Blechen bleibt
Als am 29. Mai 1934 bei Rudolph Lepke die Versteigerung der „Kunstsammlung Rudolf Mosse, Berlin“ stattfand, wird nur den wenigsten Bietern bewusst gewesen sein, dass es sich um eine Zwangsauktion handelte. Den prächtigen Katalog leitet ein sechsseitiger Aufsatz des Kunsthistorikers Hans Rosenhagen ein, der den individuellen Stil des 1920 verstorbenen jüdischen Verlegers und Sammlers lobt und das als privates Kunstmuseum von ihm errichtete Palais Mosse am Leipziger Platz und dessen beste Stücke euphorisch beschreibt. Die wahre Geschichte hinter der aufwendig und scheinbar legal inszenierten Versteigerung sah anders aus: Mosses Tochter Felicia (1888 –1972) und sein Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse (1885 –1944) waren bereits 1933 von den Nationalsozialisten gezwungen worden, das (wenn auch bankrotte) Verlagsimperium per Generalvollmacht einem parteinahen Vorstandsmitglied zu übergeben. Zum Zeitpunkt der Versteigerung war nicht nur der Verlag „arisiert“, auch ihr sonstiges Vermögen war enteignet worden und das Ehepaar des Landes verwiesen. Vom Verkaufserlös ihrer Kunstsammlung erhielten die beiden ebenfalls nichts. Diese Zusammenhänge gehen aus den in der Nachkriegszeit angelegten Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten hervor, die erst kürzlich im Rahmen der Provenienzforschung erstmals wieder eingesehen und ausgewertet wurden. Die Recherchen fanden statt, weil entgegen der Grundstücke und Immobilien, welche nach Kriegsende unter Anerkennung ihrer rassischen Verfolgung an die Lachmann-Mosses rückerstattet wurden, die Kunstsammlung nie berücksichtigt worden ist. Während Rudolf Mosse (1843 –1920) als Verleger Interessierten vielleicht noch ein Begriff war, wurde die Erinnerung an ihn als Kunstsammler der Kaiserzeit mit dem Zwangsverkauf und der Zerstreuung der Sammlung 1934 ausgelöscht.
Mosse hatte eine bedeutende Kunstsammlung mit einem Schwerpunkt auf die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts zusammengetragen. Darunter auch Carl Blechens Gemälde „Blick auf das Kloster Sta. Scolastica bei Subiaco“ von 1832, die Katalognummer 12 in der Lepke-Auktion, ein herausragendes Beispiel der deutschen Italienbegeisterung. Das Gemälde belegt exemplarisch die Mittlerstellung des Werks dieses Malers zwischen romantischer und naturalistischer Naturdarstellung. Wie in vielen von Blechens Landschaften sind auch hier Aufbau und Beleuchtung dramatischer und effektvoller gestaltet als in den Werken seiner Zeitgenossen: Der gewählte Bildausschnitt mit Blick vom unteren Eingang der engen Schlucht auf die steilaufragende Felswand, an deren höchstem Punkt das Kloster steht, ist überraschend, der Pinselstrich frei und breit, die Farbe ist zugleich kräftig und zart – die feinsten Abstufungen des südlichen Lichts wiedergebend. 1969 wurde das Bild von der Kunsthalle Karlsruhe angekauft. Dass es einst einem jüdischen Unternehmer gehörte, war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.
Im Auftrag der Erbengemeinschaft begann 2014 die Suche nach dem verlorenen Kunstbesitz Rudolf Mosses. Eine Anwaltskanzlei schickte Auskunftsersuchen an mehrere deutsche Museen; auch die Kunsthalle Karlsruhe erhielt einen Brief mit Fragen zur Provenienz von „Scolastica“. Die als Reaktion auf die Anfrage einsetzenden Recherchen der Kunsthalle bestätigten Mosses frühere Eigentümerschaft, legten die Umstände der Zwangsauktion offen und deckten zahlreiche weitere Stationen der Herkunftsgeschichte des Gemäldes auf.
Und mehr noch: Die Rechercheergebnisse der Kunsthalle konnten drei weiteren Museen zur Verfügung gestellt werden, in denen sich Kunstwerke aus der Sammlung Rudolf Mosse befanden. Denn für alle 325 Katalognummern, die seinerzeit in der Lepke-Auktion aufgerufen wurden, gilt derselbe ursächliche Entziehungsgrund. Der Katalog ist somit ein wichtiges Handwerkszeug, das es möglich macht, verlorene Werke aufzuspüren, für die identifizierten Werke im Sinne der „Washingtoner Erklärung“ faire und gerechte Lösungen zu finden und die Sammlung möglicherweise vollständig zu rekonstruieren.
Die Karlsruher Kunsthalle zeigte den Restitutionsfall gegenüber den Anwälten an und erkundigte sich zugleich nach der Möglichkeit eines Rückkaufs, denn das Ausscheiden des Gemäldes aus der ausgewählten Romantiker-Abteilung des Hauses hätte einen herben Verlust dargestellt. Die Erbengemeinschaft bat sich Bedenkzeit aus, ließ das restituierte Bild aber bis zur Entscheidungsfindung als Leihgabe im Museum und gestattete sogar, die aufgearbeitete Geschichte des Werks und der Familie Mosse während dieser Zeit in einer Ausstellung zu präsentieren. Mit dem nunmehr erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen konnte das Gemälde jetzt für Karlsruhe zurückerworben werden.
Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Förderkreis der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Land Baden-Württemberg