Wie alles anfing: Bundestagsdebatte zur Gründung der KSL
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Willy Brandts Idee einer Deutschen Nationalstiftung
Den Anfang macht Willy Brandt, der in seiner Regierungserklärung am 18. Januar 1973 erstmals davon spricht: „Für alle Kunst ist der Weg in die Politik kürzer geworden, und das ist gut so. Es würden sich, wie ich meine, meine Damen und Herren, viele Träume erfüllen lassen, wenn eines Tages öffentliche und private Anstrengungen zur Förderung der Künste in eine Deutsche Nationalstiftung münden könnten!“
Was Willy Brandt 1973 über die Idee einer Deutschen Nationalstiftung sagt, klingt fast beiläufig. Es geht nicht etwa um eine weitere große Linie für das Regierungshandeln des zweiten sozialliberalen Kabinetts, die Brandt zuvor in seiner Rede gezeichnet hat. Und es klingt weniger wie die Formulierung einer entschlossenen Vision, eher wie eine dahingeworfene Idee, auf deren Konkretisierung er gerade mal zwei weitere Sätze verwendet: „Ansätze dazu böte die Stiftung preußischer Kulturbesitz, an der neben dem Bund Bundesländer beteiligt sind. In einer Nationalstiftung könnte auch das lebendige Erbe ostdeutscher Kultur eine Heimat finden.“
Dass Brandt sich so vage hielt, mag verschiedene Gründe haben. Zum einen hatte er auf einen „perfektionistischen Versprechenskatalog“ verzichten wollen, wie er seinem Kabinett in einer vorweihnachtlich versandten „Prinzipien-Skizze“ zum Arbeitsprogramm der kommenden vier Jahre mitgeteilt hatte; offenbar eine Lernerfahrung aus der Vielzahl an Versprechen und Ankündigungen in seiner Regierungserklärung vom Oktober 1969, derer viele sich als unerfüllbar erwiesen hatten.
Zum anderen muss man sich vor Augen halten, um wieviel weniger als heute seinerzeit die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Kulturpolitik geübte Praxis war. Dass der Bund in diesem Bereich eine Stiftung errichten wollte, musste zuallererst in verfassungsrechtlicher Hinsicht durchdacht und diskutiert werden. Die Kulturhoheit lag und liegt verfassungsgemäß bei den Ländern. Zudem hatten die Allierten die ausdrückliche Auflage formuliert, vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Missbrauchs von Kunst und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland die kulturpolitische Verantwortung des Staates sehr zurückhaltend zu interpretieren. In der langen Auseinandersetzung vor allem zu der Verfassungskonformität einer solchen Stiftung und den sich daraus ergebenden Fragen sollte der Bund, vor allem aber die Presse das Wachen der Länder über ihre Kulturhoheit gern als „Argwohn“, „Kleinlichkeit“ oder „Misstrauen“ interpretieren.
Nicht zuletzt war die von Willy Brandt genannte Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) nur bedingt als Vorbild für eine solche Zusammenarbeit von Bund und Ländern geeignet. 1957 war die SPK gegründet worden. Die Bundesrepublik Deutschland hatte mit ihr die Zusammenführung des preußischen Kulturerbes zu einer nationalen Aufgabe gemacht. Finanziert werden sollte sie vom Bund und den Ländern. Und doch waren noch 1973 – neben dem Bund – nur vier Länder dabei: Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Steigende Personal- und Sachkosten gefährdeten deren Tätigkeit. Der Bund warb in verschiedenen Gesprächsrunden für ein stärkeres Engagement der Länder, doch das Abkommen über eine Finanzierung durch den Bund und alle Länder sollte erst im Folgejahr unterzeichnet und 1975 wirksam werden. Die Situation war Willy Brandt sehr wohl bekannt. Nicht ohne Grund hatte er – der Stenograf hat diese Feinheit im Protokoll unterschlagen – tatsächlich gesagt: „Ansätze dazu böte die Stiftung preußischer Kulturbesitz, an der neben dem Bund Bundesländer – ich setze keinen Artikel davor – beteiligt sind.“
Der Vorschlag von Günter Grass
Die Idee geht zurück auf eine Korrespondenz, die Willy Brandt seit acht Jahren mit dem Schriftsteller Günter Grass pflegt. Im Februar 1970 führt Egon Bahr in Moskau Gespräche mit Andrei Gromyko über einen Gewaltverzichtsvertrag, den späteren Moskauer Vertrag. Zeitgleich schreibt Grass, ein Bewunderer und seit 1961 Wahlkämpfer Brandts, mittlerweile mit ihm per „Du“, über seine Befürchtungen, was eine faktische Festschreibung der Grenzen zwischen der Bundesrepublik und der DDR sowie der DDR und Polen mit sich bringen könnte. Durch sie werde, so Grass, den ehemaligen Flüchtlingen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und Danzig die Illusion genommen, doch noch einmal in die Heimat zurückzukehren. Ihre Enttäuschung könne sich auswachsen „zu einem Vakuum, das dann neuerdings durch demagogischen Nationalismus ausgefüllt werden könnte“.
