Mediale Wanderung

Stumm flimmert ein Fernsehbild, lediglich sichtbar durch einen unscheinbaren Riss in der Leinwand – die dreiteilige Werkgruppe „Transmigración“ markiert nichts Geringeres als die Geburtsstunde der Medienkunst: Denn Wolf Vostell kombinierte in diesen Arbeiten erstmals das traditionelle, statische Medium der Malerei mit einem TV-Gerät und läutete damit das Zeitalter der Intermedia-Experimente ein. Mit dem 1958 entstandenen Bildobjekt „Transmigración II“ konnte nun das ZKM – Zentrum für Kunst- und Medientechnologie Karlsruhe einen kunsthis­torischen Meilenstein mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder für seine Sammlung erwerben.

Maler, Bildhauer, Videokünstler, Happening-Aktivist und führender Kopf der europäischen Fluxus-Bewegung – Wolf Vostell (1932–1998) gilt als künstlerischer Grenzgänger, der innovativ, geistreich und vielschichtig in allen Gattungen operierte. Der umtriebige Künstler kommentierte dabei in seinen Arbeiten gleich einem Seismographen die politischen Erschütterungen und das Zeitgeschehen. Insbesondere Fernsehapparaten, die zu den bedeutendsten industriellen Konsum­artikeln der Nachkriegszeit zählen, schenkte er seine Aufmerksam­keit und lotete multi­perspektivisch das künstlerische Potenzial des noch jungen Massenmediums aus: So produzierte Vostell neben Nam June Paik (1932–2006) erste Beispiele der Videokunst, veranstaltete am 11. September 1964 im ZDF das TV-Live-Happening „Weißer als weiß“, inszenierte raumgreifende TV-Installationen mit technisch mani­pulier­ten Bildröhren und goss die Empfangsgeräte gar in Beton.

Mit dem vom ZKM direkt aus dem Nachlass erworbenen Werk „Transmigración II“ schuf Vostell jedoch eine seiner ersten medialen Arbeiten. Beschwingt fügte er pastose Farbe zu einem Ölbild mit kraftvoller, die Figuration nur noch andeuten­der, dunkel glühender Malerei, schnitt und riss danach eine Öffnung in die Lein­wand, durch welche die Bilder eines geschickt dahinter installierten Fernseh­gerätes aufleuchten: Somit entstand ein avantgardistisches Kunstobjekt, das sich durch die wechselnden TV-Programme seit einem halben Jahrhundert stets im Wandel befindet. Die für nachfolgende Künstlergenerationen einflussreiche Arbeit gesellt sich im Museum für Neue Kunst des ZKM zu Werken aus verschiedenen Epochen von Vostells Schaffen. Mit dem Hybrid aus Gemälde und elektroni­schem Apparat ergänzt das Karlsruher Haus seine der Entwicklung der Medientechno­logie und Kunst gewidmeten Sammlung um ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts.