Das neue Kulturgutschutzgesetz

Wichtig ist das Gesetz, noch wichtiger war die Debatte: Im Sommer 2015 katapultierte die Veröffentlichung eines unautorisierten Referentenentwurfs den Kulturgutschutz in die Wahrnehmung der breiten und medialen Öffentlichkeit. So hitzig und teilweise unsachlich die Diskussion über die von der Bundesregierung geplante Gesetzesnovellierung verlief, so befreite sie das Thema von seinem blassen Schleier und konfrontierte nicht nur Museumsdirektoren, Sammler, Kunsthändler und Galeristen mit drängenden Fragen rund um unser kulturelles Erbe: Welche Rolle spielen national bedeutende Kunst- und Kulturschätze in Zeiten der Globalisierung – für die eigene Identität, für die Gesellschaft? In welchem Verhältnis steht persönliches Eigentum zu seinem gesellschaftlichen Stellenwert als national wertvolles Kulturgut? Wie dringend muss man den Schutz unseres kulturellen Erbes verbessern, wo liegen die Grenzen des Schutzes? Viel haben wir in der Kulturstiftung der Länder und auch außerhalb diskutiert. Über einiges haben wir uns gewundert, über manches geärgert, doch selten haben wir uns so intensiv mit anderen über die Bedeutung von beweglichen Kunst- und Kulturschätzen ausge­tauscht.

Nach intensiven Debatten vom Deutschen Bundestag ohne Gegenstimme beschlossen und im Bundesrat mit breiter Zustimmung der Länder verabschiedet, ist das Kulturgutschutzgesetz am 6. August 2016 in Kraft getreten. Ziel der umfassenden Reform war die Modernisierung des Kulturgutschutzrechtes und die Anpassung an EU- und internationale Standards, vor allem an das UNESCO-Übereinkommen von 1970. Dieses widmet sich dem Schutz von Kulturgütern als wesent­liches Element der Zivilisation und Kultur der Völker und sieht in der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut eine der Hauptursachen für das Dahinschwinden des kulturellen Erbes der Ursprungsländer. Die derzeit 131 Vertragsstaaten verpflichten sich, diese Praktiken zu bekämpfen, indem sie ihre Ursachen beseitigen, im Gang befindliche Praktiken beenden und zu den erforderlichen Wiedergutmachungen beitragen. Als 115. Staat hatte Deutschland das Übereinkommen 2007 ratifiziert und im selben Jahr zur Umsetzung das Kulturgüterrückgabegesetz verabschiedet. Doch – wie ein Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kulturgutschutz von 2013 ergab – hatte sich das Gesetz als wenig effektiv erwiesen. Die Notwendigkeit einer Novellierung war offenkundig, die Überarbeitung der Ein- und Ausfuhrregelungen von Kulturgütern unausweichlich.

Auf drastische Weise haben die jüngsten Bilder aus Krisenregionen wieder gezeigt, welche tiefen Wunden, welche schmerzlichen Lücken die gezielte Zerstörung von kulturellem Erbe hinterlässt. Antike Stätten werden zerwühlt, Museen geplündert. Illegal wird mit Objekten aus Raubgrabungen gehandelt, um den Terrorismus zu finanzieren. Bisher bot das deutsche Recht wenige Möglichkeiten, um entschlossen gegen den illegalen Handel vorzugehen: Lediglich Objekte, die vom Herkunftsstaat auf eine Liste gestohlener Kulturgüter gesetzt wurden, durften nicht nach Deutschland eingeführt werden. Nun muss bei der Einfuhr von Kunst- und Kulturschätzen ein Nachweis über die rechtmäßige Ausfuhr aus dem Herkunftsstaat – nicht einfach nur dem Staat der letzten Belegenheit – erbracht werden. Legal kann also nur nach Deutschland gebracht werden, was legal aus seinem Herkunftsstaat ausgeführt wurde. Es ist nun die Aufgabe der Bundesregierung, den deutschen Zoll, die deutschen Strafermittlungsbehörden, den Handel und die Touristen umfassend über Ausfuhrgenehmigungen und Ausfuhrverbote von Kulturgütern anderer Staaten zu informieren, damit es zu einer reibungslosen Umsetzung des Gesetzes kommen kann und Händler wie auch Touristen in der Lage sind, sich selbst zu schützen.

