Bewegte Architektur in Stuttgart

Extravagant und unprätentiös zugleich. So lässt sich nicht nur James Stirlings Architektur der Neuen Staatsgalerie Stuttgart beschreiben – diese postmoderne Umdeutung klassizistischer Formen, die neben einer hochkarätigen Kunstsammlung auch den berüchtigten grünen Noppenboden aus Gummi beheimatet. Denselben Gegensatz vereint die Performance von Pablo Bronstein, die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer im Rahmen des Sommerfests des Museums im Stirling-Bau zur Aufführung bringen: Durch die Ausstellungsräume hindurch vollführen sie eine Choreographie, deren Posen sowohl dem klassischen Ballett als auch dem Voguing entlehnt zu sein scheinen – ein Tanzstil, der sich in den 1980er Jahren aus den überzogenen Haltungen der Vogue-Models entwickelte: theatralisch und extravagant. Unprätentiös im Gegensatz dazu die Alltagskleidung der Tänzer und ihre unaufgeregte Mimik. Nicht Musik bestimmt ihre Bewegungen – die Darbietung findet im Stillen statt, – sondern der architektonische Kontext: Eher statisch statt fließend ineinandergreifend, glaubt man in den Haltungen der Tänzer Bauelemente und dekoratives Ornament zu erkennen. Ein klassizistischer Dreiecksgiebel in der Position der Arme, kunstvoll zu Voluten verdrehte Hände und exaltierte Posen, die an römische Skulpturen erinnern, denen aus Stirlings Rotunde im Herzen der Neuen Staatsgalerie nicht unähnlich.

Tänzer der Performance „Perspectival Demonstration in a Building by James Stirling“ von Pablo Bronstein in der Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart während des Sommerfests 2016, i.Hgr.: Rudolf Belling, Kopf in Messing (Portrait Toni Freedan), 1925 sowie Karl Hofer, Böse Masken, 1934 © VG-Bildkunst / Foto: Staatsgalerie Stuttgart
Tänzer der Performance „Perspectival Demonstration in a Building by James Stirling“ von Pablo Bronstein in der Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart während des Sommerfests 2016, i.Hgr.: Rudolf Belling, Kopf in Messing (Portrait Toni Freedan), 1925 sowie Karl Hofer, Böse Masken, 1934 © VG-Bildkunst Bonn / Foto: Staatsgalerie Stuttgart

Ob auf Papier oder als Performance: Bronsteins ironisch angehauchte Arbeiten nehmen stets Bezug auf die Baukunst. Neben dem Barock haben es dem 39-jährigen Argentinier vor allem die Formen des Klassizismus angetan. Dass der Künstler in James Stirlings baulicher Kapriole in der schwäbischen Metropole eine fruchtbare Inspirationsquelle finden würde, hat Susanne Kaufmann erkannt: Mit dem ortspezifischen Konzept zur Performance bewarb sie sich um den Volontärspreis und gewann die mit 5.000 Euro dotierte Projektförderung, die der Junge Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder unter den Stipendiatinnen der Art Basel-Reise 2014 ausgelobt hatte. „Das war eine echte Chance für mich als Volontärin. Ohne die Förderung hätte ich in dieser Position so ein Projekt nicht realisieren können“, sagt Kaufmann, die heute wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Staatsgalerie ist. Mit Bronstein bringt sie zeitgenössische Performance in das Haus am Schlossgarten – eine Kunstform, die hier nur selten auf dem Programm steht. Während des sehr gut besuchten Sommerfests ist die Performance eine der Hauptattraktionen. Von Raum zu Raum folgen die Besucher den Performern, zwischen denen Symmetrien entstehen, die sogleich wieder gebrochen werden. Eine Tänzerin gibt den Impuls, die anderen reagieren: Es ist ein immer gleicher Dialog der Posen, der in den sich ändernden Räumen widerhallt, der in Beuys‘ Raumplastik „Dernier espace avec introspecteur“ eine andere Bedeutungsdimension entwickelt als vor Giacomettis langgliedrigen Bronzefiguren oder den Figurinen des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer. Nicht nur die ortsspezifische Architektur spiegelt sich in Bronsteins Performance wider – die erneute Aufführung am nächsten Tag in der Stirling-Rotunde beweist das aufs Schönste –, sie harmoniert auch mit der Sammlungspräsentation, bringt die Kunstwerke zum Schwingen und macht sie auf neue Weise erfahrbar.