Der Moskauer Vertrag und der ebenfalls 1970 verhandelte Warschauer Vertrag werden schließlich am 17. Mai 1972 im Bundestag ratifiziert. Zwei Tage später schreibt Günter Grass, bezugnehmend auf die Korrespondenz aus 1970 jenen Brief, in dem er Brandt vorschlägt, „aus Bundesmitteln eine Stiftung zu machen, die sich die Aufgabe stellen sollte, die verstreuten, laienhaft verwalteten Kulturgüter der verlorenen Ostprovinzen zu sammeln und sie in wissenschaftliche Obhut zu nehmen“, sie „großzügig zu planen, sie modern und offen zu gestalten, sie in Berlin anzusiedeln“.
Nach Verabschiedung der Verträge sei „eine besondere Anstrengung der bundesdeutschen Gesellschaft notwendig (wenn es zur Finanzierung der Olympiade eine Fernseh-Lotterie gibt, warum dann nicht eine für die von mir vorgeschlagene Stiftung). Ein Volk, das durch Krieg und Kriegsschuld mehr als drei Provinzen verliert“, so schrieb Grass weiter, „ist geschlagen und hat Verlust erlitten; ein Volk jedoch, das aus freien Stücken darauf verzichtet, einen Teil der kulturellen Substanz jener verlorenen Provinzen zu sammeln, zu retten und abseits vom üblichen musealen Denken andernorts öffentlich, das heißt weiter wirksam zu machen, ein solches Volk versagt erbärmlich vor sich und seiner eigenen Kultur“.
Zustimmung durch die Opposition – Richard von Weizsäcker
Bereits sechs Tage nach der Regierungserklärung von Willy Brandt signalisiert die Opposition im Bundestag Zustimmung. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Richard von Weizsäcker, hält die Idee für „sehr gut“. „Mit ihr könnte“, so Weizsäcker, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) „endlich geistig und materiell auf einen breiteren Boden gestellt werden“. Weizsäcker sieht also weniger die SPK als Vorbild, sondern eher die zu gründende Stiftung als Modell, um das drängende Problem der anteiligen Finanzierung der SPK zu lösen.
Doch die Tatsache, dass es fortan gemeinsamer Wunsch aller im Bundestag vertretenen Parteien im Deutschen Bundestag ist, eine solche Stiftung zu gründen, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es keinen Konsens und auch keine Klarheit darüber gibt, worüber man da eigentlich spricht. Und so beginnt eine lange Debatte über den Stiftungszweck, die Trägerschaft, die Rechtsform, den Sitz, die anteilige Finanzierung und die Besetzung der Gremien. Nach zwei Jahren intensiver Debatte heißt es in einem Bericht des SPIEGEL über den Zwischenstand: „Umstritten ist fast alles: Befugnisse, Standort, Name und finanzielle Ausstattung.“ Und dabei wird es bleiben für weitere zehn Jahre, in deren Verlauf von Bundes- und von Länderseite zahlreiche Konzepte entstehen werden.
Der erste Entwurf
In der Kabinettssitzung vom 12. September 1973 beauftragt Willy Brandt Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, binnen eines Jahres „eine Konzeption über die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung“ vorzulegen. Der nun entstehende Entwurf wird am 22. April 1974 den Ländern als „Diskussionsentwurf“ zugeleitet, die umgehend erklären, ausreichend Zeit und Gelegenheit für eine interne Meinungsbildung innerhalb der einzelnen Länder und für eine Abstimmung untereinander zu benötigen.
