Maler des Lichts – König der Illustration

Nach lange sich hinziehenden Verhandlungen konnte Rheinland-Pfalz im Jahr 2014 endlich den letzten Teil des künstlerischen Nachlasses von Max Slevogt ankaufen, der noch im Besitz seiner Erben war. Diesen wichtigen Komplex an Kunstwerken konnte man mit finanzieller Unterstützung u. a. der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur für die Öffentlichkeit und Forschung sichern. Bereits 1971 hatte das Land einen großen Teil des Slevogt-Nachlasses von Nina Lehmann, der Tochter und Erbin von Max Slevogt, erworben. Der größte Teil dieser Kunstwerke, über 120 Gemälde, kam ab 1980 in der dafür gegründeten Max Slevogt-Galerie auf Schloss Villa Ludwigshöhe in Edenkoben in der Südpfalz zur dauernden Ausstellung. Soweit der Erwerb damals Mobiliar und Bücher betraf, verblieben diese in den von Slevogt auf seinem Landsitz in Neukastel bei Leinsweiler bewohnten Räumen, die in Führungen der Öffentlichkeit zugänglich waren und es auch heute sind.

Max Slevogt, Selbstbildnis mit Hut, 1887, 46,5 × 40,2 cm; Landesmuseum Mainz 
Max Slevogt, Selbstbildnis mit Hut, 1887, 46,5 × 40,2 cm; Landesmuseum Mainz

Die Pfälzer zählen Slevogt zu den Ihren, auch wenn er in Bayern geboren wurde, denn Pfalz und Bayern gehörten damals politisch zusammen. Außerdem hatte er dort in seiner Kindheit viele Ferien bei Verwandten verlebt, und er verheiratete sich auch dort. In Berlin zu Ruhm und Ehre gelangt, verbrachte er die Sommerzeit fast immer in Godramstein bei Landau und später auf seinem Landgut Neukastel bei Leinsweiler, wo er 1932 auch gestorben ist. Seine Landschaftsbilder hat er nahezu alle während seiner Aufenthalte in der Pfalz gemalt. Er hat, wie die französischen Impressionisten einst die Seine-Landschaft, die Pfalz zur „Weltlandschaft“ erhoben. Seinen impressionistischen Malstil schärfte er in der Auseinandersetzung mit dem Licht im besonderen Klima dieser Region. Die Landschaft, geprägt von Weinbergen, Kiefern und Esskastanien auf trockenem Sandboden, betrachtete er am liebsten aus der Höhe mit dem Blick über die weite Rheinebene. Das gelang ihm von seinem Anwesen aus, dem heute als „Slevogthof“ bekannten Wohnsitz, den er von der Familie seiner Frau 1914 erworben und nach und nach umgebaut hatte, um ihn den Erfordernissen eines Künstlerdomizils anzupassen: Ab 1922 ließ er einen Anbau errichten, der zunächst seinen Konzertflügel in einem Musiksaal aufnahm, dann, etwas später, seine Bibliothek. Die Wände und Decken der beiden Räume versah er 1924 und 1929 mit Malereien, in welchen er den von ihm am meisten verehrten Komponisten und Dichtern und ihren Werken ein Denkmal schuf. Slevogt, der selbst ausgezeichnet Klavier spielte, bemalte seinen Musiksalon mit Szenen aus Mozarts „Zauberflöte“ und „Don Giovanni“ sowie Wagners „Ring des Nibelungen“, an der Decke seiner Bibliothek huldigte er Homers „Ilias“, Shakespeares „Macbeth“ sowie Coopers „Lederstrumpf“ und den Erzählungen aus „1001 Nacht“.

Dass der am 8. Oktober 1868 morgens um halb acht in einer Mietwohnung in der dritten Etage des Landshuter Postamtes geborene Max einst ein begnadeter Zeichner und Maler lichtvoller Landschaften werden würde, ahnte damals sicher keiner: nicht der Vater, Friedrich Ritter von Slevogt, ein schneidiger Militär fränkischer Abstammung, in der bayrischen Armee berühmt für seine Schwimmrekorde im Bodensee. Nicht die Mutter, Caroline von Slevogt, geborene Lucas, eine musikliebende, sensible Unternehmerstochter aus der Nähe von Saarbrücken. Doch bereits in seinem vierten Lebensjahr war klar, dass Max Slevogts Hände und Finger außergewöhnlich talentiert waren für Bildnerisches. Die Mutter ließ seine Begabung durch privaten Zeichenunterricht fördern. Slevogt wurde von Ludwig Prechtlein, einem Studienfreund Moritz von Schwinds, unterrichtet. Er musste Themen aus Sagen, Mythologie und Dichtung zeichnen, aber auch Kopien nach Raffael oder eben Moritz von Schwind. Prechtlein achtete sehr auf Genauigkeit. Hier fand Slevogt die strenge Schule, die seine Zeichnungen später so sicher und locker machten. Einige dieser frühen Übungen haben sich im nun erworbenen Nachlass erhalten.

