„Allerlei Glück“
Was bedeutet Glück? – Als sich der 45-jährige Theodor Fontane 1865 dieser Frage widmete, war der gelernte Apotheker, Journalist und Reisebuchautor der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ bereits lebenserfahren und ein geschätzter Schriftsteller, hatte jedoch noch keinen Roman verfasst. Kein geringeres Thema als das Streben nach Glück, einem zentralen Element im Dasein jedes Menschen, wählte Fontane als Erzählstoff für sein erstes Romanprojekt – der Titel: „Allerlei Glück“. In einem Brief vom 3. April 1897 an seinen Freund Gustav Karpeles, Redakteur von „Westermann’s illustrirten MonatsHeften“, umriss Fontane sein Buchkonzept in der Hoffnung auf eine Veröffentlichung: „Am meisten am Herzen liegt mir mein neuer Roman. Können Sie darüber mit den Chefs der Firma sprechen? Zeitroman. Mitte der siebziger Jahre; Berlin und seine Gesellschaft, besonders die Mittelklassen, aber nicht satirisch, sondern wohlwollend behandelt. Das Heitre vorherrschend, alles Genrebild. Tendenz: es führen viele Wege nach Rom, oder noch bestimmter: es gibt vielerlei Glück, und wo dem einen Disteln blühn, blühn dem andern Rosen. Das Glück besteht darin, daß man da steht, wo man seiner Natur nach hingehört. […] Das Ganze: der Roman meines Lebens oder richtiger die Ausbeute desselben.“
Fontane hatte mit der ambitionierten Erzählskizze weniger Glück. Er konnte keinen Verleger gewinnen und brach nach 14 Jahren die Arbeit an dem inzwischen rund 300 Seiten starken Manuskript ab. Aus dem Nachlass gelangte der literaturgeschichtliche Schatz 1935 in das neu gegründete Fontane-Archiv, wo eine Vielzahl der zum Teil eng beschriebenen Seiten während des Krieges verlorenging. Es ist ein wahrer Glücksfall, dass dem Potsdamer Archiv 91 Blätter erhalten bleiben konnten – doch die Zeit wurde zum Feind der geschriebenen Kostbarkeit.
Mit Unterstützung unseres Freundeskreismitgliedes und Fontane-Verehrers Gerhard Wrede – der anlässlich seines 70. Geburtstages zu Spenden für die Restaurierung aufgerufen hatte – und zahlreicher weiterer Spenden der Arsprototo-Leser (Aufruf in Heft 3/2010) konnte das fragile Arbeitsmanuskript nun vor dem Verfall bewahrt werden. Denn Säureschäden und Tintenfraß – hervorgerufen durch säurehaltiges Papier und den Eisengehalt der Eisengallustinte – bedrohen die teils rissigen und verbräunten Bögen im Folioformat. Durch ein vorsichtiges Entsäuerungsverfahren konnte die Papierrestauratorin Cordula Teuffert den schleichenden Zerfall aufhalten. Sie schloss anschließend Risse und Fehlstellen mit Japanpapier.
Das Fragment von „Allerlei Glück“ ist für Fontaneforscher hochinteressant: Voller Randbemerkungen, Streichungen und Überarbeitungen zeugt es von der Arbeitsweise des Schriftstellers. Einzelne Motive aus „Allerlei Glück“ verarbeitete Fontane in späteren Romanen, durch die sich die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit menschlichen Glücks wie ein roter Faden spinnt. Was Glück sei, beantwortet der Dichter im erstmals 1931 publizierten Entwurf: Das wahre Glück liegt nicht in Tausenden von kleinen zufälligen Glücksmomenten, sondern im inneren Glücksgefühl eines gelingenden Lebens.
Das Theodor-Fontane-Archiv und die Kulturstiftung der Länder danken den Spendern herzlich für die großzügige Unterstützung.