Von Fehlstellen und Lückenschlüssen

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Auftrag war ganz und gar ungewöhnlich: Keine antike Göttin, keine anmutige Königin, keinen stolzen Herrscher oder Kriegsherrn sollte Preußens erfolgreichster Bildhauer in einem Monument verewigen, sondern einen Maler. Und der war noch dazu seit dreihundert Jahren tot: Albrecht Dürer.

So schritt Christian Daniel Rauch zur Tat und schuf nach alten Bildvorlagen eine überlebensgroße Bronzestatue des Malerfürsten aus der Renaissance: das erste öffentliche Künstlermonument in dieser Form in Deutschland überhaupt. König Ludwig I. von Bayern hatte Nürnberg dieses Denkmal 1827 zugedacht, der Stadt, in welcher Dürer geboren und gestorben war. Noch heute steht das Monument auf Nürnbergs Albrecht-Dürer-Platz.

Stolz war man dort auf den großen Sohn – umso mehr musste der Umstand schmerzen, dass die Stadt über die Jahrhunderte so viele Gemälde von Dürer an die Residenzen in Prag und München verloren hatte. Das empfand man schon um 1800 so; und noch unlängst schwang das Wehklagen über diesen Exodus in der Diskussion um die aus konservatorischen Gründen unmögliche Reise von Dürers Selbstporträt aus der Alten Pinakothek zur Dürer-Schau in Nürnberg mit. Wieder einmal ein Zeichen, wie stark und überdauernd die identitätsstiftende Kraft der Kunst sein kann – in Deutschland mit seinen vielen kulturellen Zentren zumal!

Kunst ist immer gewandert, ist immer gereist – auch Dürer hat dies ausgiebig getan –, und doch freuen wir uns in der Kulturstiftung der Länder immer besonders, wenn es uns gelingt, ein bedeutendes Kunstwerk an „seinen“ Ort zurückzubringen. Dass gleich zweimal der Weg der Kunstwerke glücklich zurück an ihren Entstehungsort geführt hat, gilt es heute im Schwerpunkt unserer Sommerausgabe von Arsprototo zu feiern: Da ist zum einen jener eindrucksvolle „Kalvarienberg“ (der Hügel Golgatha), der nach seinem Kauf durch einen Nürnberger Bürger 1816 als zurückgekehrtes Frühwerk von Albrecht Dürer gefeiert wurde, später dann verlustig ging und nun als spätgotisches Meisterwerk (wenn auch freilich nicht mehr Dürer zugeschrieben) vom Germanischen Nationalmuseum erworben werden konnte. Und zum anderen eine hölzerne Mariengruppe, eine anrührende Beweinungsszene unterhalb des Gekreuzigten, die wiederum in einem „Kalvarienberg“ des Kölner Museum Schnütgen fehlte – und nun an ihren angestammten Platz zurückgefunden hat.
Vielleicht erinnern Sie sich: Nicht lange ist es her, da konnte die Kulturstiftung auch für einen hochbedeutenden „Kalvarienberg“ aus Alabaster in Halberstadt ein wichtiges, fehlendes Fragment zurückerwerben. Manchmal dauert es Jahrzehnte oder gar Jahr-hunderte, bis sich ein Puzzle wieder zusammenfügt. So macht sich die Suche mit geschultem Blick zu guter Letzt bezahlt.

Mir bleibt, Ihnen und Ihrer Familie einen schönen und erholsamen Sommer zu wünschen und Ihnen in dieser Ausgabe von Arsprototo ganz besonders den Artikel von Uta Baier über Otto Steinert zu empfehlen, jenen Saarbrücker Fotokünstler, mit dessen Porträt wir das Saarland würdigen möchten, dem dieses Heft gewidmet ist.

Ihre
Isabel Pfeiffer-Poensgen