Armer reicher Tizian
Was ein Gemälde von Gerhard Richter kostet oder von Neo Rauch, das kann heute jeder in der Zeitung lesen. Und wie und wo man es kaufen oder ersteigern kann – wenn man die nötigen Mittel hat – ebenso. Aber wie ging das eigentlich früher? Schrieb ein Tizian Rechnungen? Und was verdiente er? Ein Blick auf Zahlungswege in der Renaissance und die monetären Marotten eines internationalen Malerstars:
„Ich schicke zwar hiermit 100 Dukaten“, schrieb die große Renaissance-Mäzenin Isabella d’Este im Jahr 1523 aus Mantua an ihren venezianischen Gesandten, „aber es wäre mir recht, wenn Ihr den Preis noch um einige Dukaten drücken und Tizian nicht den gesamten Betrag auszahlen würdet.“ Schon damals war der Künstler berühmt und geschäftstüchtig. Sein Ruhm war spätestens durch die Enthüllung seiner ebenso hinreißenden wie revolutionären „Assunta“ in der Frarikirche weit über die Grenzen des Veneto hinausgewachsen. Auch als Porträtist war er unübertroffen. Aus Urbino, Ferrara und Mantua erreichten ihn Aufträge, später aus Rom, Augsburg und Madrid, vom Papst und vom Kaiser, von der Königin von Ungarn und dem König von Spanien. Doch beileibe nicht alle Kunden waren leicht zufriedenzustellen. Isabella gehörte zu den schwierigeren Fällen.
100 Dukaten kamen zu dieser Zeit dem Jahresverdienst eines venezianischen Oberkalfaterers gleich, der im Arsenal für das Abdichten der Schiffsrümpfe verantwortlich war. Ungefähr ein Viertel davon verdiente ein Augsburger Maurergeselle in einem Jahr. Von einem Dukaten konnte man damals in einer venezianischen Apotheke zum Beispiel fünf Kilo Muskatnüsse, 25 Kilogramm feines Bleiweiß, Indigo oder 300 Gramm kostbares Lapislazuli kaufen. Für den gleichen Preis gab es zehn afrikanische Straußenfedern, die damals hoch im Kurs standen, als luxuriöse Mode-Accessoires für Männer wie für Frauen. Zweieinhalb Dukaten war der Preis einer Laute mit Koffer, und fünf Dukaten kostete die Monatsmiete eines Ladengeschäfts im Stadtteil Rialto. 102 Dukaten bekam Tizian für seine fast fünf Meter hohe „Madonna des Hauses Pesaro“, die er zwischen 1519 und 1526 schuf, „inclusive sechs Dukaten für den Keilrahmen“.
Tizian lebte nicht nur von seinen diversen privaten Aufträgen. Nach dem Tod seines Lehrers Giovanni Bellini im Jahr 1516 hatte er den Posten des offiziellen Staatsmalers der venezianischen Republik angetreten. Dadurch war er von gewissen Steuern befreit und genoss ein jährliches Einkommen von 100 Scudi Gehalt, plus, für jedes Porträt eines neugewählten Dogen, 25 Scudi extra. Eine Umrechnungstabelle für die verschiedenen Währungen existiert leider nicht, aber ein Goldscudo wog im 16. Jahrhundert 5,25 Gramm. Rund 3,5 Gramm wog jeweils ein Dukat, ein Florin oder ein Goldgulden.
Isabella d’Este hatte ihren Gesandten im Jahr 1523 zwar zur Zahlung an Tizian für besagtes Bild angewiesen, doch zwei Wochen später ließ sie ihn wissen, sie habe es sich anders überlegt und verlange ihr Geld zurück. Das, so vertraute der venezianische Gesandte einem Freund an, werde jetzt richtig peinlich: „Erst lässt sie uns die Verhandlungen mit Tizian führen und muss dieses Bild unbedingt besitzen, und jetzt will sie es doch nicht kaufen. Ich weiß nicht, wie ihr Ruf darunter leiden wird.“ (Die Angelegenheit hinterließ keinen bleibenden Schaden. Jahre später malte Tizian unter anderem ein Porträt der 60-jährigen Fürstin als hübsche junge Frau, das sie mit Freude in Empfang nahm, auch wenn sie bezweifelte, dass sie „in ihrer Jugend jemals so gut ausgesehen habe wie auf Tizians Bildnis“.) Der Verweis des Gesandten auf ihren Ruf ist bedeutungsvoll: Die Korrespondenz der Zeit strotzt vor Hinweisen darauf, wie wichtig den Machthabern der Zeit die öffentliche Meinung in Venedig war. Begierig streckten die italienischen Fürsten ihre Antennen aus, um zu erfahren, was und wie über sie gesprochen wurde. Diese Empfindsamkeiten lernte Tizian zu nutzen, besonders seit sein Schriftstellerfreund Pietro Aretino ihm mit Rat und Tat zur Seite stand. Aretino, dessen spitze Feder ihm den Beinamen „Geißel der Fürsten“ einbrachte, verkündete Tizians Ruhm, indem er über ihn schrieb und seine Kunst als Werbegeschenke an verschiedenen Höfen verteilte. Außerdem half Aretino Tizian auch direkt bei seiner Korrespondenz und entwarf wortreich schmeichelnde oder auch drohende Briefe.
