Große Töne

Skulptur ist, worüber man stolpert, wenn man zurücktritt, um sich ein Gemälde anzusehen.“ Nicht ohne Hintersinn hat einmal der Bildhauer Bogomir Ecker den ironischen Seitenhieb des Malers Ad Reinhardt zitiert. Skulptur als Stolperstein, als körperlich erfahrbare Intervention im Raum, als plastisches Gebilde, das sich einem in den Weg und Wahrnehmung und Weltbild auf die Probe stellt – dieses Verständnis prägt das Werk des 1950 im slowenischen Maribor geborenen und an den Kunstakademien Karlsruhe und Düsseldorf ausgebildeten Künstlers, der von 1993 bis 2002 an der Hamburger Kunsthochschule lehrte und seitdem eine Professur für Interdisziplinäre Kunst in Braunschweig innehat.

Sprichwörtliche Stolpergefahr besteht allerdings nicht im Leipziger Museum der bildenden Künste. Denn Eckers 17-teilige Großskulptur „Trillerpfeifen und Ghettoblaster“ schwebt eindrucksvoll in einem lichtdurchfluteten, durch schiere Höhe beeindruckenden Saal. Sie scheint gleichsam den Luftraum über einer der großen Terrassen zu beherrschen. Des Weiteren lenkt kein Gemälde von der imposanten Arbeit ab, die Bogomir Ecker im Herbst 2004, wenige Wochen vor der Eröffnung des Museumsneubaus, in Szene setzte.

Dabei konnte er auch von der kuratorischen Erfahrung profitieren, die er zusammen mit Thomas Huber bei dem Projekt „Künstlermuseum. Neupräsentation der Sammlung des Museums Kunstpalast Düsseldorf“ gesammelt hatte. So gelang ihm das Kunststück, die bereits 1994 entstandene Installation passgenau in den neuen Leipziger Kunstraum einzufügen. Uwe M. Schneede, der langjährige Direktor der Hamburger Kunsthalle, der Ecker über viele Jahre begleitet und auch bei dem legendären Projekt der „Tropfsteinmaschine“ unterstützt hat, schreibt dazu: „Das Werk Bogomir Eckers muss dem Raum oder der Architektur antipodisch sein, es muss, was Motiv, Position, Proportion angeht, ‚sitzen‘, muss am Ort etwas Zwangsläufiges gewinnen. Andernfalls wäre es beliebig applizierte und überall einsetzbare ‚Kunst am Bau‘. […] Man hat – auch beim wiederholten Besuch – den Eindruck, die Architektur sei für diese Arbeit von Bogomir Ecker geschaffen worden – und nicht die Arbeit für die Architektur. Raum und Kunstwerk bilden eine einzigartige, ideale Einheit.“

Bogomir Ecker, Trillerpfeifen und Ghettoblaster, 1994; Museum der bildenden Künste Leipzig
Bogomir Ecker, Trillerpfeifen und Ghettoblaster, 1994; Museum der bildenden Künste Leipzig

Das für Leipzig maßgeschneiderte Kunstwerk speist sich aus Formfindungen, die der Künstler intensiv erprobt hatte. So präsentierte er etwa 1991 in einer Einzelausstellung in der Hamburger Produzentengalerie eine Bodeninstallation, bei der bereits Trillerpfeife und Ghettoblaster auftauchten. Im Museum der bildenden Künste hat er auf jene Objekte zurückgegriffen und sie mittels langer Stricke zum Fliegen gebracht.

Auf den ersten Blick mag die Arbeit im Wortsinne als plakativ erscheinen. Da ist zunächst die Farbe. Wie immer verwendet Ecker das genormte Rot RAL 3003. Die Einhaltung dieser Norm trägt zur Kontinuität in seinem Œuvre bei und ermöglicht leichte Wiedererkennbarkeit. Alles andere als hermetisch scheint auch die Formensprache zu sein. Die überdimensionalen Trillerpfeifen sind auf Anhieb identifizierbar und erinnern an Strategien der Pop-Art, wie sie zum Beispiel auch Claes Oldenburg verfolgt hat. Gegenstände des Alltags werden aufgeblasen – to blow something out of proportion heißt eine englische Redewendung – und als durchaus dekorative Objekte ihrer Funktionstüchtigkeit beraubt.

Doch so eingängig einem das Kunstwerk zunächst vorkommen mag, so komplex ist seine Symbolik. Zum einen geht das Motiv der Trillerpfeifen auf poli­tische Demonstrationen zurück. Da verkörpert es das Wechsel­spiel von Masse und Staatsmacht, von „herrschender und angeherrschter Klasse“, wie es der Schriftsteller Volker Braun in seinem „Hinze-Kunze-Roman“ so trefflich formuliert hat. Ertönen sie im Kollektiv, bedeutet es schneidenden Protest. Hört man jedoch einen einzelnen Pfiff, beginnt das Überwachen und Strafen: Eine staatliche Autorität – etwa in Gestalt eines Polizisten – warnt oder ahndet bereits einen Regelverstoß.

Der Ghettoblaster wiederum steht für jene jugendliche Subkultur, die sich mit wummernden Bässen und harten Beats Gehör verschafft und gleichsam musikalisch den öffentlichen Raum beherrscht. Ob Rap aus dem Lautsprecher oder gellendes Trillerpfeifenkonzert – beides ist Ausdruck eines lautstarken Aufbegehrens gegen die bestehende Ordnung.

