„Der Roman meines Lebens“
Sein erster Roman „Vor dem Sturm“ war noch nicht erschienen, als Theodor Fontane (1819–1898) bereits neue Roman-Projekte ins Auge fasste. Mögliche Stoffe, Themen und Titel wurden erprobt, verworfen oder beiseite gelegt. In der berühmten Schreibwerkstatt stapelten sich die unter Streifband gebündelten Konvolute. Welcher Romanstoff, welches Novellensujet taugt für den erhofften Erfolg? Wie lassen sich Redakteure und Verleger gewinnen? Und so lesen wir am 3. April 1879 in einem Brief Fontanes an Gustav Karpeles, den damaligen Redakteur von „Westermann’s illustrirten Monats-Heften“: „Am meisten am Herzen liegt mir mein neuer Roman. Könnten Sie darüber mit den Chefs der Firma sprechen? Zeitroman. Mitte der siebziger Jahre; Berlin und seine Gesellschaft, besonders die Mittelklassen, aber nicht satirisch, sondern wohlwollend behandelt. Das Heitre vorherrschend, alles Genrebild. Tendenz: es führen viele Wege nach Rom, oder noch bestimmter: es gibt vielerlei Glück, und wo dem einen Disteln blühn, blühn dem andern Rosen. Das Glück besteht darin, daß man da steht, wo man seiner Natur nach hingehört. Selbst die Tugend- und Moralfrage verblaßt daneben. Dies wird an einer Fülle von Erscheinungen durchgeführt, natürlich ohne dem Publikum durch Betonungen und Hinweise lästig zu fallen. Das Ganze: der Roman meines Lebens oder richtiger die Ausbeute desselben.“
Fontane hatte kein Glück bei Karpeles, der skizzierte Roman wurde nicht in „Westermann’s Monats-Heften“ gedruckt, aber Fontane beließ es nicht bei der brieflichen Skizze, er „pusselte“ weiter an seinem Roman, denn der „kolossale“ Stoff ließ ihn nicht los: „Die Stoffe wachsen mir seit acht Tagen unter den Händen, und immer neue Bogen werden in die ohnehin dicken Packete eingeschoben“, schreibt er seiner Frau. Doch dann scheint die Arbeit ins Stocken geraten zu sein, und im Sommer 1887 lesen wir ganz nebenbei: „Natürlich hab ich mal einen Roman (‚Allerlei Glück‘, 3bändig, der nun ad acta gelegt ist) …“
Der Roman „Allerlei Glück“ blieb unvollendet, doch hatte er sich, als Fontane ihn ad acta legte, bereits zu einem der umfangreichsten überlieferten Erzählentwürfe ausgewachsen. Sein Thema, die Möglichkeit oder Unmöglichkeit menschlichen Glücks, zieht sich als Spur durch fast alle Romane Fontanes, insofern doch: Roman seines Lebens. Die rund 300 Folioblätter kamen mit dem Nachlass in das 1935 gegründete Theodor-Fontane-Archiv. Ein Großteil ging im Krieg verloren. Ein kleiner Teil, ein Konvolut von 81 Folioblättern, kam 1989 wieder zurück. Das Theodor-Fontane-Archiv kann in diesem Jahr auf seine 75-jährige Geschichte zurückblicken und freut sich, dass es mit „Allerlei Glück“ überdauert hat. Das Manuskript, das neben vielen anderen in unseren Tresoren verwahrt wird, bedarf indes dringend der Hilfe. Da Fontane auf säurehaltigem Papier und mit Eisengallus-Tinte schrieb, bedrohen Säure- und Tintenfraß die Blätter. Sie lassen sich jedoch sorgfältig Blatt für Blatt restaurieren. Dafür werden rund 7.000 Euro benötigt. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dazu verhelfen könnten, und laden Sie ein, sich bei uns im Archiv Fontanes Lebensroman einmal selbst anzuschauen.