Das Aquarell habe ich immer geduzt

Wenn alles klappt, wird in Hamburg 2013 ein neues Museum eröffnen. Ein kleines Museum für einen großen Hamburger Künstler. Ein Eduard-Bargheer-Museum im Jenischpark.  Doch ist es nötig, dass es ein Museum für einen Künstler gibt, der in keinem der großen deutschen Museen dauerhaft ausgestellt ist? Noch nicht einmal in der Kunsthalle seiner Heimatstadt Hamburg? Ulrich Luckhardt, Leiter der Galerie der Klassischen Moderne in der Hamburger Kunsthalle, würde „rasend gern“ Bargheer und überhaupt die Kunst der 1950er und 60er Jahre zeigen. Wenn Platz wäre. Ebenso Inge Herold, stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Mannheim, und auch Antje Birthälmer, in gleicher Position am Von der Heydt-Museum Wuppertal. Denn sie alle besitzen – wie viele andere Museen auch – mehrere Werke von Eduard Bargheer und schätzen ihn sehr. „Vielleicht ist Bargheers Kunst zu vornehm zurückhaltend, um im lauten Konzert der Zeitgenossen heute eine Rolle zu spielen“, sagt Antje Birthälmer. Der Galerist Wolfgang Henze, der das Werkverzeichnis der Bargheer-Gemälde schrieb, beklagt, dass „die deutsche Kunstgeschichte eine fatale Neigung (hat), dem Eigenen zu misstrauen und das von außen Kommende zu bevorzugen“. Inge Herold betont vor allem die singuläre Position von Bargheer. Sie ist überzeugt, dass er „eine Rehabilitation verdient hat“.

Diese singuläre Position bewunderten auch die Besucher der großen Aquarell-Ausstellung 2005 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum. Sahen sie doch ein Werk, das im Expressionismus begann, mit Figur und Abstraktion experimentierte und zu einer „stark abstrahierenden, dennoch dem Gegenständlichen verbundenen Farb-Licht-Malerei kam“, wie es im Katalog heißt. Während ringsum immer neue Kunstformen gefeiert wurden, war Bargheer seiner Begeisterung für Licht, Landschaft und Menschen treu geblieben und dafür mit Einladungen zur Biennale nach Venedig 1948 und 1950 sowie zur ersten und zweiten documenta nach Kassel geehrt worden.

Eduard Bargheer vor alten Mauern in Forio, um 1958, Fotografie von Agathe Bunz; Eduard Bargheer-Haus, Hamburg
Eduard Bargheer vor alten Mauern in Forio, um 1958, Fotografie von Agathe Bunz; Eduard Bargheer-Haus, Hamburg

Zu Recht, denn es ist ein überaus eigenwilliges, eigenständiges und riesiges Werk, das in mehr als fünfzig Schaffensjahren entstand. Am Anfang, in Hamburg, wo Bargheer 1901 geboren wurde und 1924 eine Zeichen­lehrerausbildung abschloss, war er stark von Munch und Cézanne, dem Expressionismus und der Hamburger Sezession beeinflusst. Er unterrichtete an der privaten Kunstschule von Gerda Koppel, er reiste, er malte, er stellte aus und verkaufte. Verbot und Verfolgung nach 1933 blieben ihm erspart – seinen engsten Vertrauten und Freunden wie den Kunsthistorikern Dora und Erwin Panofsky und der Künstlerin Gretchen Wohlwill nicht. Wo die Freunde nicht sein durften, blieb auch Bargheer nicht. Er verlebte die Kriegsjahre in Italien. In La Spezia war er als Militärdolmetscher an­gestellt und überlebte durchaus komfortabel.  Sein Märchenland, seinen Traumort in der Realität hatte er da schon gefunden: Ischia. Seit 1947 hatte er dort ein Quartier, baute später sogar ein eigenes Haus. 1953 kam er nach Hamburg-Blankenese zurück und lebte nun abwechselnd in Hamburg und auf Ischia, das sich durch den Massentourismus stark veränderte. Doch die Liebe zur Insel blieb. „S. Angelo hat etwa 500 Einwohner, es ist ein winziges Fischerdorf, das mit seinen vorwiegend weißen Häusern am Berghang liegt, so dass sich die einfachen Kuben in- und übereinander schachteln. Ab und zu sind Häuser starkblau und rosa getönt, das gibt einen schönen Akzent, und auch hellgelbe gibt es. […] Das Licht ist es nämlich – diese unglaubliche südliche Helligkeit –, welches jedes Ding in eine andere, neue Wirklichkeit verwandelt“, schrieb er schon 1935 an seine Vertraute, die Künstlerin Gretchen Wohlwill. Dass das Aquarell die bevorzugte Technik Bargheers war, überrascht angesichts dieser Beschreibung nicht. Wasserfarben gaben ihm nicht nur die Möglichkeit, einen Eindruck flink festzuhalten. Sie erlaubten ihm, das Flirren der Luft und die Bewegungen des Wassers licht und durchscheinend darzustellen. Was ihn zu dem viel zitierten Ausspruch anregte, der auch in diesem Text nicht fehlen soll: „Das Aquarell habe ich immer geduzt, zum Ölbild habe ich immer Sie gesagt.“ Die Liebe zum Aquarell hinderte ihn jedoch nicht daran, in Öl zu malen. Wolfgang Henze beschreibt das Werk des Künstlers heute so: „Bargheer, aus dem kühlen Expressionismus der Hamburger Sezession kommend, hat nie ,schöne‘ südliche Landschaften gemalt. Er hat ihr aber karge Metaphern von hoher Intensität abgerungen, ja: abgerungen! Was heute so leichtfüßig daher zu kommen scheint (auch die ganze Abstraktion nach 1948), war durchaus schwer erkämpft – sowohl künstlerisch wie gesellschaftlich. Ich schätze daher besonders die Gemälde Bargheers, die diesen unbedingten Willen, innere Strukturen der Landschaft aufzudecken, bis zur Härte zeigen können.“

