Angewandte Avantgarde

„Die Arbeiten der französischen Künstlerin wirkten über die Pariser Kulturszene hinaus bis in die deutsche Kunstwelt. In Herwarth Waldens berühmtem Berliner Ersten Deutschen Herbstsalon war Sonia Delaunay bereits 1913 vertreten, ihre erste Retrospektive fand in Bielefeld statt. Mit dem Erwerb ihrer Entwürfe stärken die Kunstmuseen Krefeld nun ihr Sammlungsprofil nationalen Ranges, wie es vom ersten Museumsdirektor Friedrich Deneken intendiert war: als Dialog von freier und angewandter Kunst, von innovativem Design und künstlerischer Avantgarde“, sagt Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.

In Sankt Petersburg und an deutschen Kunstakademien ausgebildet, arbeitete die in Odessa geborene Künstlerin ihr Leben lang als Gestalterin und Malerin. Seit 1904 nahm Sonia Delaunay-Terk (1885–1979) am künstlerischen Leben Paris’ teil, stellte gemeinsam mit Georges Braque, Pablo Picasso und André Derain aus und heiratete 1910 Robert Delaunay, Lebens- und Arbeitspartner zugleich. Das Maler-Paar entwickelte den Orphismus, eine Weiterführung des Kubismus. Wie auch die anderen großen Pionierinnen der Klassischen Moderne – Sophie Taeuber-Arp und Anni Albers – verwob Sonia Delaunay Kunst und Kunstgewerbe in ihrem Werk. Mit dem Verkauf der von ihr entworfenen innovativen Designs – für Kostüme, Bühnenbilder, Buchumschläge, Plakate und vieles mehr ernährte sie nicht nur jahrelang ihre Familie, sondern entwickelte ein großes Repertoire künstlerischer Formen: abstrakt und dekorativ, ornamental und geometrisch.

Abgerundet wird die deutschlandweit größte Sammlung an Arbeiten Delaunays durch ein Textil-Musterbuch des Unternehmens Bradford & Perrier, das circa 900 Stoffmuster überwiegend für Seidenstoffe enthält – darunter ebenfalls Entwürfe von Sonia Delaunay. Auch ein Fragment eines handbemalten und für die Wohnung von Robert Charles Perrier bestimmten Vorhangstoffes konnten die Kunstmuseen Krefeld erwerben. Die Kulturstiftung der Länder förderte den Ankauf anteilig mit 220.000 Euro.

Der Unternehmer Perrier hatte die Künstlerin eingeladen, seine Wohnräume zu gestalten. Zudem entwarf Sonia Delaunay Stoffe für seine Firma: In Lyon, dem traditionsreichen Zentrum französischer Seidenindustrie, stellte Perrier das edle Gewebe her. 1942 erwarb Perrier schließlich 1.200 Zeichnungen der Designerin – aus dieser Sammlung erstand die Münchner Galeristin Françoise Knabe in den Jahren von 1992 bis 2011 viele Blätter. 100 davon bot sie nun den Krefelder Museen an. Krefeld selbst, die „Samt- und Seiden-Stadt“, ist stark geprägt von der Textilindustrie und stand lange in direkter Konkurrenz mit Lyon. Auch in Nordrhein-Westfalen brachte die handwerkliche Produktion modernes Design in die Stadt: Johannes Itten, Bauhaus-Lehrer der ersten Stunde, leitete die Höhere Fachschule für Textile Flächenkunst in den 1930er-Jahren, der letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe entwarf schon 1927 die Backsteinvillen des Direktors der Vereinigten Seidenwebereien, Hermann Lange, und des Seidenfabrikanten Josef Esters.

Weitere Förderer dieser Erwerbung: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Stadt Krefeld, Jan Kleinewefers, Christoph Tölke