderen. Sie sind jedoch nur ein Teil der Sammlung, zu der auch 400 antike keramische Gefäße, eine Sammlung von Architekturmodellen aus Kork und 150 Gipsabgüsse nach Meisterwerken aus Antike, Mittelalter, Renaissance und Neuzeit zählen. Außerdem legte Lindenau eine Gemäldekopiensammlung mit 200 Werken nach Raffael, Tizian, Correggio, Fra Angelico, Leonardo, Michelangelo an. Die meisten wurden in Lindenaus Auftrag von Professoren und Studenten der Dresdner Kunstakademie gemalt. Während die frühitalienische Malerei, die Keramiken, Gipse und Architekturmodelle immer geschätzt wurden, existieren heute nur noch acht Gemäldekopien in der Sammlung. Die anderen wurden 1968/69 verkauft. 2014 konnten zwei Kopien auf Betreiben der damaligen Direktorin Julia M. Nauhaus für das Museum zurückgekauft werden.

Die Kunstsammlung ist Lindenaus bleibendes Vermächtnis an die Heimat und überstrahlt aus heutiger Sicht das jahrzehntelange politische Wirken. Das Sammeln hatte allerdings erst am Ende und nach Beendigung der wissenschaftlichen und politischen Karriere Bedeutung im Leben Lindenaus. Vermutlich aus diesem Grund existieren so wenige Informationen über seine letzte Leidenschaft, die Kunst, gesammelt zur Bildung der Jugend.

„Lindenaus Entdeckung als Kunstsammler steht uns erst noch bevor“, sagt Roland Krischke, seit knapp einem Jahr Direktor des Lindenau-Museums Altenburg. Krischke will deshalb nicht nur eine Sammler-Biografie herausgeben und den neuen Museumsrundgang mit einem Lindenau-Raum eröffnen. Er plant für das kommende Jahr außerdem eine erste größere Ausstellung über Lindenaus Kunstschule. All das ist Pionierarbeit und setzt die Arbeit seiner Vorgängerin mit Lindenaus Sammlungen, der ägyptischen und chine­sischen Kunst sowie den Gemäldekopien fort.

Dank zahlreicher gemalter und gestochener Porträts, Darstellungen auf Medaillen und verschiedener Porträtbüsten wissen wir immerhin, wie Bernhard August von Lindenau aussah. Am persönlichsten, am wenigsten konventionell ist das Porträt, das die Malerin Louise Seidler 1811 schuf und das repräsentativ im Altenburger Museum hängt. Seidler malte den 32-Jährigen als sympathischen Mann seiner Zeit, korrekt gekleidet, den Blick am Betrachter vorbei in eine nahe Ferne gerichtet. Auch spätere Porträts zeigen einen ernsthaften, asketisch wirkenden Herrn mit leicht lockigem Haar und unauffälligem, aber doch charakteristischen Profil. Louise Seidler beschrieb Lindenau als „ebenso schönen wie geistreichen Mann. Begeistert und lebendig strömte der Fluss seiner Rede, großartig waren seine Anschauungen von dem Sternenhimmel, wie von der Menschheit. Doch stand ihm auch die Grazie im Umgang wie so leicht keinem andern zu Gebote; er scherzte ebenso anmuthig als er gelehrt zu sprechen verstand“. Abzüglich zeittypischer romantischer Schwärmerei, einiger Briefeschreiberinneneigenheiten und des überaus liebenswürdigen Wesens der Malerin bleibt doch der Eindruck eines klugen, sympathischen Mannes, dessen Bekanntschaft nicht nur lehrreich, sondern auch angenehm war.

Louise Seidler, Porträt Bernhard August von Lindenau, 1811, 76 × 60 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: PUNCTUM / Bertram Kober
Louise Seidler, Porträt Bernhard August von Lindenau, 1811, 76 × 60 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: PUNCTUM / Bertram Kober

Mit der Sternwarte auf dem Kleinen Seeberg bei Gotha im Hintergrund weist Seidler elegant und diskret auf die Astronomie hin – Lindenaus Leidenschaft und Hauptbeschäftigung zur Zeit der Bildentstehung. Dabei kann seine Bedeutung für die Astronomie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn schon zu Leb­zeiten wurde Lindenau in gleich mehrere exklusive Wissenschaftler-Akademien aufgenommen. Er war Mitglied  in  der  Preußischen  Akademie  der Wissenschaften, der Göttinger Akademie, der Pariser Académie des Sciences, der Halleschen Leopoldina, der Londoner Royal Astronomical Society und der Royal Society of London, außerdem wurde er in die Akademien der Wissenschaften in Kopenhagen, in Palermo und Sankt Petersburg aufgenommen. Ehrungen nach dem Tod folgten: Ein Mondkrater trägt seit 1935 seinen Namen, ein Asteroid seit 1989.

