Alle Kunst ist Übergang
Dort, wo Besucher normalerweise Gemälde der niederländischen alten Meister betrachten, durch die Säle mit französischer Kunst des Impressionismus flanieren, wo Schulklassen vor Werken Max Beckmanns diskutieren, Seniorengruppen sich mit Paula Modersohn-Becker und Max Liebermann beschäftigen, Graphik-Liebhaber sich im Kupferstichkabinett ausgewählte Blätter vorlegen lassen und Freunde der Medienkunst andächtig im Cage-Raum verweilen, dort herrscht zurzeit ein etwas raueres Klima.
Seit Dezember 2008 sind Bauarbeiter, ausgerüstet mit Bohrern, Betonmischern und Baukränen, die Hauptakteure der Kunsthalle. Bis voraussichtlich Winter 2010/2011 ist die Kunsthalle Bremen für die Erweiterung und Modernisierung des Museums geschlossen. In den kommenden zwei Jahren entstehen zwei kubische Erweiterungsbauten des Berliner Architekturbüros Hufnagel Pütz Rafaelian, die das historische Gebäude aus dem Jahr 1899 flankieren. Die Anlieferungszone, Sicherheits- und Klimatechnik sowie Depots und Restaurierungswerkstätten werden mit dem Erweiterungsbau auf den neuesten Stand der Technik gebracht, so dass die Kunsthalle auch in Zukunft den Anforderungen der internationalen Leihgeber und der Versicherungen gerecht wird und hochkarätige Ausstellungen in Bremen zeigen kann. Die wachsende Nachfrage nach museumspädagogischen Angeboten erfordert zudem neue Räumlichkeiten für diesen Bereich.
Der Altbau mit dem über 200.000 Blatt fassenden Kupferstichkabinett im Jugendstil bleibt erhalten und wird mit den Erweiterungsbauten verbunden. Damit gewinnt die Kunsthalle ein Drittel an zusätzlicher Fläche und schafft wichtigen Raum für bislang unzureichend ausgestattete Bereiche des Museums. Hinsichtlich der Kosten wird die Tradition bürgerlichen Engagements – ein Grundpfeiler für die Existenz der Kunsthalle – fortgesetzt: Drei private Spender übernehmen den Anteil von einem Drittel für den Kunstverein in Bremen, dem 1823 gegründeten Träger der Kunsthalle. Das Land Bremen und der Bund tragen je ein weiteres Drittel der Gesamtkosten.
Genug zu tun bleibt für die Kunsthallen-Mitarbeiter auch während der Schließzeit. Für Kunsthallen-Besucher und die 7.500 Kunstvereinsmitglieder ist ein vielseitiges Veranstaltungsangebot ausgearbeitet worden. An unterschiedlichen Orten haben Interessierte auch während der Schließzeit Gelegenheit, Führungen, Kurse, Vorträge und weitere Veranstaltungen zu besuchen. Das Programm richtet sich an Kinder, Jugendliche, Familien und Erwachsene und wird in Kooperation mit Bremer Museen, aber auch mit Institutionen wie der Volkshochschule, dem Institut français oder der Arbeiterwohlfahrt durchgeführt. Zudem begeben sich die Kunsthalle und ihre Museumspädagogen mit dem Projekt „Kunsthalle Bremen…unterwegs!“ u. a. auf den Weg in Kindergärten und Schulen, wo mit Papier, Leinwänden, Farben und einer umfangreichen Auswahl an Bildern museumspädagogische Workshops auch außerhalb der Kunsthalle gelingen.
Die Kustoden und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Kunsthalle finden ohne den Ausstellungsbetrieb Zeit, sich Forschungsprojekten zu widmen. So wird zurzeit an einem kritischen Bestandskatalog der französischen Gemälde aus dem 19. und 20. Jahrhundert gearbeitet. Sie bilden bis heute – neben der deutschen Malerei – den bedeutendsten Bestand der Bremer Kunsthalle und prägen ganz wesentlich den Charakter des Museums. Der erste Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli erwarb zwischen 1899 und 1914 trotz großer Widerstände wichtige Bilder von Malern wie Édouard Manet, Claude Monet und Vincent van Gogh und entwickelte die Kunsthalle damit zu einer der führenden Sammlungen moderner Kunst.