Als Willy Brandt infolge der Guillaume-Affäre am 6. Mai 1974 zurücktritt, wird Genscher am 16. Mai 1974 als Außenminister und Vizekanzler in das Kabinett von Helmut Schmidt berufen. Im Bundesinnenministerium übernimmt Werner Maihofer, der schließlich am 15. Mai 1975 als Antwort auf eine kleine Anfrage der Unionsfraktion dem Bundestag die erste Konzeption für die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung vorlegt.
Man kann das Konzept als die „Urfassung“ der Stiftungssatzung der Kulturstiftung der Länder sehen, in der sich noch heute viele der Formulierungen von 1975 finden. Aufgabe der Stiftung, die Maihofer als öffentlich-rechtliche Stiftung des Bundes denkt, soll u. a. die Förderung kultureller Einrichtungen und Maßnahmen sein, die für den bundesstaatlichen Gesamtverband besonders bedeutsam sind und in denen der kulturelle Rang der Nation zum Ausdruck kommt. Daneben geht es um „die Förderung von gesamtstaatlich repräsentativen Projekten bedeutsamer Museen, Bibliotheken, Archive, Akademien und anderer Einrichtungen, die Sicherung und den Erwerb zeitgenössischer und alter Kunst sowie die Sicherung und den Erwerb von Sammlungen und Nachlässen; die Förderung internationaler Treffen von Künstlern und Autoren sowie von internationalen Kongressen; die Förderung besonders begabter junger deutscher Künstler, vor allem im Hinblick auf ihre Durchsetzung im Ausland oder die Förderung besonderer Vorhaben z. B. im Rahmen bedeutsamer Ausstellungen und Festspiele“.
Die Debatte über den Stiftungssitz
Dass die Kulturstiftung der Länder ihre Tätigkeit einmal in West-Berlin aufnehmen würde, war in der Debatte im Bundestag lange nicht abzusehen. Die CDU/CSU-Opposition hatte früh darauf gedrängt, Berlin als Stiftungssitz festzulegen. Die Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt versuchte, mit Verweis auf das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971, eine Provokation der Alliierten und deshalb eine unabgesprochene Festlegung auf einen Stiftungssitz in Berlin zu vermeiden.
Es ist der Radiobericht eines Moskauer Senders, der die Debatte über den Stiftungssitz anstößt. Der „Sowjetsender“ hatte berichtet, dass die Bundesregierung bei Staatsbesuchen Berlin mittlerweile außen vor lasse und sich in der Stadt keine Bundesämter und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland mehr niederließen. Die Meldung ist am 19. September 1975 Thema einer Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Fritz Wittmann, der die Bundesregierung fragt, was sie zu unternehmen gedenke, „um der Sowjetunion deutlich zu machen, daß die Einbeziehung des Landes Berlin in die Besuchsprogramme von Gästen der Bundesregierung sowie die Errichtung von Bundesämtern und Institutionen, wie z. B. einer ‚Deutschen Nationalstiftung‘, zur Entwicklung der Bindungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin gehört, wie sie im Vier-Mächte-Abkommen ausdrücklich bekräftigt worden ist“.
Hintergrund der Frage sind unterschiedliche Auffassungen bei Regierung und Opposition über die sozialliberale Entspannungspolitik und darüber, wie streng das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 auszulegen sei. In dem Abkommen hatte Moskau die faktische Zugehörigkeit West-Berlins zur Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland akzeptiert und erstmals seit 1945 den ungehinderten Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin garantiert. Gleichzeitig wurde darin festgestellt, dass die Berliner Westsektoren auch weiterhin nicht von der Bundesrepublik Deutschland regiert werden und dass sie weiterhin kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik Deutschland sind. Bonn hatte daraufhin seine Präsenz in Berlin reduziert. Die Regelung führte bis 1989/1990 regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR insbesondere bei Ansiedlungen von Bundeseinrichtungen in West-Berlin.
