Der Lebens-Laden
Läden ziehen Hans-Peter Feldmann magisch an. Sein Laden ist die wichtigste Sache in seinem Leben. 1975 gründete er ihn in der Altstadt von Düsseldorf. 40 Jahre später hat er ihn geschlossen und mithilfe seines findigen Berliner Galeristen veräußert. So wie sich der Laden zu Geschäftszeiten tagtäglich präsentierte, mit seiner schillernden Ware – ein paar tausend Objekte waren es sicher –, mit den Wänden nach den original baulichen Umrissen, den Regalen, der Theke und Kasse, den Lampen, den Schaufenstern und dem früher davor meist abgestellten Fahrrad, ist er ins Münchner Lenbachhaus umgezogen. Feldmann musste mit mehreren Hilfskräften alles vorsichtig einpacken. Berge von Kartons bargen tausend Dinge, zwei LKW überführten die kostbare Fracht aus dem Rheinland nach Bayern.
Man darf darüber staunen: Das erste reale Geschäft steht nun in einem deutschen Museum. Mit dem Umzug und späteren Erwerb findet eine einmalige Metamorphose statt. Der einst mit großer Leidenschaft geführte Kuriositätenhandel für technische Antiquitäten und Blechspielzeug aus aller Welt wird umgedeutet, mit einem Mal als Kunstwerk bewertet. Das klingt nach einem cleveren Schachzug. Das sollte mal jemand anders versuchen, der nicht Hans-Peter Feldmann heißt und ein international gefeierter Künstler ist.
Die Frage ist also mehr als berechtigt: Kann ein Geschäft Kunst sein? Der Künstler nickt. Die Kunst und der Laden berühren im Leben von Hans-Peter Feldmann dieselben Gefühle, die gleichen Strategien und Ziele. Feldmann sagt, dass alle Kunst einer Idee entspringe, dass die daraus abgeleitete Vorgehensweise mühsam sei, ein ständiges Probieren. „In dieser Phase geht es vor und zurück.“ Beim Laden sei das nicht viel anders gewesen. Er habe stets versucht, Objekte und Ware zu finden, die in seinen Augen Schätze sind. Dann musste er diesen Moment der Spannung ertragen, die Erprobung, ob er mit dem, was in seinen Augen besonders war, Begehrlichkeiten wecken konnte. In beiden Fällen, sagt er, geht es ihm um seine Anerkennung, um die Anerkennung des Außergewöhnlichen.
Nur ein Beispiel dazu. In der Weihnachtszeit hatte Feldmann Osterhasen in die Vitrinen gestellt. „Und die Kunden fanden das toll“, sagt er. „Meine Ideen wurden honoriert.“ In seinem Laden habe es mehr Kunst gegeben als in manchem Museum, sagt Feldmann. Und dass sein Laden sein Museum war. „Viele Museen können ein Laden sein“, lautet Feldmanns Verallgemeinerung, „und viele Läden können ein Museum sein. Das ist nur eine Grenzwanderung, denn da ist eine Überlappung zwischen Museum und Laden.“
Der 1941 in Düsseldorf geborene Feldmann erzählt gerne, wie er zum Ladenbesitzer wurde. „In den 1970er-, 1980er-Jahren war kein Gedanke daran, dass man von Kunst leben konnte. Man musste zusehen, wie man an ein Gehalt kam. 1979 hatte ich aufgehört, am Kunstmarkt teilzunehmen. Ich wollte mich zehn Jahre von der Szene fernhalten.“ Neben der Kunst, die er für sich weiter betrieb, war das Ladenprojekt für ihn gleichsam künstlerischer Ausdruck und noch dazu sehr viel Arbeit. Als ausgebildeter Chemie-Ingenieur sei er stets besonders wissenschaftlich interessiert gewesen. So waren in seinem ersten Geschäftslokal gegenüber der Düsseldorfer Kunsthalle die Highlights antike technische Messgeräte wie Photographica, Nautika und Geodätika. Daneben gab es Blechspielzeug, was sein Hobby war. Das Geschäftliche war ihm nicht fremd, seine Devise lautete ganz simpel: „Hier billig einkaufen, um dort teuer zu verkaufen.“ Dem Vater, der in Hilden, wo Feldmann aufgewachsen ist, eine Drogerie führte, hatte er das Kaufmännische abgeguckt. Der Laden brummte. Weit und breit existierte kein zweiter Laden mit dem Feldmannschen Sortiment. Nur ein kleineres Geschäft gab es da noch in Düsseldorf mit Photographica im Angebot, den hat Feldmann aufgekauft.
