Beinbruch und Stillstand
Ob der Halberstädter Dichter Gleim jemals den reich timbrierten Glockenschlag der feinen englischen Standuhr im Salon der Frau von Branconi im nahen Langenstein gehört hat? Ob er vielleicht auf einem der stilvollen Stühle oder dem Dreiersitz mit Elfenbeineinlagen auf einen Tee mit der legendären Schönheit Platz genommen hat? Wir wissen es nicht. Dass umgekehrt die Langensteiner Gutsherrin zu Gast in Gleims Freundschaftstempel war, in dem sich ihre Salonmöbel heute befinden, ist mehr als wahrscheinlich. Kaum jemand aus der Welt der Dichter und Denker, der hier nicht zu Besuch gewesen wäre – Klopstock, Ewald von Kleist, Lessing, Karsch, Herder, Wieland oder Jean Paul. Die Porträtgalerie der Aufklärung galt auch vielen anderen bildungsbeflissenen Reisenden als Sehenswürdigkeit. Und Gleim war nicht kleinlich, sie einzulassen, stets dankbar für die Gelegenheit, seine Dichterwelt vorzustellen und den Aufschwung, den seine Generation der deutschen Literatur beschert hatte, darzulegen.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719 –1803), ein Genie der Freundschaft, war mit fast allen namhaften Dichtern und Denkern seiner Zeit befreundet, stand mit ihnen in Korrespondenz und versammelte sie in Bildnissen um sich. So trug er neben der Porträtsammlung ein umfangreiches Literaturarchiv sowie eine große Bibliothek zusammen. Die Atmosphäre des bis heute weitgehend original erhaltenen Freundschaftstempels Gleims ist einzigartig. Hier ist das 18. Jahrhundert mit seiner Freundschaftskultur gegenwärtig.
Maria Antonia von Branconi (1746 –1793) wuchs als Tochter italienisch-deutscher Eltern in Neapel auf, wurde früh verheiratet und war bereits im Alter von 20 Jahren Witwe. Auf seiner Grand Tour machte der Braunschweiger Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand ihre Bekanntschaft und führte sie als Mätresse nach Hause. Auf der Suche nach einem Landgut stieß man auf Langenstein, genau in der Mitte zwischen der früheren Welfen-Residenz Blankenburg und Halberstadt, wo das Regiment des Erbprinzen in Garnison lag. Als die Branconi auf ihrem Gut ab 1782 ein Schloss errichten ließ, war das Verhältnis zu dem nunmehrigen Braunschweiger Herzog allerdings bereits erkaltet.
Die Branconi lebte abwechselnd in Langenstein, Lausanne, Straßburg, Neuchâtel, Paris und London. Ihr Lebensinhalt bestand im musisch-geistigen Verkehr mit schönen Seelen, die sie mit Leichtigkeit für sich einnahm. Goethe zweifelte im Angesicht der Branconi gar an seinen Sinnen: „Sie kommt mir so schön und angenehm vor, daß ich mich in ihrer Gegenwart stille fragte obs auch wahr seyn mögte, daß sie so schön sey. Einen Geist! ein Leben! einen Offenmuth!“ In enger Verbindung stand die Branconi etwa auch mit Johann Caspar Lavater und Johann Joachim Eschenburg, die beide in Gleims Freundschaftstempel vertreten sind.
Das Mobiliar aus Schloss Langenstein, sechs Rohrgeflechtstühle und ein zugehöriger Dreiersitz mit qualitätvollen Elfenbeineinlagen, ein Konsoltisch sowie eine Standuhr des renommierten Londoner Uhrmachers James Fenton, gelangte aus dem 1945 während der Bodenreform enteigneten Schloss Langenstein in das Gleimhaus und konnte kürzlich – nach Restitution und Nießbrauch – von den letzten Eigentümern Langensteins, der Familie Rimpau, erworben werden. Zu einem großen Teil befindet es sich in einem desolaten Zustand. Die Uhr steht still, einige Stuhlbeine sind gebrochen.
Das Ensemble soll nicht bloß den Freundschaftstempel lebensweltlich möblieren. Um den großen ovalen Tisch in Gleims Freundschaftstempel herum gruppiert, würde das Sitzmobiliar imaginären Besuchern Platz bieten und somit gleichsam die Dichter und Denker der Aufklärung virtuell wieder bei Gleim zusammenführen. Die Uhr würde, wieder in Gang gebracht, eine Brücke von der Vergangenheit in unsere Gegenwart schlagen, gleichsam die Aufklärung als heranreichende Vergangenheit sinnfällig machen, entsprechend ihrer bis heute wirkenden Ideen. Helfen Sie mit, das kostbare Ensemble zu restaurieren und dem Besucher von Gleims Freundschaftstempel diese sinnbildliche Dimension wieder erlebbar zu machen!