Als beispielhaft für die zahlreichen Debatten über unterschiedliche Auffassungen von Regierung und Opposition kann die Plenardebatte vom 5. Mai 1976 gelten, in der der CDU-Abgeordnete Jürgen Wohlrabe zunächst fragt, welche Gründe die Bundesregierung veranlassten, „in der Frage, die Deutsche Nationalstiftung in Berlin einzurichten, eine zögernde Haltung einzunehmen“. Eine Frage, die er und andere Unionsabgeordnete in verschiedenen Formulierungen immer und immer wiederholen. Und ein geduldiger Parlamentarischer Staatssekretär Jürgen Schmude gibt in unterschiedlichen Formulierungen die immer gleiche Antwort: Es seien noch viele Fragen offen, auch aufseiten der Länder. Über den Stiftungssitz werde die Bundesregierung aber erst nach deren Klärung und nach den Konsultationen mit den Allierten entscheiden und sich dazu äußern. Bundeskanzler Helmut Schmidt, der in seiner Regierungserklärung vom 12. Mai 1977 die „strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens“ als „wesentlich für die Vertiefung der Entspannung, für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und für die Entwicklung der Zusammenarbeit in ganz Europa“ hervorhob, sagt dazu, er halte es für „wenig hilfreich, jetzt weitere Streitfälle in die Welt zu setzen“.
Dabei hatte er sich, ebenso wie Kanzler Brandt, bereits – außerhalb des Parlaments – für den Stiftungssitz Berlin ausgesprochen, was wiederkehrend von der CDU/CSU-Opposition thematisiert wird. Andererseits schien eine Vorentscheidung vonseiten der Alliierten bereits gefällt zu sein. Im Nachgang der Ansiedlung des Bundesumweltamtes in Berlin im Jahr 1974 hatte ein Botschafter einer im Bundestag nicht näher benannten alliierten Schutzmacht vor Vertretern des Bundestages erklärt, dass es keine weitere Ansiedlung einer Bundeseinrichtung in Berlin geben dürfe. Zudem hatte der Kanzlerkandidat der Union und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, bei einer USA-Reise im Vorfeld der Bundestagswahl 1976 den US-Präsidenten persönlich gefragt, was er von der Ansiedlung einer Deutschen Nationalstiftung in Berlin halte. Gerald Fords Antwort, „Im Augenblick nichts“, hatte seinerzeit wie eine Absage geklungen.
Später, nach der Wahl im Oktober 1976, erklärt der Berliner CDU-Abgeordnete Johann Baptist Gradl, der bei der vermeintlichen Warnung des „Vertreters einer westlichen Macht“ dabei gewesen war, es habe sich um dessen „persönliche Meinung“ gehandelt – kein Veto also. Und auch Helmut Kohl, mittlerweile Bundestagsabgeordneter, der zumal als CDU-Abgeordneter auch Berlin als Stiftungssitz fordert, verwahrt sich nun dagegen, dass diese Forderung im Widerspruch stehe zu seinem Bericht über das Gespräch mit Präsident Ford: „Ich habe dem Präsidenten die Frage zurückgegeben (…): Was empfände wohl ein amerikanischer Präsident, wenn sein Vaterland geteilt wäre, wenn mitten durch Washington, am Capitol vorbei, eine Mauer diese Hauptstadt der Vereinigten Staaten trennte und wenn dann die Amerikaner in dem einen Teil, im freien Teil Amerikas sagten: ‚Wir wollen aber eine Stiftung, welche die Identität der amerikanischen Nation symbolisiert, selbstverständlich nach Washington legen.‘?“
Angesichts der in Berlin sinkenden Bevölkerungszahl und der – anders als in Westdeutschland – sinkenden Zahl an wirtschaftlichen Investitionen, halten die Unionsparteien die Ansiedlung der Nationalstiftung in Berlin für ein wichtiges Signal auch an die Wirtschaft, wie der CSU-Abgeordnete Franz Josef Strauß, der 12 Jahre später erster Stiftungsratsvorsitzender der Kulturstiftung der Länder werden soll, betont: „Es ist nicht Feigheit, und es ist nicht eine Ausrede, wenn namhafte und zahlungsfähige Vertreter der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn schon die Bundesregierung nicht den Mut hat, den Sitz der Nationalstiftung in Berlin festzulegen, wie kann man dann von uns verlangen, dass wir von Jahr zu Jahr größere Investitionen in Berlin tätigen sollen?“
Zwischenzeitlich hatten sich – im April 1976 – die Kultusminister der Länder einstimmig für West-Berlin ausgesprochen. Ein offenbar durchgewunkener Beschluss „praktisch ohne Debatte“, wie im Nachgang der bremische Kultursenator Horst-Werner Franke berichtete. Die sozialliberal regierten Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen deuten zeitnah einen Schwenk an, ganz als ob ihnen erst im Nachgang bewusst geworden sei, in welche Verlegenheit sie die Bundesregierung gebracht hatten. Nicht so die unionsgeführten B-Länder. Ein Vermerk aus dem Berliner Kultursenat aus dem Jahr 1981 unterstellt gar, dass deren Beharren auf Berlin als Sitzort nur ein vorgeschobener Grund gewesen sei, „weil man wusste, dass hier der Bund glaubte, nicht mitmachen zu können“. In Wirklichkeit hätten sie, so der Vermerk, eine Kulturstiftung verhindern wollen, in der der Bund zu 50 Prozent das Sagen hat.