Die Kundschaft kam von weither, viele zog es direkt nach dem Besuch der Kunsthalle zu Feldmann. Die großen in Düsseldorf ansässigen Werbeagenturen bedienten sich seiner Raritäten für Werbeauftritte und Shootings. Sie mussten für die Ausleihe zehn Prozent vom Preis zahlen. Einiges konnte er an Museen verkaufen. Feldmann, der als Einkäufer mit gutem Riecher weltweit auf Märkten und Messen unterwegs war, war bekannt in der Sammlerszene. Bis Tokyo reichte sein Ruf. Ein Japaner auf Geschäftsreise in Paris beschloss, einen Abstecher nach Düsseldorf zu machen, um in Feldmanns Laden herumzustöbern. Seine Trouvaille war ein Kneifer mit geschliffenen Gläsern. Dass der 25 Mark damals gekostet hat, weiß Feldmann heute noch genau, und dass er die gesamte Kiste Kneifer in Schottland aufgetan hatte.
Feldmann war international orientiert, schaltete Anzeigen, kaufte in China, Syrien, Österreich und Schottland ein, in Städten wie Chicago, Mailand oder Birmingham. In seinen Schaufenstern dekorierte er liebevoll so abgedrehte Dinge wie eine Plastik-Queen mit Winke-Ärmchen oder eine aus der Form gelaufene surrealistisch anmutende Wanduhr; mit kleinen Eiffeltürmen hielt er eine wahre Rarität in Düsseldorf vor. Und Angela Merkels Konterfei thronte als Kopf auf einer Zitronenpresse. Was über die Jahre in vier verschiedenen Ladenlokalen – eine Zeit lang betrieb er sogar zwei Läden gleichzeitig – alles im Angebot war, lässt sich schwerlich auflisten. In der Düsseldorfer Altstadt nannte man ihn den „Retro-Feldmann“. Doch der Beliebigkeit gab er keine Chance. Jedes Einzelteil entsprach präzise seinen Vorstellungen. Weder Kerzenleuchter noch Silberzeug oder Teppiche bot er zum Verkauf, das betont er. Und wenn jemand von seinem Laden als „Trödelladen“ spricht, habe der nichts verstanden. Dann wird Feldmann ärgerlich.
So wie Hans-Peter Feldmann für seine vielgestaltige konzeptionelle Kunst die Welt erforscht, die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen seziert und spiegelt, das Banale des Alltags einfängt und beleuchtet und sich immer wieder neu und frisch gebärdet, so intuitiv-spontan hielt er es auch mit seinem Geschäft. Einmal hatte ihm ein Londoner Händler Bilderrahmen für Fotos verkauft, eine beträchtliche Anzahl. Erst später bemerkte Feldmann den Pfusch, man hatte neue Rahmen auf Alt getrimmt. Als er sah, dass die Kunden die Rahmen trotzdem kauften, schwenkte er, ganz Geschäftsmann, strategisch um. „Von Retro auf Neu“, erzählt er schmunzelnd. Der Laden wurde daraufhin noch bunter. Ein anderes Mal bewies er seine Beharrlichkeit. Bei Sotheby’s in London stand eine alte Filmkamera zur Auktion. Feldmann war mit dem Wagen dorthin unterwegs und geriet in einen Stau. Es sah nicht gut aus für ihn, doch er wollte, ja er musste diese Kamera unbedingt haben. So ließ er das Auto einfach stehen und rannte zu Fuß weiter. In dem Moment, als er Sotheby’s betrat, kam das Los zum Aufruf. Für ein paar tausend Pfund ersteigerte er das Objekt seiner Begierde.
Dass Feldmann wieder zurück zum Kunstbetrieb fand und eine steile internationale Karriere ihren Lauf nahm, ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass er in seinem Laden Fingerhüte feilbot, für die sich Kasper König (*1943) besonders interessierte. Eines Tages kam er wieder mal in den Laden, um – ganz unverdächtig – einen Fingerhut für seine Frau zu erwerben. Beiläufig wollte er Hans-Peter Feldmann überreden, an einer Ausstellung im Frankfurter Portikus teilzunehmen. König war seit 1987 Rektor der Städelschule und kuratierte die Ausstellungen. Mit einem ebenso guten wie schmeichelhaften Argument fing er den Mann hinter der Ladentheke ein. Seinen Studenten, so sagte König, sei er ein Vorbild, sie betrachteten ihn als einen ihrer Generation. „So bin ich wieder reingekommen“, erinnert sich Feldmann. Und dass der Antrieb Alterseitelkeit gewesen sei. Mit vierzig habe für ihn die zweite Hälfte des Lebens begonnen. Lieber wäre er jung geblieben. 1989 stellte er im Portikus aus. Bereut hat er das alles nicht.
Fragt man einen Schauspieler nach seinem wichtigsten Film, dann nennt er meist den aktuellen. Bei Hans-Peter Feldmann ist es anders. Auf die Frage nach seinem wichtigsten Werk erhält man zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Antworten. Dem Kunsthistoriker Georg Imdahl gab er 2010 an, sein Schlüsselwerk seien „alle Arbeiten mit Frauen“. Unüberschaubar viele gibt es davon, Fotoserien, Collagen, Alben. Das berührendste und umfänglichste darunter ist indes sein wenig bekanntes Feldforschungsprojekt mit weiblichen Strafgefangenen in Köln-Ossendorf. Ein Jahr lang hatte der Künstler die Insassinnen der JVA besucht, Gespräche mit ihnen und dem Personal geführt, Fotos gemacht. So sammelte er Belege des Lebens in dieser sozialen und emotionalen Finsternis ein. Seine das Projekt resümierende Auffassung lautet: Die meisten Inhaftierten seien Opfer der Gesellschaft. Das daraus resultierende Künstlerbuch im Verlag Walther König ist ein Beleg für Feldmanns Empathie und für seinen Humanismus. Diese Arbeit von Anfang 2000 habe ihn verändert, gibt der Künstler zu Protokoll.