Ein Schlüssel zu Tizians ökonomischem Erfolg war die Tatsache, dass er sich nicht als Hofkünstler von einem einzigen Machthaber vereinnahmen ließ. Er wahrte seine Unabhängigkeit und verließ Venedig nur ungern und nie dauerhaft. Der Preis einzelner Werke war ihm weniger wichtig als die Aussicht auf stetige Einkünfte. Um den Unterhalt für sich und seine Familie auf Dauer zu sichern, suchte Tizian einträgliche Stipendien, weltliche Ämter mit regelmäßigem Einkommen und kirchliche Pfründen für seinen ältesten Sohn Pomponio, für den er die Priesterlaufbahn bestimmt hatte. Immer wieder verlieh Aretino Tizians Wünschen durch Briefe Ausdruck, die weitaus blumiger und geschickter formuliert sind als die eher hölzernen Zeilen, die Tizian verfasste, wenn er allein zur Feder griff.
Da ist zum Beispiel die Korrespondenz mit Federico Gonzaga, dem Sohn von Isabella d’Este, der Mantua als Markgraf und später als erster Herzog regierte. Im Lauf von knapp 15 Jahren bestellte Federico rund 40 Werke bei dem Künstler. Tizians Bilder zierten sein Schlafzimmer und verschiedene andere Räume im Palazzo Ducale in Mantua, aber sie dienten ihm auch als diplomatische Geschenke für andere Höfe, sei es für Ottheinrich von der Pfalz oder Vittoria Colonna, die Markgräfin von Pescara.
Am Beginn der Geschäftsbeziehungen mit Federico steht ein – wiederum verschollenes – Porträt von Aretino. „Es ist mir immer ein Anliegen, Euch zu gefallen“, schrieb der Künstler im Juni 1527 wahrscheinlich in Anwesenheit, wenn nicht gar unter dem Diktat seines Freundes, „und so habe ich Pietro Aretino porträtiert, der wie ein zweiter Paulus das Lob Eurer Exzellenz predigt, und mache Euch dies Bildnis zum Geschenk.“ Dass das Geschenk, das sowohl den Dargestellten als auch den Künstler am mantuanischen Hof empfahl, nicht ohne Erwiderung bleiben durfte, war allen Beteiligten bewusst. Federico schrieb an Aretino, er solle Tizian ausrichten, „dass ich mich in Kürze erkenntlich zeigen werde für diese Präsentation seiner Kunst, die ich auf keinen Fall ohne angemessenen Dank lassen möchte“. Als aber im September immer noch kein Gegengeschenk bei Tizian angekommen war, beklagte sich Aretino, und Federico verteidigte sich: Krank sei er gewesen, aber er habe Tizians Talente nicht vergessen und werde sich bald erkenntlich zeigen. Endlich kamen dann doch noch Geschenke in Venedig an: Aretino erhielt eine golddurchwirkte Jacke, und mit etwas Verzögerung bekam auch Tizian ein „nobles und ehrenhaftes Geschenk“ von Federico – wohl ebenfalls ein wertvolles Kleidungsstück. Tizian nannte es „eines hohen und erhabenen Fürsten würdig“. Bei einer anderen Gelegenheit ließ Federico dem Künstler eine prächtige Weste schicken. Tizian schrieb ihm daraufhin, er sei „so dankbar“, dass er den Marchese „nur mit seinem eigenen Blut entlohnen könne, und ihm dafür unendlich die Hände und Füße küsse“. Mit Vergnügen wird Federico Gonzaga außerdem gelesen haben, dass Tizian das Geschenk „in Anwesenheit vieler bedeutender Männer“ überreicht wurde. Um seinen Auftraggebern zu schmeicheln, beschenkte Tizian sie nicht nur mit Bildern, sondern bei Gelegenheit auch mit in Venedig verfügbaren Kostbarkeiten wie zum Beispiel orientalischen Stoffen. Einmal, als die winterlichen Temperaturen den Transport zuließen, sandte er sogar 200 Austern nach Mantua. Federico bedachte Tizian für seine Loyalität in seinem Testament und vermachte dem Künstler, als er nur 40-jährig