Die Zwischenlösung – das Evangeliar Heinrichs des Löwen
Schon 1975 hatte Bundesinnenminister Werner Maihofer mit der Vorlage der ersten Konzeption einer Deutschen Nationalstiftung angekündigt, dass, weil die Verwirklichung des Vorhabens „innerhalb des wünschenswerten zeitlichen Rahmens möglicherweise nicht erreicht werden kann“, die Bundesregierung vorsorglich eine Zwischenlösung vorbereite. Von 1976 bis 1979 stellt der Bund für die zu gründende Stiftung jährlich 12,5 Millionen DM in den Bundeshaushalt ein. Ab 1978 geht die Bundesregierung dazu über, einen Teil dieser Mittel „für die Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer Vorhaben aus den Bereichen Kunst und Kultur in Anspruch zu nehmen“.
1978 versteigert das Auktionshaus Sotheby´s die Kunstsammlung von Robert von Hirsch (1883 – 1977), eine der bedeutendsten Privatsammlungen Europas, 1983 folgt das Evangeliar Heinrichs des Löwen, eine der prachtvollsten Handschriften des europäischen Mittelalters. In beiden Fällen bietet die Bundesrepublik Deutschland – jeweils im Schulterschluss mit mehreren Ländern und Kultureinrichtungen – mit und fördert jeweils bis zu 50 Prozent der Erwerbungen für deutsche Kultureinrichtungen. In beiden Fällen ist es der einstige Finanzberater Konrad Adenauers und ehemalige Vorstand der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs (1901 – 1994), der in Abstimmung mit den erwerbenden Einrichtungen, dem Bund und den mitfördernden Ländern die Ankäufe koordiniert – unter äußerster Diskretion.
Das Geld sei vom Bund bereitgestellt worden, um „diese wertvollen und für den deutschen Kulturraum unersetzlichen Kunstwerke vor einer Abwanderung ins Ausland zu bewahren“, wird Bundesinnenminister Gerhard Baum später erklären, ein Satz, wie er heute fast wortgleich einen der Stiftungszwecke der Kulturstiftung der Länder in deren heutiger Satzung beschreibt. Beide Fälle führen allen Beteiligten vor Augen, wie dringend ein Akteur gebraucht wird, der – zumal bei solch kurzfristigem Handlungsbedarf – mit Routine, Expertise, einem Budget und einem Netzwerk an Mitförderern und politischen Entscheidern ausgestattet ist.
Die Kulturkompetenzen von Bund und Ländern
Die Frage, in welchem Rahmen angesichts der verfassungsmäßigen Kulturhoheit der Länder der Bund in Deutschland Kultur fördern darf, hat die Debatte über eine Deutsche Nationalstiftung fast von Anfang an geprägt. Bereits als Reaktion auf den 1974 von Bundesinnenminister Genscher versandten „Diskussionsentwurf“ äußert am 11. März 1975 die CDU/CSU-Fraktion in einer schriftlichen Anfrage Zweifel an der „Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grundlagen“.