Slevogts Vater war bereits 1870 an den Folgen einer Verwundung aus dem Deutsch-Französischen Krieg gestorben, seine Mutter blieb als Witwe alleinerziehend. Mit ihren beiden Söhnen Marquard und Max zog sie nach Würzburg. Hier wurde Max das Schülerleben so vergällt, dass er froh war, mit 16 Jahren nach München an die Kunstakademie zu entkommen. Slevogt studierte ab 1884 an der Münchener Akademie, die damals noch vor der „Düsseldorfer Schule“ rangierte. Er war in den Klassen von Johann Herterich und Wilhelm von Diez, Gabriel von Hackl und Karl Raupp. Er wandte sich jedoch bald ab von der dort gepflegten akademischen Tradition und suchte eigene, „moderne“ Wege, die zunächst an den Münchener Größen Gabriel von Max, sogar Franz von Stuck, dann aber eher an Wilhelm Leibl und den Malern von Barbizon orientiert waren.

Heute faszinieren die Arbeiten aus jener Entwicklungsphase, die Slevogt später stets verbarg, weil sie von der aufkommenden Dominanz der impressionistischen Malerei, zu der Slevogt sich später bekennen sollte, noch nichts ahnen lassen. So schrieb Slevogt z.B. seinem Freund Johannes Guthmann, als dieser wegen seiner Monographie über Slevogt sich für dessen frühe Zeichnungen interessierte: „Dass Sie die Jugendzeichnungen nicht entdecken konnten, begreife ich. Ich bitte Sie, sich nicht darauf zu verbeißen.[…] Da die große Menge davon […] mehr den Durchgangsweg aller erdenkbaren Beeinflussung darstellt – kann es sich nur um einige wenige Eigenproben handeln, bevor ich durch die Akademie und Münchens Kunstleben verdorben wurde und in diese Redseligkeit mit entlehnten Redensarten verfiel.“

Vermutlich ist unter deutschen Künstlernachlässen das „rote Klebealbum“ mit Slevogts Jugendzeichnungen ein Solitär und ein einzigartiges Dokument. Es ist für die Forschung zum späten 19. Jahrhundert und zum Historismus eine wahre Fundgrube.

Nach Slevogts Studium der Malerei in München zog er 1901 nach Berlin. Die im Kunsthandel und in der Berliner Sezession tätigen Cousins Bruno und Paul Cassirer hatten dem vielversprechenden Münchener Talent Slevogt einen lukrativen Vertretungsvertrag angeboten, der Slevogt absicherte und den er bis zu seinem Tode einhielt. In der Folge sollte er fast all seine Gemälde über die Galerie Paul Cassirer verkaufen lassen, seine Buch-Illustrationen an den Verlag Bruno Cassirer binden. Sie waren die Garanten für seine Karriere, bald sollte er in Berlin in einem Atemzug mit Max Liebermann und Lovis Corinth genannt werden. Die Berliner Kunstkritiker kürten diese drei Künstler sogar zum „Triumvirat des deutschen Impressionismus“.

Der Nachlass, der seit Slevogts Tod 1932 von seinen beiden Kindern in zwei Räumen des Slevogthofes gesammelt und untergebracht worden war, umfasst zwei Bereiche: erstens rund 2.000 Zeichnungen und Aquarelle, die er Zeit seines Lebens wohl absichtlich nicht verkaufte. Die Blätter reichen von frühen Kinderzeichnungen über das besagte rote Klebealbum mit über 300 Arbeiten aus seiner Zeit als Heranwachsender und junger Schüler der Münchener Akademie bis zu Porträt- und Aktstudien aus seiner akademischen Lehrzeit; sie reichen von Selbstbildnissen des jungen Künstlers, der sich von der Akademie gelöst hatte und die eigene Genialität befragte, zu Bildnissen seiner Familienangehörigen und Freunde, von phantastischen Entwürfen blutiger Ereignisse zu Vorzeichnungen und Detailstudien ausgeführter Gemälde und endlich zu Skizzen des fertigen „Meisters“, der in Berlin immer mehr zum angesehenen und gesuchten Maler wurde. In Skizzenbüchern und Kladden notierte Slevogt unbekümmert hintereinander Gesichter, Bewegungsabläufe von Tieren oder spontane Ideen zu Bildkompositionen, er benutzte zum Festhalten seiner Einfälle eigentlich jedes gerade greifbare Papier, Telegramme, Briefumschläge, Konzertprogramme oder Theaterkarten.