In diesen südlichen Landschaften wollte Bargheer begraben werden, doch „als wäre er auf seiner wechselvollen 78-jährigen Lebens- und Künstlerreise nie weg gewesen“, liegt er in Finkenwerder, schreibt sein Bio­graph Volker Plagemann und erzählt, dass es eher ein Versehen war, dass das Grab des Hamburger Künstlers in Hamburg und nicht auf dem Campo Santo in Forio ist. Dort hatte er sich schon eine Grabstelle ge­kauft – doch er versäumte, irgendjemandem davon zu erzählen. Dabei hatte sich in seinen letzten Lebensjahren alles so perfekt gefügt: Bargheer bekam in Blankenese neue Nachbarn, die ihr Haus so hübsch bunt gestrichen hatten, dass der Künstler sie kennenlernen wollte. Im heute leerstehenden Restaurant zu Füßen seines Hauses erkundigte er sich über sie, bald war er ständiger Gast bei den Nachbarn Dirk Justus und Peter Silze. Der Marketingfachmann Justus und der Banker Silze hörten begierig, was ihnen der Künstler von seinem Leben erzählte. Besuchern des Bargheer-Hauses spielen sie gern Tondokumente mit seiner Stimme vor, die Wolfgang Henze 1974 aufgenommen hat. Die Kraft dieses Erzählers, das Einnehmende seiner Geschichten vermitteln sich ganz unmittelbar und man kann durchaus verstehen, dass sich die beiden so sehr faszinieren ließen, dass sie dem Künstler bald nicht nur bei Buchführung und Korrespondenz halfen, sondern nacheinander ihre karriereträchtigen Jobs in Bank und Wirtschaft kündigten, um sich ganz der Pflege des Bargheer’schen Werkes und seiner Häuser zu widmen.  Diese Pflege wurde ihnen Verpflichtung und Lebensaufgabe. Das klingt wie eine unbedacht dahin­geschriebene Floskel. Doch es ist keine Floskel, sondern die Beschreibung der Arbeit der Nachlassverwalter. Dirk Justus gründete 1979 die Galerie Pro Arte, die sich Bargheer und der Kunst der 1930er bis 50er Jahre widmet. Sie existiert bis heute, sodass die „fachfremden“ Nachlassverwalter im Lauf der Jahre die besten Bargheer-Spezialisten wurden.