Der Entwurf, den Bundesinnenminister Maihofer am 15. Mai 1975 – ebenso schriftlich – als Antwort auf die Anfrage vorlegt, sieht die rechtliche Trägerschaft der Stiftung allein beim Bund, wobei den Ländern „nicht unerhebliche Einflussmöglichkeiten“ eingeräumt werden sollen. In dem Text formuliert Maihofer neben dem Konzept auch verfassungsrechtliche Erwägungen zur Zuständigkeit des Bundes für Kulturfragen: „Das Grundgesetz weist die Zuständigkeit in kulturellen Angelegenheiten zwar grundsätzlich den Ländern zu.“ Gleichwohl seien Förderungsbedürfnisse vorhanden, für die sich auch der Gesamtstaat verantwortlich fühlen müsse und bei denen es sich um „eine aus der Natur der Sache folgende ungeschriebene Zuständigkeit des Bundes“ handle. Der Bund trage Verantwortung „für die Wahrung des kulturellen Ranges der Nation“. Dies schließe „notwendigerweise die Förderung solcher kultureller Einrichtungen und Maßnahmen ein, die im Rahmen der gesamtstaatlichen Repräsentation für die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gesamtheit von Bedeutung sind und auch Außenwirkung im Sinne kultureller Ausstrahlung entfalten“.
Nach langen Abstimmungen kommen am 13. Oktober 1977 in einer Ministerpräsidentenbesprechung die Länder überein, dass der Vorschlag vom Bund „sowohl hinsichtlich der Rechtsform als auch hinsichtlich der inhaltlichen Konzeption aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Grundlage für die weiteren Verhandlungen sein“ kann. In der von ihnen verabschiedeten Bewertung heißt es: „Dem Bund kommt eine verfassungsrechtliche Zuständigkeit zur Errichtung einer Nationalstiftung ‚aus der Natur der Sache – gesamtstaatliche Repräsentation –‘ nicht zu.“ Es sei also festzustellen, „dass es dem Bund nicht möglich ist, schlüssig seine Kompetenz zum Erlass eines Gesetzes mit der vorgesehenen Aufgabenstellung zu begründen. Die Kompetenz für die Errichtung einer Stiftung mit dem vorgesehenen Umfang des Stiftungszwecks fällt vielmehr gemäß Artikel 30 des Grundgesetzes in die Zuständigkeit der Länder“. Und deshalb bedürfe es einer Mehrheit der Länder im Stiftungsrat.
Was Bundesinnenminister Maihofer davon hielt, hatte er bereits vor der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag erklärt: dass nämlich eine Mehrheit der Länder im Stiftungsrat für den Bund „vollständig unannehmbar ist, weil es dem gesamtstaatlichen Auftrag einer solchen Nationalstiftung schlechterdings widersprechen würde. Sie können doch mit uns nicht wollen, dass der Bund bei einer nationalen Kulturstiftung dieses Ranges in die Rolle eines Juniorpartners gedrängt wird, wie dies gegenwärtig von den Ländern angestrebt wird“. Die verfassungsrechtlichen Differenzen kommen erneut zum Tragen, als die Bundesregierung 1979 die Gelder, die sie für die zu gründende Deutsche Nationalstiftung in den Bundeshaushalt eingestellt hat, zur Förderung in den Bereichen Literatur, Kunst und Musik entsperren will. Die Länder betrachten das übereinstimmend als einen Eingriff in ihre verfassungsmäßigen Kompetenzen, wie der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Johannes Rau, an Bundeskanzler Schmidt schreibt. Und im Dezember des Jahres unterstreicht der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht im Bundesrat: Dem Bund kommt eine eigene Zuständigkeit bei der Pflege von Kunst und Kultur nur in Randbereichen, eine Sachkompetenz nur bei einem kleinen Teil der der Stiftung zugedachten gesamtstaatlich bedeutsamen Aufgaben zu, nicht aber eine ungeschriebene Kompetenz aus der Natur der Sache oder aus dem Gesichtspunkt der gesamtstaatlichen Repräsentation bei der Kulturförderung.