Auch Camille Pissarros impressionistisches Landschaftsbild „Märzsonne“ aus dem Jahr 1875 zählt zu Paulis Ankäufen für Bremen und kam 1909 in die Kunsthalle. Neben Vincent van Goghs „Mohnfeld“, Claude Monets „Camille“ und Édouard Manets „Bildnis des Dichters Zacharie Astruc“ ist „Märzsonne“ zurzeit erstmals an ein anderes Museum, an die Hamburger Kunsthalle, ausgeliehen. Dort ist das Landschaftsbild ein „Nobler Gast“ und wird im Vergleich mit Paulis Erwerbungen für die Hamburger Kunsthalle gezeigt.
Unter dem Motto „Noble Gäste“ sind in ganz Deutschland für die gesamte Umbauzeit über 200 Meisterwerke aus der Sammlung der Kunsthalle in 22 deutschen Museen augestellt, darunter die Alte Pinakothek in München, das Liebermann-Haus in Berlin und das Museum Ludwig in Köln. Für Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath stand dabei die Sicherheit der Kunsthallen-Schätze im Mittelpunkt. „Statt die Sammlung auf eine Tournee durch die Republik zu schicken, haben wir uns für eine konservatorisch schonende Alternative entschieden, die für die Kunsthalle Bremen den positiven Nebeneffekt hat, während der Schließzeit des Museums an vielen Orten gleichzeitig präsent zu sein.“
Da die Kunstwerke während der Umbauzeit für ihre Auslagerung sowieso bewegt werden mussten, bestand nun auch erstmals die Möglichkeit, besonders empfindliche, unter normalen Umständen nicht transportfähige Exponate an andere Häuser zu entleihen. So durfte trotz seines fragilen Zustands auch Pissarros Gemälde „Märzsonne“ reisen. Das Bild ist von hervorragender künstlerischer Qualität, aufgrund des konservatorisch problematischen Zustands und dem damit einhergehenden Ausleihverbot ist das Bild jedoch wenig publiziert und in der Fachwelt deshalb kaum bekannt. Für die notwendige Restaurierung fehlen dem Kunstverein bislang die finanziellen Mittel. Dank großzügiger Unterstützung von Sponsoren konnten in der Vergangenheit zwar glücklicherweise immer wieder einzelne Objekte der Sammlung restauriert werden, für Pissarros „Märzsonne“ sucht die Kunsthalle Bremen jedoch noch dringend Spender.
Der Zustand des Werkes ist höchst prekär: Mehrere Schichten vergilbter Firnis ändern den Farbeindruck nachhaltig. Die Malschicht ist darüber hinaus akut gefährdet, da sie sich an einigen Stellen vom Malgrund löst. Mehrfach musste sie bereits gefestigt werden, so dass viele Bereiche Kittungen und Retuschierungen aufweisen. Für eine Festigung müssen zunächst mehrere Firnisschichten abgenommen werden, bevor das Bild umfassend gereinigt werden kann und anschließend die sich von der Leinwand lösenden Farbschollen fixiert werden können. „Aufgrund der unregelmäßigen Oberfläche und der pastos aufgetragenen Farbe sind die Firnisabnahme und die Reinigung höchst kompliziert und nehmen sehr viel Zeit in Anspruch“, so Dorothee Hansen, Kustodin und stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Bremen. „Sobald aber der Schleier von der Oberfläche genommen ist, werden wir ein strahlendes Stück impressionistischer Malerei zurückgewinnen.“ Die Kosten für diese wichtige konservatorische und restauratorische Maßnahme belaufen sich wegen des großen Zeitaufwandes auf mehrere Tausend Euro. Eine Restaurierung würde das Bild in seinem Bestand sichern und die optische Erscheinung grundlegend verbessern, so dass es dem ursprünglichen Zustand wieder nahekommt und zukünftig auch internationalen Wissenschaftlern und Museen zur Verfügung steht.