Kostbarer Kodex

Mit dunkelbraunem Rindsleder bespannte Holzdeckel, verziert mit zarten Streich­eisenmustern und Bildstempeln, bergen den geistigen Reichtum des christlichen Glaubens: Mit einer spätmittelalterlichen Sammelhandschrift religiöser Erbauungs­li­teratur – Gebeten, Psalmen, Mystikerzitaten und Katechismen – erwarb das Cusa­nusstift in Bernkastel-Kues erstmals seit 176 Jahren wieder einen kostbaren Kodex für seine historische Hand­schrif­ten­biblio­thek. Herzstück und philologische Sensa­tion des Kompendiums verkör­pert eine frühe Fassung der Vaterunser-Predigt des Nikolaus von Kues (Cusanus ge­nannt, 1401–1464), die der schon zu Lebzeiten be­rühm­te Gelehrte auf persönliche Bitte des Augsburger Bischofs Peter von Schaum­berg 1441 verschriftlichte.

Weltweit existieren nur neun Abschriften des verlorenen Originalmanuskriptes – die jüngst mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder aus dem Kunsthandel erworbene Handschrift repräsentiert jedoch die Meditation zum Paternoster in einer der wohl ältesten und originalgetreusten Kopien. Ein ausgezeichneter Schrei­ber fertigte die Blätter im Oktavformat von 15 x 10 cm vermutlich im Skrip­torium des Kölner Franziskanerklosters St. Agnes ad Olivas zwischen 1460 und 1485 in besonders akkurater Bastarda-Schrift. Noch in der Zeit des Nikolaus von Kues entstan­den, überliefert die Handschrift die komplexen theologischen Gedanken in ripua­risch-kölnischem Dialekt, der mit der nicht mehr erhaltenen Fassung des Cusanus in moselfränkischer Mundart sprach­lich eng verwandt ist. In Kooperation mit dem Trierer Institut für Cusanus-Forschung soll der lange in einer Privatsamm­lung ver­wahr­te Kodex erstmals umfas­send erforscht werden; auch eine kritische Neuedition der Vaterunser-Predigt im original­nahen Dialekt ist geplant.

Die Bibliothek des von Kardinal Cusanus in seinem Geburtsort gegründeten St. Nikolaus-Hospitals ist Hüterin des geistigen Erbes des Kirchenreformers, Fürst­bischofs und päpstlichen Legaten: Rund 270 Handschriften mit philosophisch-reli­giösen, aber auch naturwissenschaftlich-mathematischen Traktaten vermachte der Universalgelehrte seiner Stiftung – darunter den eigenhändig verfassten, lateini­schen Entwurf zur Vaterunser-Predigt. Anlässlich des 550. Todestages Nikolaus von Kues wird die Hand­schrift ab 11. August in der Sonderausstellung „Das Erbe des Cusanus“ der Öffentlichkeit präsentiert.