Als im März 1981 die Bundesregierung ihre Vorhaben für die 9. Wahlperiode vorstellt, gehört das Projekt „Deutsche Nationalstiftung“ nicht dazu. Nur ein Leertitel soll darauf hinweisen, dass der Bund jetzt konstruktive Vorschläge der Länder erwartet, so Staatssekretär Günter Hartkopf. Es dürfte der Bundesregierung bekannt gewesen sein, dass zu diesem Zeitpunkt auf Länderseite bereits über ein Konzept für eine länderübergreifende Stiftung diskutiert wird, deren Hauptträger allein die Länder sind. Anders als zuvor in der Deutschen Nationalstiftung vorgesehen, soll diese Stiftung von einer Förderung des aktuellen Kunst- und Kulturlebens absehen, um so die kulturellen Fördermöglichkeiten auszuklammern, bei denen der Bund mitfördern könnte. Das Konzept aus Baden-Württemberg spricht erstmals von einer „Kulturstiftung der Länder“. Eine Wendung, die Bundeskanzler Schmidt bei einem Fernsehauftritt als „kleinkariert und unerfreulich“ werten wird. Doch es dauert nicht lange, da werden aufseiten der Länder verschiedene Konzepte diskutiert, in denen es erneut um die Sitzanteile – auch des Bundes – im künftigen Stiftungsrat geht. Einigkeit besteht schließlich auf beiden Seiten darüber, dass Bund und Länder in der Kulturpolitik zusammenarbeiten müssen. Auf Länderseite gibt es einen Konsens, dass nur die Länder Mehrheitsentscheider im Stiftungsrat sein können.
Eine Sicht, die ganz offenbar die Unionsparteien im Bundestag teilen. In einer Großen Anfrage vom 9. Juli 1982 fragen sie die Bundesregierung, ob sie bereit sei, zu erklären, „dass es grundsätzlich Sache der Länder ist, die für eine gesamtstaatliche Repräsentanz von Kunst und Kultur notwendigen Maßnahmen zu treffen, und dass diese im Interesse der kulturellen Vielfalt der Bundesrepublik Deutschland nicht an einem Ort allein gebunden werden dürfen“. Und sie betonen, dass es richtig wäre, dass die Verhandlungen um die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung in Berlin weitergeführt würden und die Bundesregierung dabei stärker auf die von Länderseite vorgetragenen Vorschläge einginge.
Die Große Anfrage wird nicht mehr beantwortet werden. Kurz nach der Sommerpause, am 17. September 1982 ist die sozialliberale Koalition am Ende. Die FDP-Minister treten zurück und beginnen mit der oppositionellen CDU/CSU über eine Regierungszusammenarbeit zu verhandeln. Helmut Schmidt kündigt die Regierungskoalition auf, zwei Wochen danach wird er mit einem konstruktiven Misstrauensvotum gestürzt. Helmut Kohl wird vom Deutschen Bundestag zum Kanzler gewählt und bei der vorgezogenen Neuwahl am 6. März 1983 im Amt bestätigt.
Die Gründung der Kulturstiftung der Länder
„In die Angelegenheit ist jüngst Bewegung“ gekommen, heißt es schließlich in der Zusammenfassung einer Bund-Länder-Besprechung zu kulturpolitischen Fragen am 16. Januar 1984 aus dem Bundesinnenministerium unter der Überschrift „Deutsche Nationalstiftung bzw. Kulturstiftung“. Die Vorzeichen haben sich geändert. Es geht nicht mehr, wie zu Beginn der Debatte, um „Einflussmöglichkeiten der Länder“ in einer Bundeseinrichtung. Der Bund verhandelt nun über eine Mitwirkung des Bundes an einer Länderstiftung: „Insbesondere der Vorschlag Rheinland-Pfalz/Berlin kommt Vorstellungen der Bundesregierung für eine übergreifende Bund/Länder-Kulturstiftung nahe. Die Vorstellungen der Bundesregierung gehen zusammengefasst dahin, dass der Bund an der Stiftung mitwirken kann und keine Seite – weder Bund noch Länder – unangemessen majorisiert wird.“
Es dürfte kaum zu bezweifeln sein, dass bei diesem Treffen Mitte Januar 1984 bereits der weit fortgeschrittene Beratungsstand auf Länderseite zur Sprache gekommen ist. Denn bereits drei Wochen später, am 9. Februar, einigen sich in Bonn die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder auf die erste Fassung eines Abkommens über die Errichtung einer „Kulturstiftung der Länder“, die sie als Empfehlung an die Regierungschefs der Länder weiterleiten. Dort, wo es in dem Text um den Stiftungssitz geht, belegt eine Leerstelle, dass die entsprechende Entscheidung noch nicht getroffen oder bewusst ausgelassen wurde. Und auch die Frage, ob und inwieweit der Bund mit an Bord ist, sei noch zu verhandeln.