starb, ein Pferd aus den berühmten mantuanischen Stallungen. Leider hatte der nächste Herzog von Mantua, Federicos ältester Sohn Francesco, weniger Interesse an der Kunstpatronage. „Gestern morgen habe ich Tizian getroffen“, schrieb im Jahr 1549 ein mantuanischer Gesandter aus Venedig an einen Kollegen. „Er wollte wissen, ob der Herzog das Porträt erhalten habe, und als ich bejahte, fragte er mich, ob denn ein Geschenk für ihn unterwegs sei. Als ich das verneinen musste, sagte er, es könne doch wohl nicht wahr sein, dass der Herzog ihm einfach kein Geschenk mache, das seinem Stand und dem Wert seines Werks angemessen sei, ansonsten sei er gezwungen, noch schlimmere Geschichten zu verbreiten als Aretino.“
Von Papst Paul III. Farnese erhoffte sich Tizian eine reiche kirchliche Pfründe, die Abtei von San Pietro in Colle, die an ein Landgut des Künstlers grenzte. Sie sollte seinem Sohn Pomponio zugute kommen, der Priester werden sollte. Wenn er nur diese Pfründe erhalte, so ließ Tizian den Papst wissen, so werde er die ganze Familie Farnese mit allen Geschwistern und Kindern porträtieren, inklusive Lieblingskurtisanen „bis hin zu den Katzen“. Aretino warnte seinen Freund, er solle sich nicht auf die vielen Versprechungen der Farnese einlassen, sie seien berühmt dafür, Hoffnungen zu wecken, die sie nicht erfüllen würden. Und so kam es auch – Tizian schuf verschiedene Meisterwerke für die päpstliche Familie, darunter das zauberhafte Bildnis des jungen Ranuccio Farnese, das heute in der National Gallery in Washington hängt, aber er erhielt weder eine Bezahlung noch die ersehnte Pfründe für Pomponio. Nach Jahren wurde ihm in Rom schließlich in einer feierlichen Zeremonie das römische Bürgerrecht verliehen, und der Papst gewährte seinem Sohn eine andere, bescheidenere Pfründe. Zwar brach Tizian den Kontakt mit den Farnese nicht ab, aber er konzentrierte seine künstlerische Aktivität von da an mehr auf die Habsburger, was sich auf Dauer als weitaus lukrativer erwies.
Dass sich die Verbindung von Tizian und Karl V. zu einer in der Kunstgeschichte einmaligen Symbiose entwickeln würde, war nicht von Anfang an ersichtlich. Nach dem ersten Treffen von Tizian und Karl V. kursierte ein Gerücht in Venedig: „Hier wird in aller Öffentlichkeit über den extremen Geiz des Kaisers geschimpft“, las Francesco Maria della Rovere, der Herzog von Urbino, in einem Bericht aus der Lagunenstadt. Federico Gonzaga hatte Tizian 1529 mit nach Parma genommen, um den Kaiser zu porträtieren. Nun habe der Kaiser Tizian bei diesem ersten Treffen „genau einen Dukaten gegeben, dabei gibt er jeder Frau, mit der er eine Nacht verbringt, zwei Dukaten“. Weiter hieß es, Federico habe Tizian dann „ehrenhalber“ noch 150 Dukaten dazugeschenkt. Ob allerdings zu dieser Zeit schon ein erstes Bildnis von Karl V. entstand, ist nicht überliefert. Vielleicht war diese eine Münze nicht die Bezahlung für ein Porträt, sondern eine Art von Huldigungstaler mit dem Profil des Kaisers, der als Souvenir oder Abzeichen dienen sollte. Aretino trug zum Beispiel zeitweise eine Münze mit der Imprese der Gonzaga an seiner Kopfbedeckung, um seine Loyalität zu bekunden. Es könnte sein, dass dieses erste Geldgeschenk von Karl V. an Tizian auch auf diese Weise zu interpretieren ist. Für das erste nachweislich vollendete Bildnis Karls V. drei Jahre später erhielt der Künstler 500 Scudi, und es folgten viele großzügig bezahlte Meisterwerke.
