Buch im Beutel
Ihr klösterliches Leben Anfang des 16. Jahrhunderts war geprägt von den Umbrüchen einer turbulenten Zeit: Hautnah erlebte die Benediktinerin Katharina Roeder von der badischen Burg Rodeck in ihrem Kloster Frauenalb die umwälzende Reformationszeit sowie die Unruhen des Bauernkrieges. Ein steter Begleiter in aufregender Zeit war ihr 206 Blätter umfassendes Gebetbuch im Kleinstformat von 98 x 76 mm: Das sogenannte Beutelbuch, eigenhändig mit religiösen Texten und filigranen Federzeichnungen versehen, trug Katharina Roeder von Rodeck am Gürtel befestigt vermutlich immer bei sich. So ließ sich das Buch mit den frommen Formeln nutzen, ohne den Beutel vom Gürtel lösen zu müssen. Die in der mittelalterlichen Malerei häufig dargestellte Einbandform ist heute eine ausgesprochene Rarität: Weltweit überdauerten lediglich 23 Beutelbücher. Der Badischen Landesbibliothek gelang nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg der Ankauf dieses kostbaren Zeugnisses der badischen Klosterkultur.
In kräftiger schwarzer Tinte schrieb die Nonne den Text ihrer Handschrift, deren genauer Inhalt noch nicht näher erforscht wurde, mit jeweils 13-16 regelmäßigen Zeilen pro Seite nieder. Ungewöhnlich schöne Höhepunkte bilden sechs Federzeichnungen, die die Stiftsdame selbst kunstvoll ausmalte. Eingebettet in ein dichtes Netz aus farbig ausgefülltem Rankenwerk treten Eulen, der Tod, ein Falke sowie eine Taube auf die Szenerie. Durch bildlich eingebundene Familienwappen der Familie Roeder und individuelle Sinnsprüche gestaltete Katharina Roeder ein sehr persönlich gehaltenes Exemplar eines Gebetbuchs. In der Mitte des Beutelbuchs erstrahlt die Pergamentminiatur einer Madonna, die ihr Kind auf dem Arm hält und von einem Lichtkranz umfangen ist. In seiner Einheit aus religiösem wie autobiografischem Text und Bild repräsentiert das Buch im Beutel ein einzigartiges Zeugnis badischer Frömmigkeitsgeschichte.
Trotz der rauen Zeit, die Katharina Roeder erlebte, erfasst das Gebetbuch weniger die Zeichen des Verfalls, sondern belegt vielmehr die so rege wie selbstbewusste Schreibtätigkeit der Frauenalber Nonnen. Denn indem Katharina Roeder ihr Buch mit eigener Hand verfasste, es für den eigenen Gebrauch illustrierte, entschied die gebildete Frau selbst, welche Gebete sie in ihren Alltag aufnahm. Die zahlreichen Andachten sind auf die verschiedenen Wochentage verteilt und begleiteten die Nonne durch den Tag.
Als außergewöhnliches Bild- und Textzeugnis beleuchtet das Beutelbuch der Katharina Roeder von Rodeck die Klosterkultur des ausgehenden Mittelalters. Indem die Nonne persönliche sowie religiöse Inhalte geistreich miteinander verwob, hinterließ sie ein landes-, kultur- und kirchengeschichtliches Kompendium auf kleinstem Raum. Das Kloster Frauenalb, in dem Katharina Roeder die Niederschrift 1540 beendete, liegt im heutigen Landkreis Karlsruhe. In der Badischen Landesbibliothek, die bereits mehrere Handschriften der 1803 aufgelösten Abtei bewahrt, findet das kostbare Beutelbuch nun zurück in seinen Entstehungskontext.