Chefsache Vermittlung

„Vermittlung“, das hieß in Kurt Tucholskys Bilderbuch für Verliebte, dass ein „massiger Kastellan“, Herr Adler mit Namen, die Pforte des Schlosses Rheinsberg öffnete und, na ja, führte – mit Hinweis auf des Windspiels Schlafplatz, mit Aufmerksammachen auf das obligatorische Gemälde, dessen Augen den Besuchern überallhin folgen, mit dem Bekenntnis, er schulde seine Weisheiten seinem Vorgänger Breitriese und, über diesen, dem Archivar Brackrock. Wenn Claire und Wolf bei Tucholsky schließlich „an der blumenkohlduftenden Kastellanswohnung vorbei … ins Freie“ schreiten, so nicht nur physisch, sondern wohl auch metaphorisch: Das Leben muss anderswo sein, jedenfalls kaum in den Mauern, die Kunst und Geschichte bergen. Wie schade, mag man denken: Stärkere Berührung durch Kunst, Geschichte, Kultur als Intermezzo zwischen Momenten der Zärtlichkeit (und diese womöglich gar anregend?!) hätte dem jungen Paar vielleicht nicht geschadet… Freilich haben wir zu akzeptieren, dass aus Tucholskys leichter Feder kein Bildungsroman entströmen wollte.

Entdeckungen in der Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin

Was er mit leiser Ironie beschreibt, war jedoch lange Zeit auch schwere Wirklichkeit; nicht nur in Schlössern (das Bild, das uns immer ansieht, kennen ja auch wir noch als festen Bestandteil solcher Führungen), sondern auch in den Museen. Die Berliner Gemäldegalerie, gegründet im Jahre 1830, und im Zuge der Preußischen Reformen durchaus mit edukativer Absicht, verschwendete nicht zuviel Phantasie und Zeit auf die Sache Vermittlung – gar nicht zu reden davon, sie hätte gar Chefsache werden können. Die meisten Tage der Woche war Schinkels Kunsttempel ohnehin nur für die Adepten der Akademie zugänglich, damit diese sich dort im getreuen Kopieren der Alten Meister übten; dem breiten Publikum hatten wenige Stunden am Wochenende zu genügen. Und später, als mit der Errichtung des Kaiser Friedrich-Museums, dieses sich ändern sollte, trug man Sorge, zuviel unangemessen gekleidetes Volk möge hereinkommen und sich obendrein nicht angemessen zu benehmen wissen.
Wie anders heute: Die Museen sind klassen- und schrankenlos, Vermittlung hat einen enormen Stellenwert, wird auf dem Niveau hoch ausgeprägter Professionalisierung betrieben. Museumspädagogik und Besucherbetreuung sind zum Beruf geworden; Zielgruppe sind Menschen aller Altersstufen, vom Kindergarten bis ins hohe Greisenalter.

In einer zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft ließe sich, so könnte mithin argumentiert werden, die Vermittlung erst recht auf die professionellen Museumspädagogen delegieren. Wieso also sollte sie ausgerechnet in unserer modernen Museumswelt mit einem Mal Chefsache sein, in einer Museumswelt, die im übrigen für alle denkbaren Tätigkeiten zunehmend eigene Fachleute beschäftigt: Marketingspezialisten, Pressesprecher, Dokumentaristen…? Jedoch: Wie viele Museen gibt es denn überhaupt, die sich derart viele spezialisierte Fachleute für unterschiedlichste Funktionen und Dienste leisten können? In unzähligen Häusern geht es doch beinahe zu wie einst im Vorortkino: Der Direktor verkauft die Tickets, fungiert als Platzanweiser und bedient schließlich auch noch das Vorführgerät… Bleiben wir jedoch bei Museen mit mustergültiger Personalausstattung. Sie sind Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, zwischen Kennerschaft und Publikum, zwischen der Welt der Spezialisten und den wenig oder häufig gar nicht vorgebildeten Besuchern. Daher hat Vermittlung eine immer größer werdende Bedeutung. Wie groß die Nachfrage nach Vermittlung ist, zeigt der Umstand, dass bereits vor Eröffnung der Berliner Ausstellung mit den französischen Bildern des Metropolitan Museums sämtliche Führungen ausgebucht waren – selbst zum populärsten aller Stile der Kunstgeschichte, dem Impressionismus, will das Publikum herangebracht werden.