Heute werden ihnen täglich Bilder zur Begutachtung vorgelegt. Viele sind Fälschungen, sagen sie. Geirrt haben sie sich nur einmal – da sahen sie ein Aquarell, das einfach nicht von Bargheer sein konnte. Es war nicht mit seinen Farben und nicht auf seinem Papier gemalt. Sie stoppten die Versteigerung des Blattes – zu Unrecht, denn Bargheer hatte das Bild auf einer Party mit dem Malkasten und auf dem Papier eines Kindes gemalt. Der Besitzer war verständlicherweise mehr als ärgerlich auf die Nachlassverwalter, doch die lösten  das Problem durchaus charmant. Sie tauschten die Rarität gegen ein Bild aus dem Nachlass. Ein Bild von Neo Rauch haben sie auch eingetauscht. Es war ein frühes Bild, das sie 1989, nach einem Besuch bei Rauch, gekauft hatten. Aus Freundlichkeit. Eigentlich waren sie auf der Suche nach einem Stipendiaten für die „Eduard Bargheer-Stiftung zur Förderung junger Künstler“ und wollten dieses Stipendium gern Neo Rauch zukommen lassen. Doch der war da schon nicht mehr allzu bedürftig und sie entschieden sich für einen anderen Künstler. Zum Dank für die Zeit, die er ihnen gewidmet hatte, kauften sie ein Bild. 20 Jahre später verkauften sie es wieder, um ein wichtiges Bargheer-Bild für den Nachlass bezahlen zu können.  Auch Bargheer hat viel getauscht und verschenkt, weggeworfen nichts. Zum künstlerischen Nachlass gehören 200 Ölgemälde, mehrere Hundert Aquarelle und der gesamte Bestand von 341 druckgraphischen Arbeiten. „Wir haben neben dem Bildernachlass aber auch 10.000 Gummibänder und 5.000 Weinkorken geerbt“, sagt Peter Silze. Der Schatz an Dingen, die bald im Museum ausgestellt werden können, ist also reich. Bargheers Hut zum Beispiel, den er auf dem Selbstbildnis von 1929 (siehe S. 55) trägt, liegt wohl verwahrt in Blankenese, ebenso wie die selbst geschnittenen Rohr­federn und die große Muschel, die er gemalt hat. Ganz abgesehen von all den noch unveröffentlichten Texten und den Korrespondenzen, die Bargheer sein Leben lang mit Kunst­historikern, Künstlerkollegen, Schauspielern und Freunden führte.

Die Chance, nicht nur Kunst zu zeigen, sondern auch ein Künstlerleben zwischen Hamburg und Italien, zwischen Expressionismus und Abstraktion, zwischen Anerkennung, Verfemung und documenta-Teilnahme im Museum zu erzählen, werden sich die Nachlassverwalter nicht entgehen lassen. Das findet auch Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt prima, der schon im Bonner Bundeskanzleramt ein Bild Bargheers hängen ließ – auch bei Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz hängt ein Bargheer im Amtszimmer. Als Helmut Schmidt von den Plänen hörte, ein Bargheer-Museum im Jenischpark einzurichten, schrieb er den Nachlassverwaltern in einem Brief: „Ich wünsche mir und meinen Hamburger Mitbürgern, dass das Museum möglichst bald seine Pforten öffnen kann.“  Es wäre mehr als eine Untertreibung, wenn man behaupten würde, die Einrichtung des Bargheer-Museums wäre die Erfüllung eines Traumes. Es ist die Erfüllung vieler Träume, die seit mehr als dreißig Jahren nicht nur von Dirk Justus und Peter Silze geträumt werden. Doch die beiden träumen sie besonders intensiv. Schon 1979, zur Gedenkausstellung nach Bargheers Tod, schrieben sie von ihrem Wunsch, Bargheers Kunst in einem eigenen Museum zeigen zu können. Zweiunddreißig Jahre später suchen sie die Steinplatten für den Museumsfußboden aus und schmieden Pläne, was im Museumsshop Bargheer-Typisches verkauft werden kann. Sie sind der Erfüllung ihres Traumes ganz nah, denn das ehemalige Gebäude des Gartenbauamtes Altona wird derzeit mit finanzieller Hilfe der Hermann Reemtsma Stiftung und vieler privater Unterstützer zum Bargheer-Museum umgebaut. Die Hans-Otto und Engelke Schümann Stiftung finanziert beispielsweise die Betriebskosten für die ersten fünf Jahre.  Das Einzige, worunter die Nachlassverwalter leiden, ist die ihrer Meinung nach noch immer nicht adäquate Anerkennung des Künstlers. Nicht ein einziger promotionswilliger Kunsthistoriker interessierte sich bisher für ihn. Hoffentlich dokumentieren die beiden Erben ihre Erinnerungen an den Künstler gut, denn eine bessere Quelle für zukünftige Forschungen gibt es nicht.