Carl, Reinhold, Oscar und die Anderen
Das vormalige Kreismuseum Heinsberg wurde 1927 als klassisches „Heimatmuseum“ begründet. Die heterogene Sammlung wurde im Wesentlichen durch das geprägt, was Privatleute zu schenken bereit waren. Der Bestand war vorrangig stadt- und regionalgeschichtlich orientiert, eine thematische Gewichtung stand zum damaligen Zeitpunkt noch nicht im Vordergrund, sondern die Bewahrung des „Alten“ und die Darbietung für die örtliche Bevölkerung. Nach der Zerstörung des ersten Museums 1944 wurde aus dem Nichts eine neue Sammlung aufgebaut und 1949 im sogenannten Torbogenhaus untergebracht, einem historischen Bürgerhaus des 16. Jahrhunderts. Der mehrfach überformte Bau, eines der wenigen erhaltenen Baudenkmale Heinsbergs, diente ursprünglich als Rentmeisterei des Jülicher Amtes Heinsberg und ab 1798 als Rathaus der Stadt. Ehemals war auch das angrenzende, im Kern ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammende „Haus Lennartz“ Teil des Gebäudekomplexes. Der Erwerb dieses Hauses durch die Stadt Heinsberg im Jahre 2009 gab den Impuls, die historisch zusammengehörenden Gebäude mit Hinblick auf städtische Nutzung einerseits und auf ein zukunftsfähiges neues Ausstellungskonzept andererseits zu nutzen. Mit der Neueinrichtung des Museums als Begas Haus – Museum für Kunst und Regionalgeschichte Heinsberg, bietet sich erstmals die Möglichkeit, das Präferenzmerkmal auf die bundesweit bedeutendste Sammlung zur Künstlerfamilie Begas zu richten.
Zu Beginn der 1950er Jahre gelang es dem damaligen ehrenamtlichen Museumsleiter August Lentz, in der schwierigen und finanziell beengten Phase des Wiederaufbaus den Grundstock zur heutigen Sammlung mit Werken des gebürtigen Heinsbergers und preußischen Hofmalers Carl Joseph Begas d. Ä. zu legen. Am Anfang standen u. a. ein 1954 aus dem Wiesbadener Kunsthandel erworbenes Mädchenbildnis von ca. 1821, das gemeinhin als Porträt der Fanny Mendelssohn gilt (im Volksmund auch die „Heinsberger Mona Lisa“ genannt, siehe linke Seite), und 1958 die „Lureley“, das gefeierte Begas’sche Hauptwerk von 1835, das nur dank Lentz’ Weitsicht davor bewahrt wurde, in einer „Weinstube am Rhein“ zu landen. Der Hannoveraner Kunsthändler van der Porten schrieb am 24.6.1958 an Lentz: „Es erübrigt sich ja wohl, noch irgend ein Wort über den hohen Wert dieses Bildes zu sagen und würde Ihren Stiftern einmal einen heute gültigen Wert für ein kleines modernes Blatt von Klee, Kandinsky oder Nolde zu sagen (sic!).“ Mit Verweis auf die angespannte finanzielle Situation des Museums – die Jahresmittel für Unterhalt, Ausstellungen und Neuerwerbungen betrugen seinerzeit 2.000 DM – erwirkte Lentz immer wieder erfolgreich Beihilfen u. a. von Stadt und Kreis Heinsberg. Mit der Ausstellung „Carl Joseph Begas (1794–1854) – Blick in die Heimat“ aus Anlass des zweihundertsten Geburtstages im Jahr 1994 wurde der Aufbau der Begas-Sammlung in Heinsberg kontinuierlich weiter verfolgt. Mehr als 20 Neuankäufe wurden seither insbesondere durch die Unterstützung der Kreissparkasse Heinsberg und ihrer 1993 gegründeten Sparkassen-Kunst-Stiftung ermöglicht. Das „Begas-Zimmer“, lange Jahre im Raum oberhalb des Torbogens eingerichtet, blieb bis zur vorläufigen Schließung des Museums 2010 die „gute Stube“ der Stadt Heinsberg. Doch war die Präsentation, ergänzt um gestiftetes Mobiliar der Biedermeierzeit aus Begas’schem Familienbesitz sowie um Werke der gleichfalls künstlerisch tätigen Söhne und Enkel von Begas d. Ä., räumlich keineswegs dazu angetan, auch nur annähernd eine Vorstellung von der Bedeutung dieser Künstlerdynastie zu vermitteln. Sie wurde zudem von den übrigen Schwerpunkten des in den 1980er Jahren konzipierten Rundgangs zu altem Handwerk, zu Stadt- und Regionalgeschichte und Archäologie thematisch überlagert.
