Anti-Aging und Gummi-Kur

Arbeit nennt man den Krieg gegen die Vergänglichkeit“, so hat es der Schweizer Aphoristiker Billy kürzlich beschrieben und dabei sicher nicht an das tägliche Motto der Restauratoren in Museen, Archiven, Bibliotheken oder an Kulturdenkmälern gedacht. Ehrwürdige Tafelbilder oder Readymades, mittel­alterliches Pergament oder modernes Zelluloid – in unseren Sammlungen ist der Bedarf zur Konservierung oder Restaurierung vieler Kunst- und Kulturschätze immens. Da die Mittel für derartige Maßnahmen oftmals fehlen oder die Restauratoren durch einen dichten Ausstellungsreigen mehr als gefordert sind, haben die Kulturstiftung der Länder und die Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2007 gemeinsam die nationale Restaurierungsinitiative KUR ins Leben gerufen. Mit sieben Millionen Euro, zur Verfügung gestellt von der Kulturstiftung des Bundes, und einer Laufzeit bis Ende 2011 werden 26 Projekte gefördert. Während der kurzen Bewerbungsphase hatten sich über hundert Projekte vorgestellt, von denen nur ein Teil realisiert werden konnte – nicht aus inhaltlichen Erwägungen, sondern wegen der begrenzten Mittel. KUR – das „Programm zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut“ ist angesichts des enormen Restaurierungsbedarfs nicht mehr als ein halber Tropfen auf einen glühendheißen Stein. Als Initialzündung gedacht, soll das Programm ähnliche Initiativen auf Länderebene nach sich ziehen. Leider hat bislang nur Nordrhein-Westfalen das Programm „Substanzerhalt von Kulturgütern“ aufgelegt. Weiteres Engagement in den Ländern tut not, vor allem, weil KUR eine von Anfang an befristete Initiative war. Die geförderten Restaurierungsprojekte zeichnen sich durch ihre exemplarische Bedeutung und eine weit gefächerte Auswahl aus. Ziel des Programms ist es, neue wissenschaftliche Grundlagen für eine fachgerechte Konservierung zu schaffen und restauratorische Techniken weiterzuentwickeln, damit die gewonnenen Erkenntnisse über das Programm hinauswirken können.

Werfen wir einen Blick in die Depots und Werkstätten der am KUR-Projekt beteiligten Einrichtungen: Korrodierte Klumpen – nicht Hunderte, sondern Abertausende lagern in den Depots der Archäologischen Sammlungen und rosten vor sich hin. Unscheinbar sehen sie aus, diese historischen Überraschungseier, deren Zerfall ohne Restaurierung unaufhaltsam weitergeht. Röntgen – statt Schütteln – gibt Aufschluss über ihren kostbaren Inhalt: Oft sind es prächtige silbertauschierte Gürtelgarnituren aus dem Frühmittel­alter. Was aber fehlt, sind rationelle Verfahren, die eine Bearbeitung und den Erhalt der unzähligen Funde garantieren. An der Archäologischen Staatssammlung in München werden deshalb verschiedene Konservierungsmethoden verglichen und daraus Verfahren entwickelt, durch die eine sichere Bewahrung der Funde von der Ausgrabung bis zur Präsentation oder Magazinierung gewährleistet ist. Vor einer ähnlichen Sisyphusarbeit stehen die Res­tauratoren in den Bibliotheken. Die aus Holzschliff­papier hergestellten Zeitungen – und damit die enthaltenen Informationen – lösen sich auf. Durch Papierzerfall und „Säurefraß“ lassen sich viele Zeitungen nicht mehr benutzen. An der Berliner Staatsbibliothek werden nun die bislang fehlenden Verfahren entwickelt, große Mengen dieser Seiten zu stabilisieren, um sie dann digitalisieren zu können.

Auch die auf Tonbändern überlieferten Informationen sind durch Alterungsprozesse akut bedroht. Am Deutschen Museum in München lagert der Nachlass des Pioniers der elektroakustischen Musik, Oskar Sala, der auf seinem „Trautonium“, einem von ihm 1930 mit­entwickelten Vorläufer heutiger Synthesizer, das Vogelgeschrei von Hitchcocks „The Birds“ eingespielt hatte. Die Bänder sind meist die einzige Überlieferung seiner Kompositionen und Klangbilder, die auch die Gruppe „Kraftwerk“ inspiriert hatten. Aufwendig werden die Bänder wieder gefestigt und spielbar gemacht, damit die Aufnahmen digital gesichert und zukünftig benutzt werden können. Schwere Eisenharnische schützten einst vor Stichen und Kugeln, und man sollte glauben, dass sie auch dem Zahn der Zeit besonderen Widerstand leisten können. Trotzdem sind umfangreiche Restaurierungsarbeiten an unterschiedlichsten Materialien und Schadensbildern nötig, bis eine bedeutende und fast vergessene fürstliche Waffensammlung wieder am historischen Ort, der Heidecksburg Rudolstadt, gezeigt werden kann. Neben den Harnischen fanden beispielsweise auch Taucheranzüge ihren Weg in das KUR-Projekt. Für Exponate mit Gummianteil ist eine „Gummi-KUR“ nötig, wie das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum sein Projekt umschreibt. Das Anti-Aging für Elasto­mere erforscht Methoden, die nötig sind, um kultur- und technikhistorische Objekte mit Gummianteilen dauerhaft zu erhalten.

Tierpräparate aus der Nass-Sammlung des Berliner Naturkundemuseums
Tierpräparate aus der Nass-Sammlung des Berliner Naturkundemuseums

Wie Edelsteine blinken grüne Schlangen und rote Lurche in der Sammlung des Berliner Naturkunde­museums aus den Glasflaschen der sogenannten Nass-Sammlung. Die Präparate sind wichtige Referenzen bei der Beschreibung von Arten, oft sind sie von abenteuer­lichen Expeditionen nach Deutschland gebracht worden. Der Alkohol verdunstet, die Präparate werden angegriffen, historische Etiketten mit wichtigen Informationen zerfallen. Das KUR-Projekt erprobt, die Aufbewahrung derartiger Sammlungen zu optimieren und für die Zukunft der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mittelalterliche Glasmalereien im Erfurter Dom, eine umfangreiche Fotosammlung und historische Wachsmodelle aus Dresden, Zinnsärge aus Merseburg, die Nitrocellulosefilmrollen von Friedrich W. Murnaus „TABU. A Story of the South Seas“, Notenhandschriften der Bachfamilie und historische Instrumente, umbrische Tafelbilder in Altenburg, chinesische Wandmalereien im Berliner Museum für Asiatische Kunst, Pläne Hans Scharouns auf Transparentpapier, Stoffmuster der Textilfabrik Pausa – unterschiedlichste Objekte, Materialien und Aufbewahrungsbedingungen stellen die Restauratoren und Sammlungen vor immer neue Herausforderungen. KUR hilft, an vielen Orten die zeitlose Wirkung von Exponaten unseres Kultur­erbes zu bewahren und ermöglicht so auch zukünftig die unmittelbare Kommunikation mit den Zeugen unserer Geschichte.

Anlässlich der Tagung „In aller Öffentlichkeit. Konservierung und Restaurierung wirkungsvoll vermitteln“ am 13. und 14. Oktober 2010 in Halle/Saale sollen Ergebnisse des Projekts vorgestellt werden und ein Austausch darüber stattfinden, wie dringend benötigte Mittel phantasievoll eingeworben werden können.