„Mit herzlichstem Gruß Dein Max“ 

Die schnellen Skizzen auf den Künstlerpostkarten der „Brücke“-Maler bezeugen wie kaum ein anderes Medium die Verschmelzung von Kunst und Leben im Zeitalter der Moderne: Während die Vorderseiten Szenen aus dem Urlaub oder dem Alltag darstellen, liefern die meist frankierten und mit Poststempeln versehenen Rückseiten wertvolle Einblicke in die Biographien der Künstler. Kein Wunder also, dass die kreativen Grüße der Dresdner Maler-Rebellen Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff oder eben Max Pechstein auf Auktionen der vergangenen Jahre bis zu fünfstellige Ergebnisse erzielten. Angesichts solcher Einzelverkäufe gerät leicht in Vergessenheit, dass die kleinen Kunstwerke oftmals Bestandteil einer jahrzehntelangen Korrespondenz sind, die in ihrem Zusammenhang ein umfassendes Bild vom Leben und Schaffen ergibt, von Freundschaften und Künstlernetzwerken. Das Angebot von ausgewählten, einzelnen Stücken zu hohen Preisen erschwert es Museen, Stiftungen oder Künstlernachlässen, zusammenhängende Konvolute für sich zu sichern und in ihren Bestand einzugliedern. Häuser wie das Berliner Brücke-Museum, das Kirchner Museum in Davos oder die Nolde Stiftung Seebüll haben mitunter nur geringe Chancen, bei Bietergefechten um Künstlerpost mitzuhalten.

Max Pechstein, Akte mit Calla, Brief an Alexander Gerbig vom 18.3.1914; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum
Max Pechstein, Akte mit Calla, Brief an Alexander Gerbig vom 18.3.1914; Kunstsammlungen Zwickau, Max-Pechstein-Museum

Die Kunstsammlungen Zwickau bemühen sich schon länger darum, in ihrer Autographen-Sammlung möglichst viel von der Hand des gebürtigen Zwickauers Max Pechstein (1881–1955) zusammenzutragen. Vor etlichen Jahren konnten bereits einige von Pechsteins Briefen und Karten an seinen ältesten und besten Freund, den Maler Alexander Gerbig, für die Sammlung erworben werden. Nun ist mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder der Ankauf weiterer 119 Briefe und Karten aus dem Zeitraum zwischen 1901 und 1942 gelungen, darunter 29 illustrierte Postkarten und Briefe. Durch diese umfangreiche Neuerwerbung wurde die mit Gerbigs Tod im Jahre 1948 auseinandergerissene Pechstein-Korrespondenz zu großen Teilen wiedervereint. Somit ergänzen die Autographen den ohnehin schon beachtlichen Pechstein-Bestand der Kunstsammlungen Zwickau, die sich allmählich zu einem Zentrum seiner Nachlasspflege entwickeln.

Zusätzlich zum Ankauf der Briefe an Gerbig wurde dem Museum im letzten Jahr von den Nachfahren des Künstlers unter anderem die umfangreiche private Korrespondenz mit Pechsteins erstem Sohn Frank geschenkt. Durch Erwerbungen wie diese signalisieren die Kunstsammlungen Zwickau, dass zu ihren Aufgaben neben der Präsentation auch der Auf- bzw. Ausbau eines Archivs zum Leben und Werk Max Pechsteins gehört, ein zukunftsweisendes Projekt, bei dem die Nachlasspflege Hand in Hand gehen kann mit wissenschaftlicher Aufarbeitung und öffentlicher Aufbereitung.

Die Beziehungen zwischen Pechstein und dem Museum reichen bis in die 1920er Jahre zurück. Bereits dem Pionier der Moderne, dem inzwischen durch den „Schwabinger Kunstfund“ fragwürdig gewordenen Museumsmann und Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, der das Haus von 1925 bis 1930 leitete, war daran gelegen, mit Arbeiten des in Zwickau geborenen Pechstein zum Profil der modernen Abteilung im wilhelminischen Prunkbau beizutragen. Nach Gurlitts Weggang im April 1930, der von rechtsnational gesinnten Gruppen wie dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ erzwungen worden war, verblieben die Werke vorerst in der Sammlung. Später fielen viele von ihnen der Aktion „Entartete Kunst“ zum Opfer. Gurlitt, der als einer von vier Kunsthändlern durch das Propagandaministerium mit dem Verkauf der beschlagnahmten Museumswerke betraut wurde, erwarb im Zuge seiner neuen Tätigkeit mindestens zwei der einst von ihm selbst für Zwickau erstandenen Arbeiten anderer Künstler (etwa von Ernst Ludwig Kirchner und Christian Rohlfs). Ob er noch weitere, 1937 aus der Zwickauer Sammlung beschlagnahmte Objekte ankaufte, wird die Forschung im Rahmen der Aufarbeitung der Sammlung Gurlitt zeigen.

Einige weitere Pechstein-Werke, darunter auch ein Gemälde, wurden bei den Beschlagnahmungen übersehen und bildeten nach 1945 den Grundstock für einen Pechstein-Bestand, der in den letzten Jahren von der Sammlungsleiterin Petra Lewey durch zahlreiche Ankäufe und Dauerleihgaben beachtlich erweitert wurde. Mit einer umfangreichen Neu-Präsentation dieser Ölgemälde wurde im April letzten Jahres in einem Teil der Räume feierlich ein eigenes „Max-Pechstein-Museum“ eröffnet.