Es befinden sich im erworbenen Nachlass sowohl bereits bekannte und mehrfach publizierte Zeichnungen, wie die 1914 bei seiner Ägyptenreise entstandenen Bleistift- und Kreidezeichnungen, aber auch unbekannte Szenen von seinem Frontaufenthalt im Ersten Weltkrieg oder Vorzeichnungen zu seiner 1917 geschaffenen, düsteren politischen graphischen Serie „Gesichte“. Die Fülle seiner nachgelassenen Zeichnungen reicht von knappen ersten, schnell hingeworfenen Ideen bis hin zu den ausgefeilten Entwürfen und ihren quadrierten Eins-zu-eins-Umsetzungen für sein letztes großes Wandgemälde, das „Golgatha-Fresko“ der Friedenskirche in Ludwigshafen, so dass sich im Material allein die Ausbildung und Entwicklung dieses Künstlers und sein Weg vom 19. ins 20. Jahrhundert verfolgen und belegen lässt, so beispielhaft wie sonst wohl kaum noch bei einem anderen Künstler. Dieser bisher überwiegend unveröffentlichte Teil des Nachlasses wird der kunstwissenschaftlichen Forschung zukünftig einiges an Stoff bieten.

Dass die meisten dieser Arbeiten bisher im Dunkel geblieben sind, liegt möglicherweise an der Einschätzung Slevogts selbst, der aus der späteren Sicht des überzeugten Impressionisten heraus die Werke seiner Jugendjahre für unergiebig ansah und sie deshalb zurückhielt. Hier äußert sich eine Ausrichtung am Zeitgeschmack der „Moderne“, die im Nachhinein alles Historistische und Romantisch-Symbolistische ablehnte, getreu der Maxime der Impressionisten und der Moderne überhaupt, das „être de son temps“ zu pflegen – sich dem ausschließlichen Malen von zeitgenössischen Themen zu widmen, dem „Realismus“ – und alles Mythologische, Religiöse, Phantastische oder sonst mit der Wirklichkeit des Lebens nicht Übereinstimmende abzulehnen. Heute sieht man die Umbrüche der Kunst vor und um 1900 und deren Inhalte mit neuer Spannung.

Ein zweiter, zum Nachlass gehörender Teil besteht aus einer immensen Zahl von Druckgraphiken, die in den drei dafür bisher erschienenen wissenschaftlichen Werkverzeichnissen längst nicht komplett erfasst sind und mit ihrer Fülle von Zustandsdrucken je Platte die erstaunlich innovative wie penible Arbeitsweise Slevogts – im Vergleich zu seiner „schnellen Malerei“ – bezeugen. Hinzu kommen über 40 von Slevogt illustrierte Bücher und Mappenwerke in verschiedenen Ausführungen (Luxus- oder Normalausgaben) und ein bisher völlig unbekanntes, umfangreiches Mappenwerk der Künstlervereinigung „SPOG“, deren führende Köpfe Slevogt wie auch sein Freund Emil Orlik waren.

