Präsent aus Preußen
Hochmögende Gäste nicht vom traditionellen Geschirr aus der Hofsilberkammer, sondern von goldverziertem, mit historisierenden Rokoko-Dekorationen gesäumten „Englischglatt“ speisen zu lassen: eine bemerkenswerte Abweichung von den Gepflogenheiten am preußischen Hof, die König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) selbst initiierte. Der Monarch hatte eigens 50 Porzellangedecke sowie insgesamt fünf prächtige Vasen bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur bestellt, um den Ehebund seiner Nichte Charlotte mit dem Erbprinzen Georg II. von Sachsen-Meiningen angemessen zu würdigen. Selbst im Kurfürstentum Sachsen und im Königreich Preußen, die über die bedeutendsten europäischen Porzellanmanufakturen verfügten, galten derlei Sonderanfertigungen für Hochzeiten als luxuriöse Ausnahmen, griff man doch üblicherweise auf das im Hofzeremoniell vorgesehene Silbergeschirr zurück.
Erbprinz Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914), der dem preußischen Königshaus über seine Mutter verwandtschaftlich verbunden war, hatte sich jung in der preußischen Armee verdient gemacht. 1849 hielt er nach Teilnahme als Major im Dänemark-Feldzug mit 23 Jahren um die Hand der Prinzessin Charlotte von Preußen (1831–1855) an, älteste Tochter Prinz Albrechts von Preußen (1809–1872) und Nichte des Königs Friedrich Wilhelm IV. Dieser beehrte das junge Paar bei seiner Trauung am 18. Mai 1850 in Berlin mit seiner Anwesenheit und reichte wenige Monate später ein Hochzeitsgeschenk nach, dem er insbesondere durch die Dekoration des Tafelaufsatzes eine ungewöhnlich persönliche Note verliehen hatte: Zwei der drei Hauptvasen, die das prachtvolle Service ergänzen, ließ er mit Ansichten von Charlottes Wohnorten in Berlin und Potsdam verzieren – die Schauseiten zeigen Veduten nach Carl Daniel Freydanck (1811–1887) vom Berliner Stadtschloss und dem Palais ihres Vaters Prinz Albrecht in der Wilhelmstraße sowie von Schloss Sanssouci und Schloss Babelsberg. Mit dem dritten und größten Tafelaufsatz im Stil einer sogenannten Münchner Vase brachte der großzügige König zudem seine Anerkennung gegenüber dem Bräutigam zum Ausdruck: Neben dem Staatswappen der Herzöge von Sachsen-Meiningen prangt auf der zentralen, 91,5 cm hohen Vase ein Historienbild, das die Schlüsselszene der Schlacht bei Hemmingstedt im Jahre 1500 darstellt, in der Dithmarscher Bauern das Invasionsheer einer dänisch-deutschen Adelsallianz stoppten. Ihre farbige Umsetzung auf dem Porzellan geht auf eigenhändige Zeichnungen des Meininger Erbprinzen zurück, die sich heute ebenfalls im Besitz der Meininger Museen befinden. Georgs großes künstlerisches Talent ließ der „Theaterherzog“ auch in zahlreiche Bühnen- und Kostümentwürfe für die berühmten Inszenierungen des Meininger Theaters einfließen.
Raritäten wie die anspruchsvoll gefertigten Hochzeitsservice aus Preußen und Sachsen sind kaum in Gänze erhalten geblieben. Ebenso wie das ursprünglich mehr als 3.000 Teile umfassende Meißener Schwanenservice für Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) zerstreuten die Zeitläufte auch das KPM-Ensemble für Prinzessin Charlotte von Preußen und ihren Gatten. 24 Geschirrteile – 16 Speiseteller, sechs Suppenteller und zwei Schüsseln – mit aufwendiger floraler und ornamentaler Bemalung im Stil des sogenannten zweiten Rokoko sowie drei der fünf zum Dessertaufsatz gehörigen Prunkvasen mit unmittelbarem Bezug zur Meininger Hofhaltung gelangen nun mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Thüringer Staatskanzlei in die Meininger Museen.