In diesen Tagen aufs Neue befragt nach seinem Schlüsselwerk, nennt er die Serie aus 101 Schwarz -Weiß -Fotos, „100 Jahre“, mit der er Menschen jeden Lebensalters, vom Neugeborenen bis zum Greis, in eine Reihe setzt und das Werden wie das Vergehen des Lebens dokumentiert. Das sei sein wichtigstes Werk, sagt Feldmann, doch der Laden sei sein größtes Werk, „schon vom Volumen her“. Es würde ihm immer noch Spaß machen, ihn weiterzubetreiben, aber es sei zu viel Arbeit, er habe ihn vor allem aus Altersgründen geschlossen.
Fast täglich geht er mit seiner Frau Uschi von der Kö aus ins Eiscafé, das gegenüber dem ehemaligen Laden liegt. „Wie es den Mörder immer wieder zum Tatort zieht, so sitze ich heute fast jeden Tag im Café Roma Ecke Berger/Hafenstraße.“ Alles, was mit dem Laden zu tun hat, sei noch immer sehr emotional, bekennt er. In Düsseldorf hätte er den Laden nicht länger haben wollen, da wäre er doch immer wieder nur hingelaufen. München sei nicht zu nah und nicht zu weit weg. Dort kann er seinen Laden immer wieder besuchen. Im Frühsommer war er erst da.
Kuriose Dinge passierten im Lenbachhaus, seit der Düsseldorfer Laden 2015 erstmals aufgebaut wurde. Beinahe erwartungsgemäß fragte eine Besucherin: „Ist das jetzt Kunst oder arbeiten die noch?“ Auch die Museumsaufsicht war sich lange Zeit nicht im Klaren über die Bedeutung des Neuzugangs. Ein Wächter fragte den Künstler: „Was wird das hier?“ Feldmann antwortete: „Ein Laden“. „Aber der ist doch schon unten“, entgegnete der Wächter. „Unten ist ein Laden, und hier ist ein Laden“, erklärte Feldmann. „Aber der Laden hier ist doch kein Laden!“ Ein anderer Museumsbediensteter wollte für alles in der Welt ein Objekt aus Feldmanns Laden als Geschenk anlässlich des Geburtstages seiner Frau erstehen, zehn Euro bot er für ein Figürchen und wollte trotz aller Erklärungen nicht nachgeben. Seine Hartnäckigkeit steht auch für das allgemeine Unverständnis von Konzeptkunst. Der in einem Moment für die Ewigkeit eingefrorene Laden hat es – anders als früher – schwer bei der großen Mehrheit der Menschen. Er soll fortan als Kunstwerk betrachtet werden, das er nun geworden ist. Im musealen Raum des Lenbachhauses steht die Installation als beredtes Zeugnis für die jüngere Geschichte von Konzeptkunst.
Man kann und muss und will nicht alle Kunst verstehen heute. Selbst Feldmann gibt zu, dass er manche Kunst von heute gar nicht versteht. Er sagt, dass für ihn Kitsch wertvoll sei, denn Kitsch sei Kunst ohne Tränen. Ihm würde es einen Heidenspaß bereiten, Kitsch ins Museum zu bringen. Nach gängigen Kategorien lässt sich dieser Feldmann schwer fassen. Der macht doch nur Witze, sagt ein berühmter Düsseldorfer Kollege über ihn in Verkennung des Gesamtwerkes. Feldmann ist ein eigener Kosmos, eine Art Nicht-Künstler mit Nicht-Atelier. Gleichzeitig ein würdiger Nachfolger von Marcel Duchamp oder Andy Warhol. Mit Duchamp verbindet ihn das Objekthafte seiner Kunst, vielleicht sogar die Haltung der Kunstverweigerung. Wie Warhol hat er die gleiche Unbefangenheit gegenüber dem Kommerz und huldigt der Liebe zur Massenkultur.
Jetzt gerade hat Hans-Peter Feldmann wieder neues künstlerisches Terrain betreten, Mitte Oktober stellte er in München bei Verleger Lothar Schirmer eine Serie mit den ersten Modefotos vor, die er je in seinem Leben gemacht hat. Mode und Frauen – das spricht ihn sehr an. Ein dreitägiges Defilee begleitete die Vernissage. Eine abgedrehte Sache, so frohlockt er. Und ein Anlass, seinen geliebten Laden wieder zu besuchen.
Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Künstlersozialkasse, private Spenden