Auge in Auge mit Osiris

Der Weg in die Ewigkeit führt mitunter über verschlungene Pfade. In diesem Fall führt er durch die behutsamen Hände von Grazyna Nowottka, die soeben ihr Diplom als Restauratorin erhalten hat. Ihre Abschlussarbeit handelt von eben jener fein gearbeiteten, aber arg lädierten ägyptischen Mumienmaske aus ptolemäischer Zeit, die nun in einer der Werkstätten des Instituts für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Fachhochschule Köln ihrer Instandsetzung entgegensieht. Die Maske aus dem Besitz des Heinrich Schliemann-Instituts der Universität Rostock ist das erste von sieben wertvollen, in ihrer Erhaltung aber akut gefährdeten Objekten, deren Konservierung und Restaurierung durch Absolventen der Fachhochschule Köln vom Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder finanziert wird, der einzigen Fördereinrichtung, die sich seit 1999 schwerpunktmäßig im Restaurierungsbereich in Ost- und Mitteldeutschland engagiert. Das Konvolut enthält drei Mumienmasken, zwei bemalte und beschriftete Holzsärge in Mumienform, einen bemalten Sargdeckel sowie ein seltenes, nur im Mittleren Reich als Grabbeigabe gebräuchliches Holzmodell eines Kornspeichers. Es handelt sich um eine Win-win-Situation: Die technologische Erschließung sowie die Findung eines Restaurierungskonzepts ist jeweils Gegenstand einer Diplom- oder Master­arbeit – und damit kostenfrei. Die anschließende, mehrere Monate in Anspruch nehmende Restaurierung selbst stellt den ersten bezahlten Auftrag für die jungen Restauratoren dar. Bislang sind die für Mecklenburg-Vorpommern einzigartigen Objekte selbst der Fachwelt weitgehend unbekannt. Sie waren spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr öffentlich zugänglich. Der Restaurierung soll daher ein größeres wissenschaftliches Erschließungs- und Publikationsvorhaben folgen, an dem neben dem Rostocker Heinrich Schliemann-Institut auch das Seminar für Ägyptologie der Universität Köln beteiligt sein wird.

Mumienmaske aus Abusir el-Meleq, ptolemäisch
Mumienmaske aus Abusir el-Meleq, ptolemäisch

Einstweilen befindet sich von den sieben Grabfunden nur die besagte ­Maske in Köln, denn alles wird sukzessive bearbeitet. Zuständig für die kunsttechnologische Erforschung sind die Studienrichtungen „Gemälde/Skulptur/Moderne Kunst“ sowie „Objekte aus Holz“ und „Werkstoffe der Moderne“. Für die Kölner Fachhochschule, so sagt Hans Portsteffen, der das Vorhaben gemeinsam mit seinen Kollegen Regina Urbanek und Andreas Krupa leitet, stellen die Rostocker Masken und Särge durchaus eine Besonderheit dar. In der Regel nämlich sind die in den eigenen Ateliers untersuchten und restaurierten Objekte nicht älter als tausend Jahre.Die ägyptischen Funde aber lassen sich grob auf den Zeitraum drittes Jahrtausend bis sechstes Jahrhundert v. Chr. datieren.

Die Kartonagemaske, welcher sich Grazyna Nowottka angenommen hat, dürfte noch vor der Zeitenwende entstanden sein. Zutrauen strahlt es aus, das mit einer hauchdünnen, eventuell durch Faulgase leicht rötlich verfärbten Blattgoldschicht (dem „Fleisch der Götter“) überzogene „geheime Gesicht“, wie man die Masken in den ägyptischen Jenseitsbüchern nennt. Auf der Stirn sitzt ein gelber Skarabäus mit Falkenflügeln, der eine rote Sonnenscheibe hält. Genügend Finanzkraft vorausgesetzt, wurde in Ägypten etwa ab 2.500 v. Chr. der bis auf das Herz von allen inneren Organen befreite, mittels Natron ausgetrocknete und anschließend mit verschiedenen Materialien ausgefüllte Leichnam mit vielen Metern Stoffbinden umwickelt und mit einer Mumienmaske ausgestattet. Die Maske, die bis zur römischen Epoche (vom ersten nachchristlichen Jahrhundert an) nicht individualisiert war, stellt den Kopf eines Gottes dar, hier wohl Osiris. Der einbalsamierte Verstorbene erhält ihn, um mit seiner Hilfe als Gott sehen und handeln zu können. Auch die vorliegende Maske aus der mittelägyptischen Nekropole Abusir el-Meleq leitete also einen Verstorbenen ins Jenseits. Doch sie ist ins irdische Dasein zurückgekehrt, was keineswegs intendiert war.

Die bislang nur wenig erforschte Nekropole Abusir el-Meleq ist vermutlich mit einem Osiris-Kultzentrum zu verbinden. Die in mehreren Kampagnen zwischen 1902 und 1904 an dieser Stelle erfolgten Ausgrabungen wurden von dem Klassischen Archäologen und Philologen Otto Rubensohn geleitet. Dieser war 1901 als hauptamtlicher Leiter des preußischen Papyrusunternehmens nach Ägypten entsandt worden, um literarische Papyri zu beschaffen. In diesem prestigeträchtigen Bereich bestand in Berlin mit Blick auf London Nachholbedarf. Rubensohn sollte einerseits alte Dokumente erwerben und andererseits eigene Grabungen durchführen. Um die innerdeutsche Konkurrenz bei der Papyrusjagd abzumildern, schlossen sich bald die Hauptinteressenten zum Deutschen Papyruskartell zusammen. Alle Erwerbungen tätigte man so von 1902 an gemeinsam. Sämtliche Grabungsfunde hingegen, sofern sie exportiert werden durften, sollten den für die Grabung verantwortlichen Mitgliedern verbleiben: Rubensohns Funde fielen also allein den Berliner Museen zu. Durch drei Schenkungen der Deutschen Orientgesellschaft zwischen 1906 und 1909 gelangte ein stattliches Konvolut dieser Funde an die Universität Rostock. Am wichtigsten war die Schenkung vom Juli 1906, die allein fünfzig Objekte umfasste, von denen wiederum die sechs nun zur Restaurierung vorgesehenen Stücke die kunst- und kulturhistorisch bedeutsamsten sind.