Slevogt wurde in Berlin einst von der Kunstkritik als „König der Illustration“ oder gar als „süddeutscher Menzel“ gefeiert, ein Kritikerpapst wie Julius Meier-Graefe erlaubte sich 1904 sogar, Slevogts malerisches Werk im Vergleich zu seiner Zeichenkunst als ganz und gar nebensächlich einzuschätzen. Heute gilt unser Blick wie auch der der meisten Zeitgenossen Slevogts aber hauptsächlich seinem malerischen Werk, weil es Tradition ist, Malerei höher zu gewichten und den Künstler Slevogt im Umfeld der Berliner Sezession als Mitstreiter für den Impressionismus zu sehen. Doch muss angesichts der sprudelnden Fülle von Slevogts Einfällen im graphischen Bereich, wie sie der jetzt erworbene Nachlass sichtbar macht, die Frage nach einer neuen Gewichtung gestellt werden, vor allem deshalb, weil seine Schwarz-Weiß-Kunst weit über das illustrativ Dienende einer Textbegleitung hinausgeht. Denn neben den Zeichnungen für die meist im Bruno Cassirer-Verlag publizierten bibliophilen Bücher, neben den berühmten Randzeichnungen zur Partitur von Mozarts „Zauberflöte“ (1920) oder den kongenialen Illustrationen zu Goethes „Faust II“ (1927) schuf Slevogt mit eigenen druckgraphischen Bildzyklen wie „Schwarze Szenen“ (1904), „Gesichte“ (1917), „Schatten und Träume“ (1924) oder „Reineke Fuchs“ (1928) komplexe, eigenständige Serien an Künstlergraphik, die sich ästhetisch und geistig in die Tradition der großen Schwarz-Weiß-Künstler von Dürer bis Goya und Dix einreihen.

Max Slevogt, Kleine Weinernte, 1913, 17,9 × 27 cm; Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe
Max Slevogt, Kleine Weinernte, 1913, 17,9 × 27 cm; Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe

Lässt man Slevogts künstlerische Entwicklung, wie sie sich im Material des Nachlasses darstellt, Revue passieren, so wird in seinem graphischen Werk ein Wesenszug deutlich, den seine Malerei nicht aufweist: ein tiefgründiger, teils schwarzer Humor, der auch Themen durchdringt, die durch und durch politisch sind. Die Tendenz zur Karikatur, den satirischen Zug, hatte Slevogt schon sehr früh, er war sicher auch deshalb zeitweise Mitarbeiter der Münchener politisch-satirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ gewesen.

Gerade in zahlreichen Zeichnungen aus dem „roten Klebealbum“, die noch ganz im akademisch-klassizistischen Stil gemacht sind, verbindet sich Slevogts Humor mit dem Makabren und ist hier bereits auf dem Weg zu den 20 Jahre späteren, bitter-bösen, satirisch-zeitkritischen Kommentaren zu den Ereignissen des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik. Ganz nebenbei durchquert man bei dem Gang durch das vorliegende Material des Nachlasses auch Slevogts Bildungshorizont: Obgleich er Maler war, schöpfte er wie selbstverständlich aus der Literatur der deutschen Klassik, die ihm völlig geläufig war. Schiller, Wieland, Herder, Lessing und vor allem Goethe hatte er gelesen, viele seiner frühen Zeichnungen im Klebealbum beziehen sich inhaltlich auf Themen aus der Literatur. Slevogt wäre nicht Slevogt, wenn sich daneben nicht auch noch eine andere Welt auftäte: Abenteuerromane, die Indianergeschichten Karl Mays und James Coopers, die Märchen Andersens und der Brüder Grimm, die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Hier wurde eine Welt lebendig, die ganz dem neugierigen Wesen eines Künstlers entsprach, der nach den Worten des Schriftstellers Uhde Bernays das berühmte Romanische Café in Berlin betrat, wie wenn „ein Spautzteufelchen aus seiner Schachtel durch die Drehtüre hereinkam“. Slevogt nahm gegenüber dem hohen Bildungsgut des 19. Jahrhunderts nicht die steife, beflissene Haltung des Bildungsbürgers ein. Für ihn zählten der Bilderreichtum der Sprache, die farbige Schilderung, in den Texten wie in der Musik – sie inspirierten sein bildnerisches Talent. Insgesamt vertiefen die im jetzt erworbenen Nachlass enthaltenen Originale und Druckgraphiken die Einsicht in Slevogts Arbeitsweise, sie fügen sich wie Puzzle-Teile zu einem beeindruckenden Gesamtwerk. Die wissenschaftliche Aufbereitung wird in den nächsten Jahren erfolgen. Es ist zu hoffen, dass der Nachlass bald als Gesamtpublikation der Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

Rheinland-Pfalz, das in den zurückliegenden Jahren für die Max Slevogt-Galerie, als Zweigstelle des Landesmuseums Mainz, bereits zwei graphische Bestände von Slevogt-Sammlern angekauft hat, besitzt somit, noch vor Saarbrücken und Hannover, den reichsten Bestand an Slevogt-Werken. Mit der Slevogt-Galerie und dem bislang erworbenen malerischen, schriftlichen und graphischen Nachlass ist das Land Rheinland-Pfalz auf dem besten Weg, das größte Sammel-Zentrum von Max Slevogt zu werden.