Der Errichtungsentwurf entspricht bereits in weiten Teilen der heutigen Stiftungssatzung. Noch allerdings ist er eine Diskussionsgrundlage. Die Amtschefs aus Bremen und dem Saarland hatten unter Vorbehalt zugestimmt, wegen der von den Ländern nach dem Königsteiner Schlüssel insgesamt aufzubringenden 10 Millionen Mark, die man für eine große Herausforderung für die Landeshaushalte hält. Die SPD-geführten A-Länder kritisieren die Vielzahl an Aufgaben, die nun noch reduziert werden müssten.
Nach weiteren vier Monaten einigen sich am 6. Juni 1984 die Regierungschefs der Länder grundsätzlich über die Errichtung einer Kulturstiftung der Länder. Bei der tags darauf stattfindenden Besprechung der Regierungschefs von Bund und Ländern sagt die Bundesregierung ihre Mitwirkung an der Kulturstiftung der Länder zu, die noch im Detail zu klären ist.
Am 31. Oktober 1984 unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag in der Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion über diese Einigung. Darin heißt es: „Die Stiftung ist als flexibles Finanzierungs- und Koordinierungsinstrument angelegt; sie nimmt im Kern Aufgaben wahr, die auch der Deutschen Nationalstiftung zugedacht waren. Nach der Grundvorstellung der Länder wird es eine Zweiteilung der Aktivitäten der Stiftung geben. Ein Teil, insbesondere die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrenswürdiger Zeugnisse, soll den Ländern vorbehalten bleiben, während ein zweiter Teil insbesondere die Förderung von überregional und international bedeutsamen Kunst- und Kulturvorhaben, gemeinsame Aktivitäten von Bund und Ländern in der Stiftung umfaßt. Im ersten Bereich hat der Bund beratende Stimme im Stiftungsrat, sofern die Länder den Erwerb der Kulturzeugnisse allein finanzieren; sofern der Bund sich finanziell beteiligt, wird die Entscheidung im erweiterten Stiftungsrat mit Stimmrecht des Bundes getroffen. Im zweiten Bereich entscheiden Bund und Länder gemeinsam im erweiterten Stiftungsrat.“
In den nun folgenden Monaten geht es um die Abstimmung der Details: Die einzelnen Verantwortlichkeiten der Stiftung werden diskutiert, die Rechtsform, haushalterische Fragen und die Beteiligung des Bundes. In der Plenarsitzung am 4. Dezember 1986, in der der Bundestag über Kultur, über Kulturpolitik und Kulturförderung debattiert, findet auch die Länderseite versöhnliche Worte. Bernhard Vogel, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, bewertet das Engagement des Bundes – „auch dort, wo es nicht verfassungskonform war“ – als förderlich für die nun in der Kulturstiftung der Länder anstehende Kooperation von Bund und Ländern. Die Länder hingegen hätten allzu lange die Verantwortung des Bundes für die gesamtstaatliche Repräsentation als Grundlage der Kompetenz des Bundes für die Kultur nicht gesehen.
Zwei Wochen später, am 18.12.1986, beschließen die Regierungschefs der Länder schließlich das Abkommen zur Errichtung der Kulturstiftung der Länder. Es folgt die Bundestagswahl. Eine Woche nachdem Helmut Kohl vom Bundestag erneut zum Bundeskanzler gewählt wurde, erklärt er in seiner Regierungsansprache vom 18. März 1987: „In einem föderalen Staat kann Kulturpolitik nur in konstruktiver Zusammenarbeit gedeihen. Die Vorbereitung einer Kulturstiftung der Länder, zu der auch der Bund einen namhaften Beitrag leistet, ist auf einem guten Weg.“
Am 4. Juni 1987 kommt es zur Unterzeichnung des Errichtungsabkommes der Kulturstiftung der Länder durch die Ministerpräsidenten mit Wirkung zum 1. Januar 1988. Gleichzeitig unterzeichnet Bundeskanzler Helmut Kohl das Abkommen über die Mitwirkung des Bundes. Und so nimmt am 1. April 1988 die Kulturstiftung der Länder ihre Tätigkeit auf, damals am Kurfürstendamm 102; die Alliierten hatten im Vorjahr der Ansiedlung in West-Berlin zugestimmt. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 treten die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dem Abkommen zur Errichtung der Kulturstiftung der Länder bei.
Hans-Georg Moek ist Leiter Kommunikation & Medien der Kulturstiftung der Länder.