Bald nach der Entstehung des Porträts war die Wissenschaftlerkarriere jedoch beendet. Bernhard August von Lindenau folgte dem Wunsch des Vaters und ging in den Staatsdienst. Es begann eine einzigartige Karriere, deren Stationen so zahlreich waren, dass hier nur die wichtigsten erwähnt werden sollen. Lindenau beriet die Fürsten von Sachsen-Gotha-Altenburg in Finanzfragen, verhandelte Erbteilungen (beispielsweise die der Herzöge von Hildburghausen), kümmerte sich um die Scheidung der Herzogin Luise von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1800 –1831) und die Erbverhand­lungen von Herzogin Charlotte Amalie (1751–1827), der Ehefrau Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Während der Befreiungskriege zog er sogar mit dem Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach 1814 als Oberstleutnant und Adjutant in Paris ein. Ab 1827 in sächsischem Staatsdienst, wurde er Vorsitzender der sächsischen Regierung, des sogenannten Gesamt-Ministeriums. Um 1830 formulierte er die Landesverfassungen des Herzogtums Altenburg und die des Königreichs Sachsen, die die alleinige Macht der Fürsten zurückdrängten. Historikern gelten seine Reformen denen in Preußen durch Karl Freiherr vom und zum Stein und Karl August Freiherr von Hardenberg vergleichbar.

Für Sachsen war Lindenaus Verfassung der Beginn der konstitutionellen Monarchie. Der sächsische Landtag benannte den Platz vor dem eigenen Dienstsitz nach ihm und würdigt den Begründer seiner Verfassung mit den Worten: „Die sächsische Geschichte kennt keine andere Einzelpersönlichkeit, die das Verfassungsleben so nachhaltig beeinflusst hat.“

Als treuer Kammerherr und Beamter arbeitete Lindenau jedoch nie an einer vollständigen Entmachtung der Fürsten. Als die Altenburger Bürger 1848 freie Wahlen forderten, hielt Lindenau sie für noch nicht reif genug. Der Landtag beschloss sie trotzdem und Lindenau trat als Landtagspräsident zurück, wie fünf Jahre zuvor schon als Vorsitzender des Gesamt-Ministeriums. Seine Arbeit als Abgeordneter in der deutschen National­versammlung in Frankfurt am Main endete ebenfalls nach wenigen Monaten – Lindenaus Ideen waren nicht mehr zeitgemäß.

Eduard Meyer, Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt/Main (in der Mitte sitzend Lindenau), 1848, 53 × 73 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Bernd Sinterhauf
Eduard Meyer, Die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt/Main (in der Mitte sitzend Lindenau), 1848, 53 × 73 cm; Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Bernd Sinterhauf

Jetzt, mit dem schrittweisen Verlust der politischen Ämter, begann Lindenaus Leben als Kunstsammler, wobei es ihm nie um die Kunst allein, sondern vor allem um Bildung durch Kunstanschauung ging. Die Zukunft seiner Kunstsammlung und der dazugehörigen Kunstbibliothek regelte der unverheiratete und kinderlose Lindenau, wie er gelebt hatte: weitsichtig, philanthropisch, bescheiden und mit hohem pädagogischen Anspruch. Schon 1847 gab er bekannt: „Bereits seit mehreren Jahren mit einer kleinen Sammlung für Kunst und Wissenschaft beschäftigt, freue ich mich, diese jetzt so weit ausgestattet und geordnet zu sehen, um damit dem heimathlichen Unterricht in plastischer Kunst förderlich werden zu können.“ Dazu gründete Lindenau in Altenburg eine „Anstalt für Jünglinge aus dem Altenburger Lande zum unentgeltlichen Unterricht im freien Handzeichnen, im architektonischen Zeichnen, im Modellieren und in der Baukunst“. Die Existenz dieser pädagogischen Einrichtung sicherte er über ein Legat von 60.000 Talern, mit denen die Erweiterung der Bibliothek und der Betrieb der Zeichenschule gewährleistet wurden. Denn er war der festen Über­zeugung, dass es möglich sei, die „Mitbürger durch das Beschauen von Kunstwerken und Unterricht in Kunstfertigkeit für classische Kunst empfänglich zu machen, um  eine  gelungene  Bildung  für  Mathematik  und ­höhere  Technik  zu  ermöglichen  und  dadurch  die  in unserem Lande nur noch sparsam vorhandene artistisch-technische Befähigung zu befördern“. Die Kunstsammlung war die Grundlage für die Kunstschule. Ab 1. April 1848 konnten auch die Altenburger Bürger freitags von 10 bis 12 Uhr und Landleute sonnabends zur gleichen Zeit die Sammlungen im Pohlhof, dem innerstädtischen Besitz der Familie, besichtigen. Das dort extra errichtete Museumsgebäude trug die Aufschrift „Der Jugend zur Belehrung. Dem Alter zur Erholung“.

