Amazonien in den Alpen

Hinter der modernen Eingangstür im bayerischen Voralpenland lag bis vor kurzem Amazonien: Regale, Schubladen und Vitrinen quollen über von Keramik­gefäßen, Geräten oder Ketten und Ohrgehängen aus farbenprächtigen Federn, Jaguarkrallen, schillernden Käferflügeldecken oder Tierzähnen. In den langen Fluren auf hohen Borden meterlange Lanzen, Bögen und Blasrohre, in den Ecken lange Pfeilbündel, über den ehemaligen Kinderbetten bunte Federbehänge, Masken hingen an der Wand: So begegneten Besucher im Haus von Ernst Josef Fittkau seiner einzig­artigen Amazonien-Sammlung – materielle Kultur des gesamten amazonischen Raumes, Alltags-, Fest- und Zeremonialkultur – ein Denkmal für das kulturelle Erbe der Indianer Amazoniens. Die Sammlung konnte nun durch das Staatliche Museum für Völkerkunde München mit Unterstützung der Kultur­stiftung der Länder, des Freistaates Bayern, des Freundes- und Förderkreises des Staatlichen Museums für Völkerkunde München, der Bayerischen Landesstiftung und S.K.H. Herzog Franz von Bayern angekauft werden.

Mit etwa 4.000 Objekten von über 100 Indianergruppen aus dem gesamten Amazonasgebiet ist die Sammlung Fittkau eine der bedeutendsten Sammlungen. Heute könnte eine Sammlung in dieser Form nicht mehr angelegt werden. Durch den rasanten Wandel ihrer Lebensräume ist das fragile – meist aus organischen Materialien bestehende – kulturelle Erbe der Indianer aufs höchste gefährdet. Handwerkliche Techniken und Traditionen und damit die hohe Qualität vieler Objekte gehen verloren. Zudem machen inzwischen die Artenschutzbestimmungen den Import von aus seltenen Papageienfedern oder Jaguarkrallen gefertigten Schmuckstücken unmöglich.

Die 2.000 Fotografien, die auf den Exkursionen des Zoologen Fittkau entstanden, sind ein weiterer Schatz der ausführlich dokumentierten Sammlung. Durch seine Forschungen hatte Fittkau mehr­fach Erstkontakte zu Indianergruppen. Schwer­punkte der Sammlung liegen bei den Waika im vene­zolanisch-brasilianischen Grenzgebiet, in der Xingú-Region im brasilianischen Staat Mato Grosso, den Tiriyó im Grenzgebiet von Brasilien und Surinam sowie bei den Canela im Südosten Amazoniens. Die kostbaren und aufwendig gefertigten Stücke hatten ihren Preis: Schrotflinten und Kleinkaliber­gewehre. Aber auch für die Indianer wertvolle Messer, Angelhaken, Perlen, Ziga­retten und Süßigkeiten waren beliebte Tausch­objekte für Krallen­ketten und Schmuck. Ernst Josef Fittkau ließ buch­stäblich oft sein letztes Hemd im Urwald und kehrte mit erleichtertem Gepäck und zahlreichen Neuzugängen für seine Sammlung nach Europa zurück.

Professor Dr. Ernst Josef Fittkau (*1927) ist Zoologe mit fachlicher Ausrichtung auf Limnologie und Tropenökologie für den Regenwald Amazoniens. In den Jahren 1960 bis 1963 leitete er in Manaus die Abteilung Limnologie am Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia, dem Nationalen Institut für Amazonien­forschung, und baute dort 1965 eine Außenstelle der Abteilung Tropenökologie des Max-Planck-Institutes für Limnologie in Plön auf. In diesen Jahren liegen die An­fänge und der zeitliche Schwerpunkt seiner Sammlung. 1976 kam Fittkau als Direk­tor der Zoolo­gischen Staatssammlung nach München und lehrte an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Das Staatliche Museum für Völkerkunde München erhält mit der Sammlung exzellent erhaltener Objekte eine gut dokumentierte und wertvolle Ergänzung seiner Bestände. Die Sammlung führt die Amazonien-Tradition des Staatlichen Museums für Völkerkunde München fort, die mit der Sammlung aus der berühmten Brasilienreise des Zoologen Johann Baptist von Spix und des Bota­nikers Carl Friedrich Philipp von Martius in den Jahren 1817 bis 1820 begann. Eine dritte große Amazoniensammlung des Museums trug Prinzessin Therese von Bayern um 1900 zusammen.

Dr. Martin Hoernes, stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, sagte: „Die Sammlung Fittkau ergänzt die traditionsreiche Amazonien­sammlung des Museums für Völkerkunde auf ideale Weise. München und Amazonien bleiben weiter in enger Verbindung.“

Das Staatliche Museum für Völkerkunde München ist mit etwa 200.000 Objekten das zweitgrößte Völkerkundemuseum Deutschlands. In den Sammlungen des Museums sind Objekte aus einer Vielzahl außereuropäischer Länder vertreten, sowohl herausragende Einzelstücke wie auch komplette Sammlungskonvolute einzelner Forscher und Reisender. Der hohe Anteil an Kunstwerken im Sammlungsbestand macht das Museum auch für Kunstliebhaber interessant.