Die Nachricht, dass Kaiser Karl V. den Künstler 1533 in aller Öffentlichkeit umarmte, machte schnell die Runde in der Gerüchteküche Venedig. Ja, später soll der Habsburger sich sogar herabgelassen haben, ihm den Pinsel aufzuheben. Karl V. machte ihn zum Pfalzgrafen und Ritter des Ordens vom güldenen Sporn, womit das Recht verbunden war, goldene Sporen und eine goldene Kette zu tragen. Sie ist auf Tizians Berliner Selbstbildnis stolz zur Schau gestellt. Tizian versorgte auch Karls Sohn Philipp II. mit großartigen Porträts, religiösen und mythologischen Sujets, darunter das Bild einer Danaë, auf dem sich Zeus’ Goldregen über der eingeschlossenen Königstochter in bare Münze verwandelt und eine alte Magd gierig ihre Schürze aufhält, um einen Teil des göttlichen Schauers einzuheimsen. 1551 wies der katholische König eine Order an, Tizian jährlich 200 Goldscudi auszuzahlen, für schon geleistete und noch zu leistende Dienste. Im Gegenzug für eine lebenslange Pension sollten in regelmäßigen Abständen rund zehn weitere Gemälde nach Spanien geschickt werden. Dabei konnte Tizian von manch einer erfolgreichen Bilderfindung gleich mehrfach profitieren. Vasari beschreibt in seinen Künstlerviten eine Begebenheit aus Tizians Atelier: „Für den katholischen König malte er eine heilige Magdalena in halber Figur (bis zur Hüfte); ihre Haare sind aufgelöst und fallen ihr über die Schultern, Hals und Brust, während sie Haupt und Blicke unverwandt dem Himmel zukehrt, durch ihre roten Augen Reue und durch ihre Tränen Schmerz über ihre begangenen Sünden kundgibt. Jeder, der dies Bild sieht, fühlt sich dadurch sehr bewegt. […] Als es vollendet war, gefiel es einem venezianischen Edelmann so wohl, dass er, als ein großer Verehrer der Kunst, Tizian hundert Scudi gab, damit er es ihm überlasse, und dieser war gezwungen, für den katholischen König ein zweites auszuführen, welches nicht minder schön gelang.“
Wenn Auftraggeber auf Werke warten mussten – und es konnte viele Jahre dauern, bis ein Werk vollendet war –, dann hatte Tizian meist eine gewiefte Begründung parat, er sei zum Malen gerade zu krank und schwach, doch „für seine Heilung sei dringend die Nachricht nötig“, dass er ein gewisses Benefizium erhalte, „das würde ihn wieder aufheitern, denn seine Indisposition liege in seiner melancholischen Stimmung begründet“.
Schon in den 1550er Jahren hatte er sich aufgrund seines fortgeschrittenen Alters von der Pflicht befreien lassen, regelmäßig neue Dogenporträts malen zu müssen. Das Alter hinderte ihn allerdings nicht daran, die berühmten Poesien für Philipp II. zu malen. (Eines dieser Meisterwerke, „Diana und Callisto“, bemüht sich derzeit die Nationalgalerie von Schottland für ihre Sammlung zu erhalten. Der Besitzer, der Herzog von Sutherland, hat den Preis für die Leinwand auf 50 Millionen Pfund gesetzt, ein Sonderpreis für das Museum.)
In einem seiner letzten Briefe an Philipp im Jahr 1571 verwies Tizian auf seine Geldnot, die für ihn als 95 Jahre alten Mann nur schwer zu ertragen wäre. Aber wie alt war Tizian wirklich? Aufgrund dieses Dokuments hat die ältere Kunstgeschichte seine Geburt auf 1477 datiert – heute allerdings geht man davon aus, dass Tizian erst 1488 oder 1490 geboren ist. Als er den Brief schrieb, war er also nicht 95, sondern erst 82 Jahre alt.
Zusammen mit der Pension, die Tizian schon von Karl V. zugesichert bekommen hatte, und seinem Gehalt von der Serenissima konnte er mit einem jährlichen Einkommen rechnen, das rund doppelt so hoch war wie das der höchstbezahlten Regierungsbeamten der venezianischen Republik – nicht eingerechnet die Zahlungen für anderweitige Aufträge. Als er am 27. August 1576 wohl an der Pest starb, war er reich und berühmt und hatte Kinder und Enkel in nächster Nähe. Zwar hatte er ein Leben lang versucht, seine Angelegenheiten vorausschauend zu regeln, aber am Ende entzweite sich seine Familie doch. Mit seinem Sohn Pomponio, der sich zum Priester kein bisschen eignete, kommunizierte Tizian nur noch über Anwälte. Nach Tizians Tod wurde das Haus des Künstlers geplündert, und seine Nachkommen führten jahrelang einen erbitterten Streit um seine übrigen Hinterlassenschaften.