Doch wie die Sammlung genau entstand, wie sich die Kunstvorlieben Lindenaus entwickelten, ist nahezu unbekannt.  Selbst  Jutta  Penndorf,  die  langjährige ehemalige Direktorin des Lindenau Museums in Altenburg, kann nur spekulieren, woher die Anregungen für die Sammlung kamen. Sie zählt verschiedene Stationen auf: „Gotha, wo er 1826, im letzten Jahr seiner dortigen Tätigkeit, die verwaisten herzoglichen Kunstschätze für die Stadt bewahrte und wahrscheinlich damals schon inspiriert wurde, Vergleichbares für seine Heimatstadt zu schaffen; Paris, wo er 1812 während eines sieben­wöchigen Aufenthaltes das Musée Napoleon besuchte, das […] beispielgebend für den Aufbau vieler europäischer Kunstsammlungen war.“ Außerdem führt Penndorf Lindenaus Kenntnisse der Städelschen Stiftung in Frankfurt am Main, Besuche der Berliner Museen und eine Beschäftigung mit den maßgeblichen Kunstschriftstellern der Zeit als Grundlagen für die eigene Sammlung an. Entscheidend waren sicher die praktischen Erfahrungen aus seiner Dresdner Zeit. Dort hatte Lindenau nicht nur für einen Galerieneubau geworben, sondern auch tageweise freien Eintritt in die Sammlungen eingeführt und junge Künstler wie Ernst Rietschel, Ludwig Richter und Gottfried Semper zu Akademieprofessoren berufen. Sein persönlicher Beitrag war die Spende seiner sächsischen Pensionsansprüche, um jährlich ein zeitgenössisches Historienbild für Dresden kaufen zu können. Diese Stiftung begründete die Galerie Neue Meister.

Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Jürgen M. Pietsch
Lindenau-Museum Altenburg; © Foto: Jürgen M. Pietsch

Für den Aufbau seiner eigenen Sammlung hatte Lindenau exzellente Kontakte nach und in Italien. Vor allem Emil Braun (1809 –1856), der Erste Sekretär des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, unterstützte Lindenau beim Kunstkauf (s. auch S. 60) und verkaufte dem Sammler 27 Gemälde aus seinem eigenen Besitz – darunter fünf Predellen von Luca Signorelli. Lindenaus Interesse an frühitalienischer Malerei lag damals durchaus im Trend. Viele Sammler und Händler hatten sich auf diese Epoche spezialisiert. So konnte Lindenau beispielsweise gleich 20 italienische Gemälde aus dem Nachlass des Dresdner Akademie­direktors Ferdinand Hartmann (1774 –1842) kaufen.

Die Bedeutung von Sammlung und Kunstschule war in Altenburg immer präsent. 1876 konnten beide in den repräsentativen Neubau des Semper-Schülers Julius Robert Enger umziehen, in dem sie seitdem – begleitet und erweitert von neuen Sammlungen und von der „Stiftung Gerhard Altenbourg“ – zu finden sind. Zwar vernichtete die wirtschaftliche Krise der 1920er-Jahre das Stiftungsvermögen zur Unterhaltung der Kunstschule, sodass sie 1923 schließen musste, doch die Idee lebte fort. 1971 eröffnete das „Studio Bildende Kunst im Lindenau-Museum“, das bis heute Kurse in Malerei, Graphik, Plastik, Keramik, Buchgestaltung und textilem Gestalten für Kinder und Erwachsene anbietet. Diese Kontinuität und das Bekenntnis zur Bildungstradition zeigen deutlich, dass Lindenau, seine Sammlungen und sein pädagogisches Programm, um es mit den Worten von Museumsdirektor Roland Krischke zu sagen, voller „lebendiger Aktualität“ sind.