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NATUR UND KULTUR

Bis zum Bauch im Wasser

Tilmann von Stockhausen im Gespräch mit Johannes Fellmann über Notfallvorsorge in Museen

Am 13. August 2002 wurde in Dresden der Katastrophenalarm ausgelöst: Die Jahrhundertflut, die insgesamt mehr als 40 Menschenleben kostete, hatte auch die Landeshauptstadt fest im Griff. Die Elbe erreichte einen Pegelstand von 940 cm, so hoch wie nie zuvor. Die Gemäldegalerie Alte Meister hatte ihre nicht ausgestellten Werke im Kellerdepot aufbewahrt, das wurde ihnen jetzt fast zum Verhängnis. Binnen Stunden konnten die Gemälde dank vieler Helfer aus dem ansteigenden Wasser geborgen und in höher gelegene Räumlichkeiten der Ausstellung gebracht werden. Die Bilanz: 28 Millionen Euro Schaden verzeichneten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) nach der Flutkatastrophe. Auf mehr als eine Milliarde Euro wurden die Schäden im gesamten Stadtgebiet von Dresden geschätzt. Für Notbergung, Konservierung und Restaurierung von Gemälden und Rahmen beider Gemäldegalerien der SKD wurden zwischen 2002 und 2007 insgesamt 1,9 Millionen Euro ausgegeben. Das anschließend neu eingerichtete Zentraldepot im Albertinum hat durch seine Höhe von 17 Metern kein Flutrisiko mehr. Tilmann von Stockhausen, heute Leitender Direktor der Lübecker Museen, war als Pressechef bei der Flutkatastrophe 2002 in Dresden dabei. Die Erfahrung prägt bis heute sein Engagement für die Notfallvorsorge.

Arsprototo: Herr von Stockhausen, Sie haben ein ­dramatisches Extremwetterereignis hautnah miterlebt – die Elbeflut 2002. Wie waren die Museen damals vorbereitet?

Tilmann von Stockhausen: Ich sollte eigentlich erst zum 1. September 2002 als Pressesprecher und Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden unter Martin Roth anfangen. Da meine Vorgängerin schon im Urlaub war, als das Hochwasser Dresden überflutete, musste ich zwei Wochen früher in den Dienst treten. Am meisten hat mich persönlich geprägt, wie wir die gemeinschaftliche Rettungsaktion der Gemälde organisierten. Damals ging dann morgens ein Rundruf durch die Büros der Staatlichen Kunstsammlungen: Ihr müsst alle sofort rüberkommen zur Gemäldegalerie. Dort lief das Wasser über den vollgelaufenen Zwinger in ein unterirdisches Depot vor der Oper, wir haben dann innerhalb von fünf bis sechs Stunden Tausende Gemälde unter sehr gefährlichen Umständen herausgeholt. Wir sind teilweise bis fast zum Bauch im Wasser gelaufen und haben die Bilder noch von den Hängeanlagen heruntergeholt. Aber letztlich hat es dazu geführt, dass eben ein Bestand von fast 3.000 Bildern gerettet werden konnte. Wie kann man sich vorbereiten? Das habe ich mich natürlich danach immer gefragt: Als ich Direktor der Freiburger Museen war, haben wir vor allen Dingen darauf geachtet, die Evakuierbarkeit von Kunstwerken schon bei der Konzeption von Ausstellungen zu berücksichtigen. Unser damaliger Chefrestaurator, Christoph Müller, hat zum Beispiel damals eine geniale Gemälde­vitrine entwickelt, mit der das Bild einerseits bestens gesichert ist, aber gleichzeitig von der Feuerwehr innerhalb von Sekunden evakuiert werden kann.

Welche Besonderheiten sind in ­Lübecker Museen bei der Notfall­vorsorge zu beachten?

In Lübeck stehe ich jetzt vor neuen ­Herausforderungen, da das St. Annen-­Museum beispielsweise über einen bedeutenden Schatz an mittelalterlichen Altären verfügt, sie sind sehr groß und schwer. Die kann man nicht einfach heraustragen. Wir verbinden uns gerade mit vergleichbaren Sammlungen, um hier passende Lösungen zu finden. Wir erarbeiten in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr zunächst einen Evakuierungsplan, identifizieren Objekte, die tatsächlich in einem Katastrophenfall noch aus dem Gebäude herausgeführt werden können. Dazu müssen wir aber Halterungen oder Sicherungen entwickeln, die entfernt werden können. Als nächstes planen wir einen Notfallverbund, bei dem sich Museen, Feuerwehr und andere Beteiligte austauschen und gemeinschaftlich Konzepte erarbeiten können. Dabei wurde klar, dass man Bewährtes aus anderen Städten für Lübeck adaptieren kann. Ein Problem sind zum Beispiel in Lübeck die engen Altstadtgassen, weswegen man einen Notfallcontainer überhaupt nicht einfach platzieren könnte. Köln hat ja einen eigenen Notfallcontainer, den man im Katastrophenfall vor dem Gebäude aufstellen kann, um evakuierte Kunstwerke aufzunehmen. Das funktioniert bei uns gar nicht. Wir müssen letztlich einen Evakuierungsort finden, der in der Nähe ist oder mit Zelten arbeiten.

Woher erhalten Sie Unterstützung?

Wir sind ja eine rein kommunale Einrichtung, die Kulturstiftung der Hansestadt Lübeck. Aber es braucht für diese Prozesse natürlich auch die Unterstützung der Landesbehörden. Und die Vernetzung untereinander ist zentral. Jetzt hoffen wir, dass das Land Schleswig-Holstein die Koordinierung stärker voranbringt.

