Der Meister von Meßkirch
Wie verständigt man sich über einen Künstler, den niemand kennt? Dessen Identität über Jahrhunderte ein Rätsel geblieben ist, dessen Werk aber niemand vergisst? Der Meister von Meßkirch ist ohne Zweifel ein solcher Fall: Seit über 150 Jahren versuchen Kunsthistoriker, Name, Herkunft und Ausbildung des unbekannten Meisters zu entschlüsseln. Doch wenn Signaturen fehlen und Quellen schweigen, stößt auch die Forschung an ihre Grenzen.
Was also weiß man eigentlich über den berühmten Unbekannten, den die Staatsgalerie Stuttgart nun in den Mittelpunkt einer großen Landesausstellung rückt? Belegt ist, dass der Meister von Meßkirch zwischen 1520 und 1540 als Maler in Oberschwaben wirkte. Den – 1882 vom Kunsthistoriker Adolf Bayersdorfer etablierten – Notnamen Meister von Meßkirch erhielt der Künstler auf Grund seiner zwischen 1535 und 1540 entstandenen malerischen Ausstattung der Kirche St. Martin in Meßkirch. Zu verdanken hatte er diesen Großauftrag – wie viele weitere Tafel-, Andachts- und Altarbilder mit streng katholischem Bildprogramm – dem Meßkircher Grafen Gottfried Werner von Zimmern und seiner Familie. Hatte im 16. Jahrhundert die Reformation schon weite Teile Württembergs erfasst, blieb der fromme Graf dem alten Glauben treu. Während also bereits viele Malerkollegen die Kirche als wichtigen Auftraggeber verloren hatten, war es dem Meister immer noch möglich, die Tradition des sakralen Bildes in betont prachtvoller Weise ikonographisch weiterzuführen.
Der Meßkircher Altarzyklus wurde Ende des 18. Jahrhunderts gegen eine Neuausstattung ausgetauscht. So ging ein Drittel des in Einzeltafeln zersägten und an verschiedene Interessenten veräußerten Ensembles aus Hauptaltar mit der Anbetung der Könige und elf Heiligenaltären unwiderruflich verloren. Mit einer dem ursprünglichen Zustand angenäherten Rekonstruktion bietet die von der Kulturstiftung der Länder geförderte Ausstellung in Stuttgart nun die seltene Chance, die intendierte Inszenierung der Heiligen- und Passionsdarstellungen jener anspruchsvollen Ausstattungskampagne zu erfahren und sich vom bemerkenswerten Sinn des Meistermalers für Farbwirkungen einnehmen zu lassen. Wie außergewöhnlich jene malerischen Zeugnisse des fürstlichen Festhaltens am alten Glauben sind, zeigt die Schau im Gegenüber mit Werken aus den verschiedenen Bereichen der Reformationskunst. So reagierten Zeitgenossen des Meisters von Meßkirch wie Lucas Cranach d. Ä. oder Hans Baldung bereits auf die neuen konfessionellen Verhältnisse und tendierten zur Profanisierung christlicher Themen. Höhepunkt bilden hier der prachtvoll gestaltete Wildensteiner Altar des Meisters von Meßkirch aus dem Jahr 1536, den die Staatsgalerie Stuttgart 2013 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erwerben konnte (s. Arsprototo 2/13), und der Gothaer Tafelaltar – mit 160 Einzeldarstellungen eines der bilderreichsten Werke der altdeutschen Tafelmalerei und Schlüsselwerk explizit reformatorischer Bildikonographie. 1538 für den württembergischen Regenten Herzog Ulrich geschaffen, befindet sich das Retabel im Sammlungsbestand der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Die jüngst aufwendig restaurierte Lehrtafel (s. Arsprototo 2/16), kehrt für die Schau nach mehr als 350 Jahren an ihren ursprünglichen Bestimmungsort Stuttgart zurück.
Mit insgesamt rund 200 Exponaten, darunter glanzvolle Werke des Stuttgarter Bestandes und bedeutende Leihgaben internationaler Museen und Privatsammlungen, ermöglicht die erste monografische Ausstellung zum Meister von Meßkirch eine umfassende Auseinandersetzung mit dem kunst- wie kulturhistorisch außergewöhnlichen Schaffen des herausragenden anonymen Kompositeurs und Koloristen.