Der lauschende Lukas

Es scheint, als hielte Lukas nur kurz im Schreiben inne und lausche der göttlichen Inspiration, bevor er im nächsten Moment seine Feder erneut auf das Papier führen und die Geschichte von Jesus niederschreiben wird. Über ihm ruht sein ständiger Begleiter, der geflügelte Stier, als wache er über ihn.

Das Evangeliar, in das die feine Federzeichnung mit roten Farbakzenten eingefügt wurde, gibt den Wissenschaftlern viele Rätsel auf: Wer war der geheimnisvolle Künstler und Schreiber des kostbaren Buches? Wofür wurde die Handschrift genutzt? Licht ins Dunkel können nun vielleicht fränkische Forscher bringen, denn die Staatsbibliothek Bamberg erwarb jüngst diese kleine Kostbarkeit auf auffallend feinem und dünnem Pergament. Zusammen mit der ungewöhnlich früh um 1000 entstandenen lateinischen Handschrift gelangten auch ein prächtiges Chorbuch sowie eine Nachzeichnung des wertvollen bischöflichen Schultertuches aus dem Bamberger Domschatz in die Bibliothek.

Zeichnung des Evangelisten Lukas, lateinisches Evangeliar, um 1000, Niedersachsen (?), Perga-ment, 189 Bl., 19,9 x 13,7 cm (Ausschnitt) © Staatsbibliothek Bamberg, Foto: Gerald Raab
Zeichnung des Evangelisten Lukas, lateinisches Evangeliar, um 1000, Niedersachsen (?), Pergament, 189 Bl., 19,9 x 13,7 cm (Ausschnitt) © Staatsbibliothek Bamberg, Foto: Gerald Raab

Die mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Oberfrankenstiftung erworbenen Zimelien stammen aus der Büchersammlung des Grafen Lothar Franz von Schönborn (1655–1729), Fürstbischof von Bamberg sowie Kurfürst und Erzbischof von Mainz. Der ambitionierte Sammler legte 1725 den Grundstock für seine Bibliothek im Schloss Weißenstein im fränkischen Pommersfelden. Dort wurden sie knapp 300 Jahre aufbewahrt und befanden sich bisher im Eigentum der Familien-Kulturstiftung Graf von Schönborn-Wiesentheid. Nun finden sie einen aus historischer und fachlicher Perspektive adäquaten Platz in Bamberg.

Neben dem Evangeliar wurde der Ankauf weiterer, für die Region bedeutenden Stücke ermöglicht: Eine um 1463/64 entstandene Choralhandschrift ist mit einer Länge von über einem halben Meter und einem Umfang von 336 Blatt ein wahrer Riese unter den Handschriften. Doch neben ihrer Größe birgt sie zusätzliche Besonderheiten: Reich verziert weist sie zahlreiche detaillierte Miniaturen auf Goldgrund mit Szenen aus dem Leben Christi auf, während Akanthusblätter aus den Initialen wachsen und die Notenlinien umranken. Auch der Einband beeindruckt durch seine mit Einhörnern verzierten Bronzebeschläge und die am unteren Deckelrand montierten, ungewöhnlichen Eisenschienen, die den schweren Kodex bei Lagerung auf einem schrägen Pult stützen.

Das Interesse der Staatsbibliothek Bamberg weckte außerdem die Nachzeichnung des filigran figürlich bestickten Schultertuches des Bischofs aus dem Bamberger Domschatz: Entstanden um das Jahr 1415, fungierte sie möglicherweise als Entwurf für eine Neuanfertigung des kostbaren Originals, das sich bereits im 15. Jahrhundert in einem fragmentarischen Zustand befand. Die Zeichnung ist in Form einer Schnittvorlage gestaltet, mit ausgesparten Armansätzen und zwei seitlich herabhängenden Bändern. Durch die akribische Kopie der Vorlage können die teilweise verloren gegangenen Stickereien und Inschriften des Originals heute noch gedeutet und entziffert werden. Zudem stellt es mit den fein durchmodellierten Gesichtstypen und den vielen ornamentalen Details im reinen Stil der internationalen Gotik um 1400 ein eigenständiges Kunstwerk dar.