Großes auf Kleines gemünzt

Auf einem Rund von gerade einmal 35 Millimetern Durchmesser bannte Kimon sagenumwobene Geschichten seiner Heimatstadt. Der um 415 v. Chr. hochgeschätzte Stempelschneider aus der sizilianischen Stadt Syrakus versah beide Münzseiten der silbernen Dekadrachme mit filigranen, detailreichen Motiven: Auf der Vorderseite beugt sich bei schneller Fahrt ein Wagenlenker nach vorne, seine Quadriga im Galopp begriffen. Siegessicher die Pferde vorantreibend, führt er die Zügel mit ganzer Kraft. Die Siegesgöttin Nike fliegt ihm bereits entgegen, um mit ausgestreckten Händen den Siegeskranz zu überbringen. Doch nicht nur die Münzvorderseite, die die großen Triumphe der Syrakuser in der olympischen Disziplin Wagenrennen aufgreift, gestaltete Kimon im Zeichen der syrakusischen Geschichte. Auch die der Quellnymphe Arethusa gewidmete Rückseite würdigt die Stadt: Der mythologischen Erzählung zufolge entkam die anmutige Schönheit Arethusa den Avancen des liebestollen Flussgotts Alpheios lediglich, indem sie sich von der Göttin Artemis in eine Süßwasserquelle verwandeln ließ – die Quelle eines unterirdischen, in Syrakus austretenden Bächleins. Die Wasserthematik aufgreifend, umspielen vier Delphine das mit einem edlen Haarnetz verzierte Haupt der Nymphe.

Im 5. Jahrhundert v. Chr. machte sich die Münzstätte von Syrakus dank ihrer begabten Stempelschneider im gesamten griechischen Raum einen Namen. In dieser Blütezeit trat Kimon in Erscheinung: Seine ausgewiesene Könnerschaft stellte er insbesondere als Schöpfer der ersten Dekadrachmen unter Beweis – Silbermünzstücke im zehnfachen Wert einer antiken Drachme, der zu jener Zeit im gesamten hellenistischen Kulturkreis verbreiteten Währung. Seine kunstvollen, filigranen Münzprägungen versah Kimon als einer der ersten seiner Zunft zusätzlich mit persönlichem Kürzel.

Auch auf der 1908 bei Noto auf Sizilien gefundenen und 1912 von der königlichen Münzsammlung Berlin erstandenen Dekadrachme erkennt man die beiden Buchstaben KI, mit der sich Kimon raffiniert im Haarband der rückseitig abgebildeten Arethusa verewigte. Als wertvolles Zeugnis der Stadt- und Münzgeschichte von Syrakus ist diese gut erhaltene, signierte Silbermünze eine archäologische und numismatische Rarität, in der sich die ausgefeilte Stempelschneidekunst ihres Schöpfers spiegelt. Bis 1945 war das bedeutende Stück Teil der Sammlung des Berliner Münzkabinetts. Doch im Zuge der sowjetischen Besatzung der Museumsinsel gelangte der Sammlungsbestand nach Russland. Vermutlich bereits zwischen 1945 und 1946 verschwunden,  fiel dem damaligen Kurator Eberhard Erxleben (1925–2010) der Verlust der Kimon-Dekadrachme erst bei einer Bestandssichtung im Jahre 1958 auf, nachdem die Berliner Münzsammlung aus Russland zurückgekehrt war. Den Verbleib des wertvollen Stücks vermutete er in den USA, doch trotz fachkundiger internationaler Kontakte ließ sie sich jahrzehntelang nicht eindeutig verorten. Erst die Veröffentlichung der vermissten Silbermünze in der Online-Datenbank „Lost Art“ im Jahre 2014 führte schließlich zu einem Erfolg für das Berliner Münzkabinett: Ein auf die Verlustmeldung aufmerksam gewordener amerikanischer Privatsammler, in dessen Besitz sich die Münze nach zahlreichen Verkäufen zuletzt befand, wandte sich 2016 an das Berliner Münzkabinett. Dank der Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und Eigenmitteln der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gelang daraufhin die Rückerwerbung der Kimon-Dekadrachme: Von nun an wird sie wieder in ihrem ursprünglichen Sammlungskontext zu sehen sein.