Dada und danach

Vor fast nichts macht sie halt. Alles wird zerstückelt. Illustrierte bevorzugt, die langjährige Mitarbei­terin des Ullstein Verlags hat Zugang zu vielen bunten Gazetten ihrer Zeit. Die Schere kreißt und gebiert den bunten, wilden, spöttischen, den manchmal fiesen und prophetischen Schnipselkosmos der Hannah Höch (1889 –1978). Ein Kosmos, der vieles kann, der die Fotomontage miterfindet, der Dada Inkunabeln schenkt, der in der inneren Emigration künstlerische Opposition in rätselhaften Naturbildern tarnt, der nach 1945 dann wieder die Abstraktion wagt, den die Pop-Art stark beeinflusst, oder Fluxus. Doch ein Tabu steht bei aller Transplantationslust, eins blieb immer heil im papiernen Gemetzel: das Auge. 1971, zu Höchs Collagen-Retrospektive in der Berliner Akademie der Künste, prangt als Signet dann auch der vieläugige Strauß auf Plakat und Katalogtitel. 1929 entstanden, sind Höchs Blumen ein eher zwiespältiger Schmuck in Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Stranguliert, doch kaum gehalten von einem dicken Band, sieht man vor lauter Augen kaum Gewächse. Die hübsch gedachte, aber im Kern brutale Neuanordnung von Natur, die bürgerliche Strauß-Collage, sie ist ein besonders pralles Trugbild, ein hintersinnig farbenfrohes Stillleben. Wie ein künstlerisches Manifest führt das Werk Höchs Technik in aller Pracht vor, zeigt aber auch ihren künstlerischen Anspruch, als vieläugige Kommentatorin auf die bürgerliche Gesellschaft zu blicken. „Bis heute versuche ich konsequent das Foto auszubeuten. Ich benutze es wie die Farbe, oder wie der Dichter das Wort“, erläutert Höch einmal ihre virtuose Montage von Wirklichkeitsfragmenten.

Hannah Höch, Der Strauß, 1929/1965, 22,3 × 23,7 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Hannah Höch, Der Strauß, 1929/1965, 22,3 × 23,7 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg; © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Das „Hannchen“, wie der Kreis um Richard Huelsenbeck, Johannes Baader, Salomo Friedlaender, George Grosz und John Heartfield sie nannte, war die einzige Künstlerin im Gründungszirkel des Berliner „Club Dada“, der sich nichts weniger als die Revolte gegen den Staat, gegen bürgerliche Konvention und die beklagte „fette Idylle“ des Expressionismus auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Berliner Jungkünstler zerlegten die traditionellen ästhetischen Werte mit scheinbar primitiven Methoden. Und die junge Studentin Hannah aus wohlhabendem, bürgerlichen Haus stieß ironischerweise von der Klasse für Graphik und Buchkunst des Berliner Kunstgewerbemuseums zu den Revoluzzern, die die spießbürgerlichen Deutschen mit ihrer aggressiven „Anti-Kunst“ provozieren wollten.

Hannah Höch mit Raoul Hausmann vor ihren Werken bei der „Internationalen Dada-Messe“, links Höchs Werk „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ von 1919, Berlin 1920; Berlinische Galerie; © Berlinische Galerie / Foto: Kai-Annett Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Hannah Höch mit Raoul Hausmann vor ihren Werken bei der „Internationalen Dada-Messe“, links Höchs Werk „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ von 1919, Berlin 1920; Berlinische Galerie; © Berlinische Galerie / Foto: Kai-Annett Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Kleinfamilie, monogame Zweierbeziehung und patriarchale Gesellschaft: eine abscheuliche Vorstellung für den österreichisch-deutschen Künstler und Dada-Protagonisten Raoul Hausmann. Fanatisch und humorlos soll er stattdessen die „ganzheitliche“ Beziehung propagiert haben. Das hieß für ihn hauptsächlich: Neben seiner eigenen Familie wollte er um die 1920er Jahre auch eine offene Beziehung mit der Künstlerkollegin Hannah Höch nebst gemeinsamen Kindern ausleben. Die erzwungene Emanzipation jedoch fand keine Gegenliebe bei der jungen Künstlerin, die sich zweimal für eine Abtreibung entschied. 1922 trennte sie sich endgültig von Hausmann, behielt allerdings zeitlebens eine, wenn auch zwiespältige Freundschaft mit ihm bei. Höchs Entwurf von 1921, das Aquarell „Geburt“, zeigt dann auch eher ein Schmerzensbild als ein freudiges Ereignis, in frontaler Ansicht klammert sich an den Stuhl eine erschöpfte Mutter, mit ihrem noch angenabelten Neugeborenen in bedrückender, kärglicher Stube erbarmungslos ausgeleuchtet von einem unwirklichen Abendrot. Anders dann im Gemälde von 1924: Es ist das einzige Mal in der Werkgruppe zur Geburtsthe­matik, dass Höch, die kinderlos blieb, eine glückliche, emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind als Motiv zeigt. Der Schmerz weicht der Entspannung, der innigen Zweisamkeit. Mit Höchs Augenstrauß aus schwierigsten Zeiten der Weimarer Republik und den Werken zur Geburtsthematik befanden sich drei zentrale Werke der Künstlerin seit vielen Jahren auf Wunsch der Künstlerin als Leihgaben im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Diese wurden jetzt zusammen mit weiteren kostbaren Aquarellen, Collagen und Gemälden von der Nürnberger Sammlung erworben.