Hier soll es aber um Erwerbungen gehen, die weniger öffentlichkeitswirksam sind, doch nicht weniger verdienstvoll: Die Briefe und Karten Pechsteins an Alexander Gerbig sind – neben ihrem künstlerischen Wert, den die illustrierte Post besitzt – aus biographischer und kulturhistorischer Sicht höchst aufschlussreich. Pechstein gelingt es in lebhaften Schilderungen, dem in Suhl lebenden Künstler die große Welt nahezubringen, und dies auf eine teilweise sehr humorvolle Art und Weise. Ein zeitlicher Schwerpunkt der erworbenen Briefe liegt auf der Periode seiner frühen künstlerischen Karriere und „Brücke“-Mitgliedschaft in den Jahren 1906 bis 1912 und liefert weitgehend unbekannte Einblicke in Pechsteins erste künstlerische Erfahrungen in Dresden, Rom, Paris und Berlin. Während seiner „Grand Tour“ durch Italien, zu der sich der 27-jährige Sachse im Sommer 1907 aufmachte, äußerte er sich überwältigt von seiner Begegnung mit den Kunstwerken von Giotto, Mantegna und Botticelli. Und beklagte im gleichen Atemzug die kunsthistorische Reizüberflutung, die bei Pechstein zwar nicht – wie bei seinem französischen Vorgänger Stendhal – zur Ohnmacht führte, doch immerhin zu einer gewissen Überforderung: „man weiß […] gar nicht wohin mit den vielen Eindrücken“. Seinen Brief illustrierte er aber nicht etwa mit einer Skizze der ikonischen Werke, sondern – und das ist für den Tenor der Briefe bezeichnend – mit einer „Pißunkel“, eine Art öffentlicher Toilette an einer „x-beliebigen Hausecke“, über die er bemerkt: „Alle Welt geht vorüber und kann Dich bewundern.“

Der über die kulturellen Andersartigkeiten staunende Tourist Pechstein, das erste Mal im Ausland, fuhr direkt im Anschluss weiter nach Paris. Auch hier sind die ausführlichen Briefe zusammen mit einigen Ansichtskarten die einzigen Quellen über diese Monate. Die geläufigen Darstellungen vom jungen Pechstein, der vor Ort die fauvistischen Maler kennenlernte und deren Techniken und Stil an seine „Brücke“-Kollegen in Dresden kommunizierte, dürfen aufgrund seiner Berichte an Gerbig kritisch hinterfragt werden. Vielmehr erfahren wir, dass ihm die aktuelle Kunst viel zu modern war. Den Salon des Indépendants verlässt er mit „ganz wahnsinnigen Kopfschmerzen“. Für die Exponate fand er keine Worte: „Donnerwetter nochmal, man kann sich keinen Begriff davon machen, wenn man’s nicht gesehen, Wollte ich Dir eine Schilderung geben, müßte ich auf rotem Papier mit irgendeiner schrecklichen Substanz schreiben.“ Aufgrund seiner mangelnden Sprachkenntnisse gelang es Pechstein nicht, so belegen die Briefe, in den französischen Künstlerkreisen Kontakte zu knüpfen. Stattdessen freundete er sich mit einigen jungen Russen an, von denen er einen porträtierte. Das Porträt ist verschollen, doch Miniatur-Skizzen in seinen Briefen belegen die einstige Existenz dieses und anderer Werke der Pariser Studienzeit. Aber auch Botschaften wie „Mindestens einmal pro Woche muß sich der Mensch waschen n’est pas mon cher Ami“ zeugen von Pechsteins unbeschwertem Lebensgefühl in Paris im Februar 1908.

Überhaupt verstehen wir mit Hilfe der ausführ­lichen Briefe, wie der ehrgeizige Maler aus der sächsischen Provinz sich von einer vom Jugendstil inspirierten Kunst abwandte, hin zu einer neuen Ausdruckssprache. Spätestens mit Paul Fechters Buch „Der Expressionismus“, das kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juni 1914 erschien, war er als „Führer“ dieser neuen Kunstrichtung bekannt und avancierte schließlich zum Berliner Künstlerstar der Weimarer Republik. Als es im Frühjahr 1912 zum Bruch mit den Kollegen der „Brücke“ kam – ein Ereignis, das bislang weniger aus Pechsteins als aus der Perspektive seiner echauffierten Kollegen dargestellt wurde –, schüttete er Gerbig sein Herz aus. Laut Pechstein war es kein „Ausschluss“ aus der Gruppe, sondern ein freiwilliges Ausscheiden nach Monaten der zunehmenden Verärgerung darüber, sich dem Verdikt der Gruppe beugen zu müssen. Transkriptionen dieser reichhaltigen Korrespondenz mit Gerbig liegen mittlerweile in einem reich bebilderten Katalog vor, der in den Kunstsammlungen Zwickau erhältlich ist.

Für die Forschungen sind solche Konvolute eine wahre Schatzkiste. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn in den nächsten Jahren noch weitere Autographen in öffentliche Sammlungen übergingen.