Ode ans Theater

Theaterchronistin, Fotokünstlerin oder doch ein Störenfried? Ihre Rolle als Theaterfotografin zu finden, war für Oda Sternberg anfangs nicht leicht. Als sie als Hausfotografin der Münchner Kammerspiele 1980 die Inszenierung von „Was ihr wollt“ von Dieter Dorn fotografieren sollte, empfing sie der Regisseur mit den Worten „Oh, jetzt kommt die wieder und zerknipst mir meine Aufführung“, ein Ausspruch, den der spätere Intendant Dorn in Varianten auch in den nächsten Jahren beibehalten sollte, wenn Oda Sternberg die Szene betrat. Oda Sternberg ließ sich trotzdem auf die „Familie“ Münchner Kammerspiele ein und sagte sich „Der soll reden, was er will. Das ist mir wurscht, dann zerknips ich ihm jetzt seine Aufführung“. Das tat sie dann über fast 25 Jahre lang so meisterlich, dass kritische Stimmen bald verstummten. Denn Oda Sternbergs kongeniale Fotos gingen als die Identifikationsbilder immerhin nach draußen. In Bücher wie das 1983 erschienene „Theater für München“, in zwei größere Ausstellungen und natürlich in alle großen Zeitungen. Dort mehrten sie über Jahrzehnte stetig den Ruf der Kammerspiele als eines der wichtigsten deutschen Theater in den achtziger und neunziger Jahren.

Lambert Hamel als Bruscon in Thomas Bernhards Stück „Der Theatermacher“, eine Inszenierung von Hans Lietzau aus dem Jahr 1988
Lambert Hamel als Bruscon in Thomas Bernhards Stück „Der Theatermacher“, eine Inszenierung von Hans Lietzau aus dem Jahr 1988

Die weit über eine halbe Million Negative, die Oda Sternberg von den großen und kleinen Aufführungen des Theaters an der Maximilianstraße schoss, sind seit kurzem im Deutschen Theatermuseum München für die Nachwelt sicher aufbewahrt – der Ankauf gelang mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder. Alle Stücke der Dorn-Ära, beginnend mit seiner Tätigkeit als Oberspielleiter seit 1976, sind dokumentiert: Auftritt für die legendären Münchner Schauspieler der 1970er bis 90er Jahre, die natürlich nicht zuletzt auch durch Oda Sternbergs Bilder zu den großen Theater-Stars wurden. Sibylle Canonica, Sunnyi Melles, Doris Schade, Gisela Stein, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen oder Rudolf Wessely, Axel Milberg, Edgar Selge, Helmut Griem, Manfred Zapatka und Lambert Hamel – um nur einige zu nennen – sind in einzelnen Porträts und in den Inszenierungen von Regisseuren wie George Tabori, Hans Lietzau, Alexander Lang, Robert Wilson oder Thomas Langhoff wiederzuentdecken. In der „riesigen und wundervollen Sammlung des Deutschen Theatermuseums München“, so der Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung, C. Bernd Sucher, trifft diese penible Chronik einer einmaligen Theater-Ära auf ein vorhandenes Archiv von 25 weiteren Konvoluten mit Theaterfotografie – insgesamt über 3,5 Millionen Negative – das größte seiner Art weltweit.

Rolf Boysen als König Lear im gleichnamigen Stück von William Shakespeare, eine Inszenierung von Dieter Dorn aus dem Jahr 1992
Rolf Boysen als König Lear im gleichnamigen Stück von William Shakespeare, eine Inszenierung von Dieter Dorn aus dem Jahr 1992