Anders als bisher sind Ausfuhrgenehmigungen von Kulturgütern bestimmter Kategorien in Abhängigkeit von Alters- und Wertgrenzen künftig auch für Länder innerhalb der EU verpflichtend, zum Beispiel bei Gemälden ab 75 Jahren und einem Wert von 300.000 Euro. Besonders an diesem Punkt störten sich viele Novellierungskritiker. Dabei hielt sich ein Missverständnis hartnäckig: Mit der Überschreitung der Wertgrenzen würde bereits eine Vorbewertung des entsprechenden Objektes als national wertvoll stattfinden. Hierüber entscheidet jedoch nach wie vor eine durch die jeweilige Landesregierung berufene Experten-Kommission – mit Vertretern von sammelnden Einrichtungen, der Wissenschaft, des Handels und von privaten Sammlerinnen und Sammlern –, die individuell begutachtet und beurteilt, ob sie dem Antrag auf Eintragung folgt und das entsprechende Objekt als „national wertvolles Kulturgut“ einstuft. Selbst wenn ein Kunstwerk die entsprechenden Wertgrenzen seiner Kategorie weit überschreitet, bedeutet dies nicht automatisch, dass ein Ausfuhrverbot erteilt und ein Eintragungsverfahren eröffnet wird. Um den bürokratischen Aufwand zu verringern, können sich Sammler und Eigentümer künftig mit einem sogenannten Negativ-Attest verbindlich bestätigen lassen, dass ihre Werke nicht als national wertvoll eingestuft und somit frei für den Handel auch ins Ausland verfügbar sind.

Mit der Novelle stehen nun auch Sammlungen in öffentlicher Hand als nationales Kulturgut unter Schutz. Wird Kulturgut aus Museen gestohlen und gelangt auf illegalem Weg ins Ausland, hat die Bundesrepublik nun einen völkerrechtlichen bzw. einen EU-rechtlichen Rückgabeanspruch. Die sammelnden Einrichtungen können sich jetzt für ihren gesamten Bestand eine allgemeine offene Genehmigung zur Ausfuhr mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren erteilen lassen. Diese erleichtert den Leihverkehr und bringt eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung mit sich.

Unberechtigterweise waren viele private Leihgeber von dieser Gesetzesänderung irritiert: Denn Leihgaben Dritter sind nicht – wie voreilig angenommen wurde – ebenfalls automatisch unter Schutz gestellt. Der Verleiher muss seine ausdrückliche Zustimmung gegenüber der zuständigen Behörde erteilen. Tut er dies nicht, gelten für ihn zum Beispiel im Falle eines Diebstahls lediglich die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften.

Oft wurde uns im Rahmen des Novellierungsverfahrens die Frage gestellt, ob der strengere Fokus auf den Schutz nationalen Kulturgutes vor der Abwanderung ins Ausland in Zeiten der Globalisierung nicht überholt sei. Doch meiner Meinung nach schließen sich Globalisierung und eine lokale, regionale oder nationale Kultur nicht aus, sondern können sich vielmehr gegenseitig befruchten. So haben materielle wie immaterielle Kultur immer auch von ihrem überregionalen und internationalen Austausch profitiert. Dennoch gilt es dringender denn je zu differenzieren: So darf national nicht mit nationalistisch, identitätsstiftend nicht mit identitär verwechselt werden. Die Auszeichnung „national wertvoll“ meint nicht deutsche Kunst von deutschen Künstlern, sondern hebt herausragende Kunstwerke und kulturelle Schätze, die unsere Gesellschaft geprägt haben und prägen, hervor. Ob der „Bücherwurm“ von Carl Spitzweg, die Amerikanischen Reisetagebücher Alexander von Humboldts, die Himmelsscheibe von Nebra, der Gammertinger Spangenhelm oder die Schutzmantelmadonna von Hans Holbein dem Jüngeren: Sie alle spiegeln die Vielfalt unseres kulturellen Erbes und stiften Identität; sind exzeptionelle Werke mit überregionaler Strahlkraft, kulturelle Erzeugnisse, die tief mit der Geschichte einer bestimmten historischen Region verwurzelt sind. So stark das Verlangen nach einer wasserdichten, für alle Situationen anwendbaren Schablone sein mag – der Reichtum unserer Kulturlandschaften lässt sich nicht in eine feste Definition gießen. Daher handelt es sich auch bei der im Gesetz verwendeten Formulierung „national wertvoll“ um einen im juristischen Sinne unbestimmten Rechtsbegriff, der erst in der Summe der Einzelfälle seine Bedeutung entfaltet und daher per se offen und flexibel bleiben muss – so kann er im Laufe der Zeit und im Wechsel der Generationen neu bewertet werden.

Einerseits Handelsware, andererseits kulturelles Zeugnis von ideellem Wert: Bei der Debatte rund um den Schutz von nationalem Kulturgut prallen verschiedene Emotionen und Interessen aufeinander. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das Interesse in gleicher Intensität anhält. Denn es schärft nicht nur unser Bewusstsein für das kulturelle Erbe, sondern für die Identität und Vielfalt unserer Gesellschaft.