In Lübeck stehen bald Sanierungen von Gebäuden an. Welche Rolle spielt dabei die Prävention?

Wenn wir jetzt das St. Annen-Museum generalsanieren, werden auch die mittel­alterlichen Altäre komplett aus dem Gebäude herausgebracht. Das heißt, wir werden uns überlegen, wie man dann die Sicherung im Katastrophenfall verbessern kann. Schafft man doch die Möglichkeit, die Objekte zu evakuieren, kann man sie auseinandernehmen? Oder müssen wir uns überlegen, ob zumindest ein zeitweiliger Brandschutz zum Beispiel durch Brandschutzdecken hergestellt werden kann, die von der Decke herunterkommen? Wenn ich eine flache, moderne Decke habe, dann kann ich das installieren. In einem Raum mit Kreuzgewölbe muss ich mir noch etwas anderes überlegen. Interessant ist, dass man sich in den Lübecker Kirchen mit dem Thema schon sehr frühzeitig beschäftigt hat und bereits vor vielen Jahren, vielleicht auch aus der Folge der Brandkatastrophe 1942 nach dem Bombenangriff in Lübeck, eine andere Lösung gefunden hat. Dort gibt es Kisten in der Nähe von Altären mit Brandschutzdecken und lange Stangen, die sich hinter Rückwänden verbergen. Man hat Konstruktionszeichnungen angefertigt, wie man Decken über einen Altar herüber­ziehen kann. Das ist relativ einfach, aber wirksam. Wenn man an das Unglück von Notre-Dame denkt, als der Dachstuhl brannte, dann ist das Inventar in einem solchen Katastrophenfall äußerst gefährdet. Dann kann die mechanische Sicherung einen Schutz darstellen.

Lübeck liegt nicht weit vom Meer. Welche Rolle spielt der Klimawandel bei Ihnen? 

Wir müssen natürlich darüber nachdenken, was der steigende Meeresspiegel für uns bedeutet. Nun hat Lübeck das Glück, dass sich auf der Altstadtinsel bis auf das Holstentor alle Gebäude in ausreichender Höhe befinden, selbst bei einem Anstieg des Meeresspiegels von ein bis zwei Metern. Für das Holstentor müssen wir diese Problematik auf jeden Fall mitdenken, denn das ist hochwassergefährdet. Da gibt es einfache Techniken, die man sich in Lübecker Altstadthäusern am Rande der Trave schon sehr frühzeitig ausgedacht hat. In der Regel werden deswegen abends, wenn das Holstentor verschlossen wird, an den Eingangstüren Schotten eingelassen, weil schon ein starker Regenfall zu einem sehr massiven Wassereinbruch im Erdgeschoss führen kann.

Sie planen nun auch einen Notfallverbund. Wie gehen Sie vor?

Ich koordiniere mich mit anderen Institutionen in Lübeck. Mein Kollege, der Leiter des Archivs der Hansestadt Lübeck, Jan Lokers, hat bereits mit einfachen Mitteln an seinem Haus viel bewirkt und Vorsorge getroffen. Das geht los mit einzelnen Werkzeugeinsatzkisten für die Mitarbeitenden. Man kann damit erste Schutzmaßnahmen durchführen. Ganz wesentlich ist natürlich ein Aspekt, der vornehmlich die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr betrifft: die Kenntnis der Gebäude. Das wird meiner Meinung nach oft noch unterschätzt. Historische Museumskomplexe oder auch Archive sind meistens sehr verwinkelt und schwierig zugänglich. Da ist es von enormem Vorteil, wenn die Feuerwehr das Gebäude wirklich bis zum letzten Winkel kennt. Regelmäßige Begehungen mit der Feuerwehr in den historischen Museumsbauten sind extrem wichtig. Wenn die Feuerwehrleute dann in der Regel nachts mit Atemschutzmasken kommen, ist das Gebäude vielleicht verraucht, und man hat kaum eine Chance, sich zu orientieren. Wir wollen jetzt Kunstlaufkarten für die Feuerwehr machen. Was wäre im Katastrophenfall evakuierbar? Was kann man überhaupt physisch rausbringen, weil es vielleicht nicht so schwer oder nicht irgendwie fest installiert ist. Und wir machen auch eine Art Triage, eine Priorisierung, welche Kunstwerke am wertvollsten sind und als Erstes gesichert werden müssen. Das hängt mit der Bedeutung des Kunstwerks, aber auch mit dem Wert zusammen.

Meist befindet sich nur ein Bruchteil der Sammlung in den Ausstellungsräumen, Stichwort Depot. Welche Erfahrungen haben Sie dazu gemacht?

Es gilt, wenn möglich, Depots in historischen Gebäuden aufzulösen, die keinen ausreichenden Brandschutz haben und die nicht evakuiert werden können. In Freiburg konnte ich ein modernes Zentraldepot bauen. Das würde ich auch hier in Lübeck gerne einrichten. Das St. Annen-Museum ist bis zum Dachboden mit Kunst angefüllt, so verschärfen wir die Brand­gefahr noch stark, weil das ja Brandlasten sind. Schlecht zugängliche Depoträume sollte man einfach grundsätzlich vermeiden, der Brandschutz muss für Museen in diesem Zusammenhang meiner Ansicht nach eine viel größere Rolle spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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