Dass Oda Sternberg einmal im Theater landen würde, dieser Weg war ihr beileibe nicht vorgezeichnet. 1942 im – heute polnischen – Osterode geboren, wurde sie mit ihrer Familie im Oktober 1945 aus der Heimat vertrieben, die Familie landete nach Umwegen schließlich in Schleswig-Holstein. Die Landswirtstochter ging zur Ausbildung in ein Lüneburger Fotoatelier, dort und in Remscheid lernte sie Porträts von nicht immer einfachen Kunden anzufertigen. „Ich hatte so eine vage Vorstellung, dass es in Richtung Theater gehen sollte.“ Oda Sternbergs „diffuser Wunsch“ führte sie schließlich nach Berlin, wo sie sich einfach im Atelier der bekannten Theaterfotografin Ilse Buhs vorstellte – und von dieser angestellt wurde. Ab der Spielzeit 1965/66 waren alle Berliner Bühnen ihr Revier, von Anfang an konnte sie viel selbstständig fotografieren, vier Jahre lang ging sie in die harte Schule von Ilse Buhs. Das Theater hatte sie gepackt: „Ich hörte auf zu fotografieren, wenn es spannend wurde, und erschrak, denn es war mir klar, das kannst du dir in diesem Beruf eigentlich nicht leisten, über den Kameras zu lehnen und nur noch zuzuschauen.“ Als das Berliner Theater nach einigen Jahren für sie an Spannung verlor, wagte Oda Sternberg den Sprung in die Eigenständigkeit und ging nach München. Seit 1969/70 schlug sie sich dort als freie Pressefotografin durch, erst 1978 kam dann die erste Auftragsarbeit – ein Aufführungsplakat – für die Kammerspiele von Intendant Ernst Wendt. Viele Münchner Theateraufführungen hatte Oda Sternberg bereits seit 1970 fotografiert, 1979 wurde sie schließlich ständige Hausfotografin der Kammerspiele.

1983 wurde Dieter Dorn Intendant, nachdem er schon einige Jahre Oberspielleiter gewesen war, und erschuf in der folgenden Zeit das Münchner Kammerspielwunder. Mit seinem treuen Ensemble konnte Dorn im großen „Familienzusammenhalt“ ohne Theater-Klüngelei und mit sinnlich-intellektuellem Anspruch sein unverwechselbares Theater in München entwickeln; seine Klassiker-Inszenierungen waren große Schauspielerfeste ohne anbiedernden modernistischen Touch, regionale Theater- und Kabarettkünstler wie Herbert Achternbusch, Franz Xaver Kroetz oder Gerhard Polt fanden im Haus ebenso einen festen Platz wie zeitgenössische Inszenierungen in einem Thomas-Bernhard-Zyklus, immer wieder lange vorbereitete Shakespeare-Inszenierungen von theatraler Wucht (11 Monate Probe allein beim Lear), bei denen die Mischung aus großer Schauspiellust und feinsinniger Adaption gelang. Früh ließ Dorn Botho Strauß-Stücke spielen; die auch kontrovers beäugten Botho Strauß-Bearbeitungen wie beispielweise „Ithaka“ entwarfen mit ihren großen Stoffen auf der überschaubaren Kammerspiel-Bühne ein Welttheater mit aktuellem Bezug.

Die Hausfotografin Oda Sternberg dokumentierte – und kreierte – die Schlüsselbilder dieser Entwicklung und akzeptierte dabei durchaus nicht fraglos die Zentralperspektive der Bühne, sondern entdeckte immer auch ihren eigenen Blick auf die Szene: Mal frontal die beste Perspektive suchend, mal seitlich, war sie mit der Kamera unterwegs – immer in ihrer bescheidenen, lautlos schnellen Art hin und her wechselnd. Rolf Boysen als King Lear, der greise, tragische Vater, ist auf ihren Fotos durchaus nicht nur der schwer gebeutelte König, sondern scheint fast ekstatisch-entrückt zu tanzen. Sternberg schafft intime Porträts der Schauspieler, es sind luzide, eigenständige Interpretationen der Figuren. Trotzdem fing sie neben den Porträts immer auch meisterhaft die atmosphärische Wirkung der Inszenierungen ein. Anfangs in Schwarzweiß auf Leica, später dann in satt leuchtenden, farbintensiven Aufnahmen mit Canon- und Nikon-Ausrüstung – immer blieb Oda Sternberg der analogen Fotografie treu, deren Negative oder Dias sie dann lieber digitalisierte, statt auf die neue Technik zu wechseln. So konnte sie die manchmal auch geschmähte „theatrale Luxuspracht“ Dornscher Prägung in starke, klare, analytische Bilder bannen – und auch die intimeren Momente, die auf der großen Szenerie kaum sichtbaren schauspielerischen Kabinettstücke innerhalb der opulenten und manchmal überbordenden Theaterabende, einfangen.