Kinderfest "Zeitreise", 2007, in der Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin

Chefsache Vermittlung bedeutet, dass der Museumsdirektor sich für die Qualität der in seinem Museum stattfindenden Vermittlungsinhalte, -methoden und -techniken nicht nur interessiert, sondern verantwortlich fühlt. Chefsache Vermittlung heißt ferner, Kontakt mit dem Publikum zu halten und Teile des Vermittlungsauftrags selber zu übernehmen – nicht nur in elitären Veranstaltungen wie der berühmten director’s choice, die nur in homöopathischen Dosen und gegen beeindruckende Überweisungen auf das Spendenkonto angeboten wird. Nur unmittelbarer und regelmäßiger Kontakt gibt Auskunft über und Einblick in Kenntnisstand wie Interessensfelder der Besucher – und, beinahe wichtiger noch, Kunde über die unterschiedlichen Grade von Kenntnis und Interesse. Chefsache Vermittlung meint auch, dass nachzudenken ist über die Inhalte, die sich vermitteln lassen. In einer Gemäldegalerie sind das keineswegs ausschließlich kunsthistorische Zusammenhänge; die möglichen Themen gelungener Vermittlung sind denkbar vielfältig – hier einige Beispiele, wie sie zum Teil auch kürzlich erst in einer sehr empfehlenswerten Veröffentlichung der Besucherdienste der Staatlichen Museen vorgestellt wurden : Erkunden und Erkennen der Welt – Formen des Zusammenlebens – Umgang mit Natur, Zeit, Geschichte – Historischer Wandel – Mythen und Theologie – Fremdes und Vertrautes – Heilige und Helden – Fromme und frivole Zeiten – Roben, Kleider und Kostüme und so weiter und so fort. Nicht nur die Bilder, so lässt sich lernen, bieten sinnlichen Reiz, sondern auch jene Bereiche des Wissens und des Fragens, zu denen sie Fenster und Tür sind. Es war alles andere als ein verträumter Gedanke der Romantik, dass Nachdenken über weit Entferntes unsere Sinne anregt, gleichviel, ob geographische Distanz uns davon trennt oder Zeitenräume, und ebenso wenig abwegig war die Überzeugung, dass Bilder zu jenen Regionen gedanklich den Weg öffnen.

Führung mit dem Geräuschemacher Thoralf Dormer

Chefsache Vermittlung bedeutet schließlich, dass auch in Veröffentlichungen des Museums, vor allem in den als Massenprodukt publizierten Ausstellungskatalogen kundennah gedacht wird: Hier ist eine Textsorte gefragt, die sich abzusetzen hat vom oft hermetischen Jargon wissenschaftlicher Schriften. Ausstellungskataloge sollen nicht missbraucht werden als hochsubventionierte Plattform, von der herab hochspezialisierte Autoren mit den wenigen kommunizieren, die ihnen zu folgen noch bereit sind. Hier gilt es, common sense zu wahren – und lernen können wir dies von Kollegen in Großbritannien, in den Vereinigten Staaten, in den Niederlanden. Es macht nachdenklich, zu hören, dass bei der Berliner Ausstellung der New Yorker Franzosen ein ursprünglich eigens für Kinder geschriebener Katalog von den Erwachsenen auch für sich selbst gekauft wird. Zum Teil mag’s am günstigeren Preis liegen, zum Teil sicher auch eben am Tenor der Vermittlung. Die Museen dürfen sich glücklich schätzen: Noch immer steigt der Zustrom der Besucher (in Berlin im vergangenen Jahr allein um 11 Prozent). Es bedarf keiner aufwendigen Erhebungen teurer Institute, um sich einer Tatsache zu vergewissern: Die schiere Zahl der Museumsbesucher steht in umgekehrtem Verhältnis zu deren (Vor-) Kenntnissen, besser (oder schlimmer!): zu deren Urteilsvermögen. Die Besucher spüren ja selber dieses Defizit: Selbst Kunstmessen, gedacht einmal für Kenner und erfahrene Afficionados, bauen mehr und mehr Besucherservice auf, erarbeiten Vermittlungstechniken, bieten Führungsprogramme an.
Zum Schluss: Kunst und Geschichte sind und bleiben eigene, von uns durch mancherlei Grenzen getrennte Welten, mehr noch: sie beziehen aus diesem Anderssein in hohem Maße erst ihren Reiz. Die (Chef-) Sache Vermittlung kann daher nicht restlose Erklärung ohne Lücken bedeuten, darf nicht für sich beanspruchen vollständige Übersetzung des Gesehenen zu sein, ganz ohne weiße Flecken, ohne gähnende Abgründe bleibender Rätsel. Vermittlung ist nicht Gebrauchsanleitung zum endgültigen Entschlüsseln; Vermittlung heißt Stärkung des Urteilsvermögens, Gebrauch des Verstandes – Vermittlung ist Arbeit am Projekt Aufklärung.