Botticelli in Schwarz-Weiß
Seit Mitte März widmet sich eine Ausstellung den Berliner Skulpturen- und Gemäldesammlungen 70 Jahre nach Kriegsende. In sechs Sälen des Bode-Museums wird eine inhaltsreiche, eindrückliche und vielstimmige Erzählung über Verlust, Rückgabe und Neuanfänge entfaltet. Hierzu wurden originale Kunstwerke, Gemäldereproduktionen in Originalgröße, Vorkriegsaufnahmen der Museumssäle, historische und neu gefertigte Abgüsse aus der Gipsformerei und umfangreiches Archivmaterial aus dem Zentralarchiv der Berliner Museen vereint.
Die Wunden, die auch den Berliner Museen durch den von Deutschland begonnenen Krieg entstanden, werden sinnlich erfahrbar. Bereits Jahre vor jenem verbrecherischen Krieg, mit dem Deutschland ab 1939 ganz Europa überzog, erhielten deutsche Museen Anweisung zum Schutz ihrer Kunstwerke. Hierfür genutzt wurden in Berlin ab 1939 u.a. die Keller des Pergamonmuseums, ab 1941/42 die neu errichteten Flakbunker am Zoologischen Garten und im Friedrichshain. Noch Ende März, Anfang April 1945 erfolgten Umlagerungen von am Zoo und im Friedrichshain ausgelagerten Kunstwerken gen Westen.
Der Ort, an dem die Kunstwerke sich bei Kriegsende befanden, bestimmte ihr weiteres Schicksal. Amerikanische Offiziere brachten nach Thüringen evakuierte Werke, darunter Gemälde des Kaiser-Friedrich-Museums, in sogenannte Central Collecting Points. 202 der berühmtesten Berliner Gemälde gingen im Dezember 1945 vom Collecting Point Wiesbaden aus für mehrere Jahre auf „Ausstellungstournee“ in die USA. Die Offiziere widersprachen, wenn auch erfolglos.
Die Geschichte der in den Berliner Auslagerungsorten verbliebenen Skulpturen und Gemälde nahm eine andere Wende. Hunderte, vielleicht Tausende, darunter Sandro Botticellis berühmte „Maria mit dem Kind und Leuchter tragenden Engeln“, fielen verheerenden Bränden im Leitturm des Flakbunkers im Friedrichshain zum Opfer. Nur der von Wilhelm von Bode für das Botticelligemälde in Auftrag gegebene Rahmen, an anderem Ort verwahrt, überstand den Krieg unbeschadet. Wieder andere Kunstschätze, von sowjetischen Trophäenbrigaden zunächst in zentralen Depots zusammengetragen, gelangten ab Sommer 1945 nach Moskau und Leningrad. Die Sowjetunion nahm sie als Kompensation für die zahllosen beraubten, geschändeten und bewusst vernichteten Schlösser und Parkanlagen, Kirchen und Museen in Russland, Weißrussland, der Ukraine. Viele der von der Sowjetunion „geretteten“ Werke – in einer großen, politisch motivierten und feierlich zelebrierten Aktion gab die Sowjetunion 1958 1,5 Millionen Kunstwerke an die DDR zurück – zeugen bis heute von den Geschehnissen im Friedrichshain. Durch Hitze verfärbte, in zahllose Einzelteile zersprungene Elfenbeinarbeiten, in Kalk verwandelte Marmorskulpturen, von Rauch geschwärzte Reliefs kehrten zurück. Berührend und intensiv offenbaren sie die zerstörende Gewalt jeglichen Krieges.
Wie diese Werke restaurieren? Die Ausstellung zeigt verschiedene Möglichkeiten, von belassenen Löchern, Spuren von Querschlägern möglicherweise, in der Skulptur des bogenschnitzenden Amors von François Duquesnoy bis zum komplett rekonstruierten Relief der Madonna mit Kind von Antonio Rossellino. Dessen unterschiedliche Restaurierungszustände, nach 1958 und seit 2012, geben dem Besucher Gelegenheit zu Vergleich und eigener Meinungsbildung. Am Beispiel von Donatello fragt die Ausstellung zudem nach den Folgen, die es hat, wenn Kunstwerke aus dem Blick von Forschung und Öffentlichkeit geraten.
Der letzte Saal erzählt von Neuanfängen. Die Gründung des Deutsch-Russischen Museumsdialog (DRMD) auf Initiative der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2005 war ein solcher. Der DRMD, der die Ausstellung im Bode-Museum wissenschaftlich begleitete, hat sich dem grenzüberschreitenden Austausch verschrieben. Er zielt darauf, das Wissen um deutsche und russische Sammlungen im Krieg zu vertiefen und Kunstwerke in den Blick von Forschung und Öffentlichkeit zurückzubringen, die seit Jahrzehnten verloren scheinen. Dass dies möglich ist, verdeutlicht eine andere Ausstellung, die am 24. April dieses Jahres in Gattschina in einem der früheren russischen Zarenschlösser eröffnet wurde. Dem Alltagsleben der sowjetischen Bevölkerung unter der deutschen Okkupation gewidmet, zeigt diese erstmals eine Ikone, die u. a. mit Unterstützung des DRMD nach Gattschina zurückgekehrt ist.