Der konzeptionelle Neuansatz des Museums widmet sich in Form einer dramaturgisch aufgebauten Erzählstrategie dem Leben und Werk von Begas d. Ä. als zentraler und prägender Figur der Künstlerfamilie. Das gemeinsam mit der Agentur Bürger, Albrecht & Partner, Wuppertal, erstellte Raumnutzungskonzept wird durch eine adäquate, besuchergerechte Aufbereitung des Angebots die Erlebnisqualität des Hauses stärken. Auf zusätzlichen 260 qm Ausstellungsfläche mit neu platziertem Eingangsbereich mit Shop und Museumsschaufenster, Café/Bistro und separatem Vortrags- und Veranstaltungsraum, der insbesondere für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden soll, wird das Schaffen von Begas d. Ä. und seinen Söhnen – den Bildhauern Reinhold und Carl (d. J.) und den Malern Oscar und Adalbert – sowie deren Nachkommen ausführlich dokumentiert. Der auf zwei Geschosse verteilte, in zehn Räume gegliederte thematische Rundgang verzahnt das Gesamtwerk der Familie Begas mit markanten Stationen der Kunst- und Kulturgeschichte des „langen“ 19. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven: von der Geburt Begas’ d. Ä. während der Belagerung Heinsbergs durch napoleonische Truppen 1794 über seine akademische Ausbildung in Bonn und Paris, das prägende Erlebnis des Italienaufenthalts 1821 bis 1825, den Einfluss der Düsseldorfer Malerschule, schließlich den glänzenden Aufstieg der Begas zur maßgebenden Künstlerdynastie der preußischen Hauptstadt und des Deutschen Kaiserreichs. Im sich anschließenden Sonderausstellungsbereich wird die wechselvolle Rezeptionsgeschichte nach 1918 bzw. 1945 thematisiert. Abteilungen zur Archäologie (mit der bedeutenden ur- und frühgeschichtlichen Sammlung), zu Territorium und Dynastie Heinsberg und zur Kirchengeschichte sind in Form von historischen „Rückblenden“ in den Rundgang eingebettet. Der Ausstellungssaal im ersten Obergeschoss wird künftig den bisher so erfolgreichen Wechselausstellungen des Museums mit zeitgenössischer Kunst sowie regionalhistorischen Themen vorbehalten bleiben.
Wie auch in der neuen Namensgebung anklingt, besitzt das künftige „Begas Haus – Museum für Kunstund Regionalgeschichte Heinsberg“ in der Verzahnung von zwei sonst meist strikt getrennten Bedeutungsebenen – „Kunstmuseum“ und „Historisches / Archäologisches Museum“ – ein überregional einzigartiges Alleinstellungsmerkmal, das weit über die bisherigen Ausstellungsthemen hinausgeht. Hier eröffnen sich dem Publikum vielfältige Perspektiven auf die Kunst- und Mentalitätsgeschichte der behandelten Epochen. Etwa 90 Prozent der künftig ausgestellten Werke stammen aus eigenem Museumsbestand. Dieser wird aufgrund der thematischen Akzentverschiebung künftig punktuell durch externe Dauerleihgaben ergänzt. So konnte die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin im Rahmen der Föderalen Programme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Leihgeber von rund 20 Skulpturen und Gemälden gewonnen werden. Neben weiteren hochkarätigen Leihgaben anderer Museen wird parallel zur Neukonzeption der aus Familienbesitz Begas dem Museum als Dauerleihgabe übergebene archivalische Nachlass erschlossen. Nur durch vielfältige institutionelle Vernetzung und finanzielle Unterstützung kann die Neupositionierung des Begas Hauses als feste Museumseinrichtung, als kultureller Bildungsort und Forschungsstätte erfolgen. Es ist ein ebenso schönes wie passendes Zeichen, dass – auch Dank der Förderung der Kulturstiftung der Länder – die in der Familie Begas gleichsam vorgegebene historische Achse Berlin – Heinsberg erstmals in ihrer Gesamtheit und Bedeutung erlebbar gemacht werden kann.