So eröffnet das Ecker’sche Kunstwerk weite Assozationsräume. Es mag an Leipzig als Stadt der friedlichen Revolution erinnern, die erst allmählich im Verlauf der Montagsdemonstrationen eine präzisere Sprache für ihre politischen Forderungen fand. Neben der politischen Dimension rückt auch ein formalästhetischer Aspekt in den Blick. Denn der Künstler kreist in seiner Arbeit um die Visualisierung der Akustik.

Man sieht Instrumente und Apparate zur Klangerzeugung, ohne ihren eigentlichen Zweck wahrnehmen zu können: sie nämlich zu hören. Das ist ein prägender Zug in Eckers Werk. Viele seiner Skulpturen untersuchen das Verhältnis von Sehen und Hören. Ob Hörrohre oder Flüstertüten, Trillerpfeifen oder Tröten, es geht hierbei um grundsätzliche Fragen der Wahrnehmung, der Kommunikation und der zivilisatorisch eingeübten Automatismen. So können seine blechernen Objekte den Betrachter auch dazu verführen, ihr imaginäres Klangvolumen als Synästhesie-Effekt wahrzunehmen. Zugleich erinnern die zylinderartigen, kasten- und kegelförmigen Körper an Kameras, Lautsprecherboxen und Vogelkästen. Und deshalb ist diese Vor­spiegelung falscher Funktionstüchtigkeit nicht zuletzt Teil von Eckers ironischer Technologiekritik.

Die raumfüllende Installation beschwört Geräusch- und Klangwelten, die mit skulpturalen Mitteln imaginiert werden. Damit verweist sie auf eine andere Groß­skulptur im Leipziger Museum, die ebenfalls in einem eigenen Raum prominent präsentiert wird. Es ist der gigantische, marmorne Beethoven, den Max Klinger 1902 aus verschiedenfarbigem Stein geschaffen hat. Sieht man das zergrübelte, stumm auf einem Thron sitzende Genie, glaubt man die ersten Takte seiner Schicksalssymphonie in c-Moll zu hören.

Das Thema der Synästhesie mag einen kühnen Brückenschlag durch die Jahrhunderte von Max Klinger zu ­Bogomir Ecker erlauben. Nicht ganz so kühn ist die Verbindung seiner Trillerpfeifen zu einer anderen Installation, wenn sie sportiv aufgefasst werden und an das Arbeitsgerät eines Fußballschiedsrichters denken lassen. Es ist eine Intervention von Stephan Huber, die um die Welt des Fußballs kreist. Huber hat sie anlässlich der Schau „Ballkünstler“ zur Weltmeisterschaft 2006 für das Leipziger Museum geschaffen. Und wie bei Ecker ist es eine ortsbezogene Arbeit aus dem Geist der zeitgenössischen Konzeptkunst. Sie prangt hoch oben an der Decke eines Ausstellungsraumes in feinstem Blattgold. Es ist der Schriftzug „Fußball steht für die Schönheit der Arbeiterklasse“. Das sozialistisch anmutende Pathos in goldenen Lettern entpuppt sich als ironische Kritik an der allumfassenden Kommerzialisierung des Fußballs, in der sich längst auch Schiedsrichter wie der glatzköpfige Pierluigi Collina als Werbeträger freudvoll ausbeuten lassen.

Die Verbindung von der Trillerpfeifen-Skulptur zum Huber’schen Fußball-Schriftzug – anlässlich der diesjährigen Weltmeisterschaft samt Heimholung des Titels sei dieser kleine Exkurs gestattet. Und zur Abrundung des abendfüllenden Themas „Die Schiedsrichterpfeife in der zeitgenössischen Kunst“ muss noch eine Arbeit von Via Lewandowksy erwähnt werden, die ebenfalls zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland entstanden ist. Sie heißt „Die Pfeife (platt gemacht)“. Der Bronzeabguss einer Schiedsrichterpfeife verkörpert indessen einen Generalangriff auf die Autorität des Referees, hatte doch der Künstler dessen Arbeitsgerät mit einer 50-Tonnen-Straßenwalze niedergepresst und endgültig zum Schweigen gebracht.

Die Dialektik von Lautgeben und Verstummen – auch diese Lesart lässt die Ecker’sche Arbeit zu. Vor allem aber bereichert diese Installation die Sammlung des Leipziger Museums, zu deren wesentlichen Schwerpunkten die Malerei aus der DDR gehört und die nur unzureichend die künstlerische Entwicklung in der Bundesrepublik reflektiert, um eine relevante Position westdeutscher Prägung.

Ausgerechnet diese Arbeit ist mittlerweile zu einem Aushängeschild für das Museum geworden. Tourismusmagazine, Stadtführer, Modezeitschriften und internationale Periodika bilden diese Installation bevorzugt ab. Zum zehnjährigen Jubiläum des Museumsneubaus ist dieses Markenzeichen nicht mehr wegzudenken.

„Überholen ohne einzuholen“, hatte Walter Ulbricht einst so herrlich paradox formuliert, um den großen Sprung der DDR-Wirtschaft anzukündigen. Im Leipziger Museum heißt jetzt dagegen die nicht minder vertrackte Devise: „Dableiben, ohne fortgewesen zu sein.“ Und dass das so sein darf, daran hat die Kulturstiftung der Länder entscheidenden Anteil. Dank ihrer Unterstützung konnte das Kunstwerk von Bogomir Ecker dauerhaft für Leipzig gesichert werden. Das Damoklesschwert eines möglichen Abzugs schwebt nicht mehr über dem Haus. Wohl aber „Trillerpfeifen und Ghettoblaster“ über den Köpfen der Besucher. Es ist eine eigene Tonspur der Gegenwartskunst: sichtbar, unhörbar. Doch sie gehört nun zum imaginären Soundtrack des traditionsreichen Hauses.