Dass die Suche nach Papyri Anfang des vergangenen Jahrhunderts im Vordergrund stand, wurde vielen der zweitausend Jahre alten Objekte zum Verhängnis. In seinem ausführlichen Bericht über die Grabungen in Abusir el-Meleq aus dem Jahre 1904 kommt auch Rubensohn beispielsweise auf eine Gruppe eher ärmlicher Erdhöhlengräber aus römischer Zeit zu sprechen, „die als eigentliche Schachtgräber nicht mehr betrachtet werden können. […] An Ort und Stelle fanden sich nur die mehr oder weniger zerstörten Särge aus Papyruskartonage, die von den Grabesräubern als wertlos zurückgelassen waren, uns aber eine willkommene Ausbeute lieferten. Unter den bisher auseinandergelösten und untersuchten Papyri findet sich ein Stück aus dem Jahre 19 des Augustus“. Die gefundenen Objekte wurden prinzipiell Museen und Forschung zugeführt, insbesondere die in Serie produzierten Mumienmasken der Spätzeit waren begehrte Objekte der Archäologen, weil sie oft aus mehreren Lagen wiederverwerteter Papyri bestanden. Bis vor wenigen Jahrzehnten noch war es üblich, die als künstlerisch minderwertig angesehenen Masken in Wasser aufzulösen, um an die Papyruslagen zu gelangen. Dass die zwar zerdrückte, verschmutzte sowie von früheren Konservierungsversuchen weiter in Mitleidenschaft gezogene Rostocker Maske überhaupt noch existiert, hat sie wohl dem Umstand zu verdanken, dass sie in traditioneller, das heißt vorptole­mäischer Weise aus Leinwandgewebe geformt ist. Umso größer ist die Verantwortung, welche der Nachwelt im Hinblick auf Erhaltung und Erschließung aufgegeben ist.

Elemente der altägyptischen Unterwelt-Vorstellung kehrten bekanntlich im christlichen Auferstehungsglauben wieder. In beiden Fällen gilt das Jenseits als Ort des Lebens. Sehr schön zeigt sich nun bei der Kölner Analyse der Bestattungsobjekte, dass auch eine technologische Kontinuität besteht – von der Blattgoldverarbeitung (man denke an die byzantinische Kunst) bis zur synthetischen Farbherstellung (das kräftige „Ägyptisch Blau“, ein aufwendig hergestelltes, künstliches Mineralpigment, verbreitete sich über Griechenland bis ins Römische Reich). Analysiert wurden von Grazyna Nowottka respektive von beauftragten Spezialisten Grundierung (Calcit) und Pigmente (u. a. Roter Ocker, Ägyptisch Blau, Ägyptisch Grün, Auripigment) mittels Fourier-Transformations-IR-Spektroskopie (FTIR), Röntgendiffraktometrie (XRD) und Energiedispersiver Röntgenanalyse am Rasterelektronenmikroskop (REM-EDX). Die Faserart des textilen Trägers (Flachs und Hanf) ermittelte man mithilfe von Durchlichtmikroskopie, die Art der benutzten Bindemittel (vermutlich Proteinleim) durch mikrochemische Tests und histochemische Anfärbungen an Querschliffen der Fassung sowie gelösten Proben.

Die Konservierung soll die Maske nun haltbar für die Ewigkeit und zugleich zugänglich für die Öffentlichkeit machen. Zunächst steht nach dem Plan Grazyna Nowottkas eine Oberflächenreinigung an, wobei mittels Pinsel und Knetradierer die Verschmutzung so stark reduziert wird, dass die Farben wieder leuchtend hervortreten. Anschließend werden die gefährdeten Farbschichten mit einem Spezialkleber gefestigt. Die früheren Hinterklebungen der Maske sollen dort entfernt werden, wo es ohne Schaden möglich ist. Dann folgt die schwierigste Aufgabe: eine partielle Rückformung des im Schulter und Brustbereich wohl aufgrund des eigenen Gewichts stark zusammengesackten Objekts. Dazu ist die Herstellung eines temporären, die Randbereiche entlastenden Unterbaus vorgesehen, der später durch einen permanenten Unterbau ersetzt wird. Mit einem Störleim-Reisstärkekleister werden sodann die Gewebelagen verklebt und die abgelösten Fassungsschollen wieder angebracht. Ob die Fehlstellen anschließend gekittet und retuschiert werden, soll zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden. Da eine Ausstellung der Maske im Studiensaal des Heinrich Schliemann-Instituts vorgesehen ist, wird zudem noch eine Vitrine nötig, die vor Schmutz, Strahlung und Klimaschwankungen schützt. Mit etwas Phantasie kann man in dieser Vitrine andeutungsweise den Grabraum wieder­erkennen, in welchem die göttliche Maske zweitausend Jahre ihrer Existenz verbrachte, ohne Schaden zu nehmen, bevor sie ihn vor hundert Jahren verließ. So viel ist man ihr schuldig.