Bei Gustav Kühn in Neu-Ruppin

Was ist der Ruhm der Times gegen die zivilisatorische Aufgabe des Ruppiner Bilderbogens?“, fragte Theodor Fontane 1861 in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und lobte das neue Medium, das seine Geburtsstadt so berühmt gemacht hatte: „Lange bevor die erste ‚Illustrierte Zeitung‘ in die Welt ging, illustrierte der Kühnsche Bilderbogen die Tages­geschichte, und was die Hauptsache war, diese Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte den Ereignissen auf dem Fuße. Kaum, daß die Trancheen vor Antwerpen eröffnet waren, so flogen in den Druck- und Kolorierstuben zu Neu-Ruppin die Bomben und Granaten durch die Luft; kaum war Paskewitsch in Warschau eingezogen, so breitete sich das Schlachtfeld von Ostrolenka mit grünen Uniformen und polnischen Pelzmützen vor dem erstaunten Blick der Menge aus, und tief sind meinem Gedächtnisse die Dänen eingeprägt, die in zinnoberroten Röcken vor dem Danewerk lagen, ­während die preußischen Garden in ­Blau auf Schleswig und Schloß Gottorp losrückten.“

„Das merkwürdige Jahr 1848“: Die Druckerei Kühn begleitete die revolutionären Ereignisse in Deutschland mit einer knapp 100 Nummern umfassenden Serie
„Das merkwürdige Jahr 1848“: Die Druckerei Kühn begleitete die revolutionären Ereignisse in Deutschland mit einer knapp 100 Nummern umfassenden Serie

Neuruppin war im 19. Jahrhundert ein europäisches Zentrum der Bilder­bogenproduktion. Mehr als 20.000 ver­schiedene Bilderbogenmotive wurden in den drei Druckereien Gustav Kühns, Oehmigke und Reimschneiders sowie Friedrich Wilhelm Bergemanns insgesamt hergestellt. Das von Alois Sene­felder entwickelte Steindruckverfahren, die sogenannte Lithografie, erlaubte die günstige Herstellung großer Auflagen in gleichbleibender Qualität. Die meist einseitig bedruckten und in bunten Farben kolorierten Papierbogen machten Neuruppin weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Das Repertoire der Neuruppiner Firmen war vielschichtig: Religiöse Motive, Genredarstellungen, Ankleidepuppen und Modellierbogen, Bogen mit Würfelspielmotiven, Herrscherporträts und Heiligenbildnisse waren ebenso beliebt wie die Darstellung besonderer politischer Ereignisse und Merkwürdigkeiten des Weltgeschehens. Bilderbogen berichteten von Schlachten und Revolutionen, von Hochzeiten, Thronbesteigungen und Begräbnissen, sie erzählten heitere Bildergeschichten für Jung und Alt, zeigten Kinderspiel und galante Szenen, lieferten Sprüche, Verse, Bilderrätsel und Motive zum Ausmalen. Ganze Armeen mit Papier­soldaten zum Ausschneiden und Spielen verließen die Druckwerkstätten in Neuruppin und prägten Generationen von Kindern. Aus sogenannten Krippelbildern konnten umfangreiche Weihnachtskrippen gebastelt werden. Sowohl die Vielfalt der Motive als auch die Höhe der Auflagen machten die Bilderbogen im 19. Jahrhundert zu einem populären Bildmedium ersten Ranges.

Mitte der 1990er Jahre konnte das Museum Neuruppin mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder eine umfangreiche private Bilderbogen-Sammlung erwerben und damit seine Bestände erheblich erweitern. Neben einer großen Zahl Bilderbogen Neuruppiner Provenienz kamen nun auch Blätter aus Druckwerkstätten aus ganz Europa hinzu, die eine vergleichende Perspektive auf das Thema und seine Einordnung in inter­nationale Kontexte ermöglichen. Das nunmehr rund 12.000 Stück umfassende Bilderbogenarchiv des Museums erlaubte die Einrichtung eines Dokumentationszentrums, das bis heute wissenschaftliche Anfragen und Forschungsvorhaben begleitet und zahlreiche Sonderausstellungen unterstützt hat. Um seine Bilderbogen angemessen und attraktiv präsentieren zu können, wird das Museum Neuruppin seit Mai 2012 saniert und durch einen modernen Ausstellungsanbau erweitert. Ziel dieser mit EU-Mitteln geförderten Maßnahme ist es, das Museum zu einem kulturellen Zugpferd für die touristische Entwicklung der Stadt und der Region zu ­machen. Hierbei spielen die Bilderbogen eine tragende Rolle. Künftig werden die lichtempfindlichen Graphiken in dafür geeigneten Räumen angemessen ausgestellt und vermittelt werden können. Hierzu wurden alle Bilderbogen in den vergangenen Jahren digital erfasst. Eine Datenbank erleichtert den Zugriff und die Recherche. Mit der Umbettung der Blätter in alterungsbeständige und säurefreie Mappen und Kartonagen wird derzeit ein wichtiger Schritt hin zu einer konservatorisch angemessenen Lagerung der wertvollen Sammlung realisiert. Ein weiterer ist die Schaffung geeigneter Depoträume im Zuge der Baumaßnahme. Die kostspielige und aufwendige Restaurierung besonders gefährdeter Blätter – pro Bogen ist mit Kosten von 150 bis 200 Euro zu rechnen – ist jedoch eine Aufgabe, die für das Museum Neuruppin nur mit finanzieller Unterstützung von außen leistbar ist, um die wir Sie hier herzlich bitten: Mit Ihrer Hilfe können wertvolle Bilderbogen vor dem Zerfall bewahrt werden!