Mit Dada und mit ihrem Geliebten Raoul Hausmann, der sie in den Berliner Zirkel mitbrachte, wird Höch, die mit abstrakten Bildern angefangen hatte, rasant zur Pionierin der Fotomontage: „[…] ein neues, und ungeheuer phantastisches Gebiet für den schöpfe­rischen Menschen. Ein wundersames Neuland, das zu entdecken als erste Voraussetzung hat: Hemmungslosigkeit. Aber nicht Disziplinlosigkeit. Denn auch innerhalb dieser neuentdeckten Möglichkeiten gelten Form- und Farbgesetze, die eine gelöste Bildfläche gestalten. Aber immer wenn wir diese ‚Fotomaterie‘ zu Neu­schöpfungen zwingen wollen, müssen wir uns auf Entdeckungsreisen einstellen, müssen wir voraussetzungslos starten, und vor allem – uns aufnahmebereit halten für: die Reize des Zufälligen, die hier mehr noch als sonst wo, unentwegt und verschwenderisch, bereit sind, unsere Phantasie zu beschenken“, schreibt Hannah Höch 1933. Den neuen Machthabern im nationalsozialistischen Deutschland sind schöpferische Phantasie und ihre dekonstruktivistische, kritische Kunst mehr als suspekt. Als „Kulturbolschewistin“ verfemt, überdauert Hannah Höch unter ärmlichen Umständen, zunehmend vereinsamt, die Nazi-Ära in Heiligensee vor Berlin. Dort vergräbt sie im Garten ihres kleinen Refugiums in Kisten Werke emigrierter Künstlerfreunde, aber auch Dokumente der Dada-Episode und rettet so diese kostbaren Materialien für die Nachwelt. Zwar hatte Höch 1920 die programmatische Inkunabel „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ für die „Internationale Dada-Messe“ beigesteuert, doch so richtig als vollwertiges Mitglied nehmen die Dadaisten Hannah Höch nicht in ihren Kreis auf. Sie, die für ihre dadaistischen Experimente und surrealen Bilderschöpfungen heute als eine Schutzpatronin des Dada verehrt wird, fühlte sich für eine Vereinnahmung sowieso zu vielseitig. Andere Kunstströmungen lockten, wie die niederländische Künstlergruppe De Stijl um Theo van Doesburg und Piet Mondrian, das Bauhaus, die surrealen Welten des als Kunstgeschwister empfundenen Max Ernst oder die Ideen ihres lebenslangen Freundes und von Dada verstoßenen Multikünstlers Kurt Schwitters. Ob Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe für Stoffmuster, Tapeten, bei Text- und Buchillustrationen, in Skulpturen und anderen Objekten, als Bühnen- und Kostümbildnerin fürs Theater: In ihrem offenen Bekenntnis auch zu traditionellen Techniken und Einflüssen anderer Kunst unterschied sich Hannah Höch fundamental von den Dadaisten.

Den weiten Bogen von den frühen Gemälden bis zu Höchs abstrakten Schöpfungen der Nachkriegszeit spannt die Erwerbung von 14 Werken durch das ­Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, eines der vielseitigsten Museen der Welt. Dort, in der neu ein­gerichteten Sammlung zu Kunst und Design des 20. Jahrhunderts, kann die Kollektion viel erzählen von Dada und vom Danach.

Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung