Erwerbungen

Apokalypse real

Franz Radziwill, Flandern – Wohin in dieser Welt?, 1940 –1950, 119 × 170 cm; Neue National­galerie, Berlin
Franz Radziwill, Flandern – Wohin in dieser Welt?, 1940 –1950, 119 × 170 cm; Neue National­galerie, Berlin

Hier enden die einen und beginnen die anderen modernen Zeiten: Als imposantes Schlussbild der ersten, aber auch als programmatischer Auftakt in der zweiten Sammlungspräsentation „Der geteilte Himmel“ der insgesamt auf drei Teile ange­legten Ausstellungsfolge der Ber­liner Neuen National­galerie markierte das Gemälde „Flandern“ von Franz Radziwill den radikalen Schnitt, den der Zweite Weltkrieg durch Europa und damit auch durch die Kunst zog. Radziwills Land ist ein zerrissenes, sein Himmel ein geteilter. Ruinen zerbombter Häuser stören die dörfliche Idylle, Pferde auf der Koppel scheuen panisch vor dem anfliegenden Sturzkampfbomber-Verband. Die Menschen flüchten mit wenigen Habseligkeiten aus ihrer Heimat. Franz Radziwill (1895–1983), der bis in die ersten Kriegsjahre hinein mit dem Nationalsozialismus sympathisierte, malte sein Bild mit dem ursprünglichen Titel „Wohin in dieser Welt?“ im Jahr 1940 vor dem Hintergrund seiner Erlebnisse als Soldat beim Überfall Deutschlands auf Belgien. In den Jahren 1945-50 überarbeitete er sein Gemälde, deutsche und amerikanische Flugzeuge kamen hinzu, den Himmel ließ er jetzt zerbersten. Unheroisch erscheint der Krieg, differenziert zeigt der Künstler die massiven Folgen der radikalen Eroberungskriege des NS-Regimes und thematisiert Niederlage und Kapitulation Deutschlands in dieser späteren Ergänzung. Stilistisch verkörpert „Flandern“ Radziwills Wechsel vom magischen Realismus zu einem apokalyptisch gestimmten, surrealen Symbolismus und illustriert damit auch des Künstlers Leben mit Widersprüchen und Gesinnungswechseln. Das Hauptwerk Radziwills, der in der Nachkriegszeit umstritten war, aber auch mit hohen staatlichen Orden ausgezeichnet wurde, befand sich als Leihgabe des Künstlers seit 1968 in der Sammlung der Nationalgalerie; nun konnte es aus dem Nachlass angekauft werden.

Office reloaded

Joseph Beuys, vor dem Aufbruch aus Lager I, 1970/80 , Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München
Joseph Beuys, vor dem Aufbruch aus Lager I, 1970/80 , Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München

Mit Hasenblut und Farbe erzeugte er die von ihm „Braunkreuz“ getaufte Emulsion, die den tiefen, rötlichen Braunton ergibt, die das Werk „vor dem Aufbruch aus Lager I“ dominiert. Joseph Beuys’ nicht begehbarer Schauraum versammelt einige Protagonisten des Büros „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung (freie Volksinitiative e. V.)“, in dem der Künstler seinen erweiterten Kunstbegriff propagierte und die neue Form einer sogenannten sozialen Plastik durchsetzen wollte. Als das Büro in Düsseldorf 1980 nach zehn­jährigem Bestehen geschlossen wurde, verwendete Beuys Teile des Inventars – einen Trichter, Bodenplatten, Anschlagbretter, Kästen und Keile – für „vor dem Aufbruch aus Lager I“: Der Mensch als Handelnder, Schaffender und als Künstler steht im Mittelpunkt. Auf der Schultafel, die sich als neuer Gegenstand zu den Büromaterialien hinzugesellte, komprimierte Beuys sein künstlerisches Manifest: Ein chaotisches Liniengewirr als Symbol der organischen Energiequelle Fett mündet mittig in einer dynamischen Spiralform und schließlich in einer festen Figur, dem Tetraeder. „Wille“, „Seele/Gefühl“ und „Denken“ schrieb er dazu. Beuys’ Installation gilt als eine politische Allegorie auf die Gegenwart, auf seinen eigenen Schöpferweg als Künstler mit pädagogischem, politischem und kunsttheoretischem Impetus. Fast gleichzeitig, München 1979: Joseph Beuys’ Environment „zeige deine Wunde“, sein Werk über den leidenden und sterbenden Menschen, findet Einzug im Münchner Lenbachhaus, das Haus lässt damit seine zwar exquisite aber regionale künstlerische Ausrichtung hinter sich. Ein Glücksfall, dass nun 33 Jahre später aus Privatbesitz Beuys’ Werk „vor dem Aufbruch aus Lager I“ – als Antithese zur Leidens- und Todesvision „zeige deine Wunde“ – in das Lenbachhaus gelangt.

Späte Ankunft in Dresden

Jakob Philipp Hackert, Tempel der Sibylle bei Tivoli, 1770er Jahre, 45 × 56 cm; Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden
Jakob Philipp Hackert, Tempel der Sibylle bei Tivoli, 1770er Jahre, 45 × 56 cm; Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden

Schon Ende des 18. Jahrhunderts genoss die Dresdner Gemäldegalerie den Ruf, den „reichste[n] Schatz von Europa“ zu beherbergen. Denn durch großartige Erwerbungen in den 1740er Jahren hatte die Sammlung Weltrang erreicht, aus Prag und aus Modena, aber auch aus Paris und Venedig kamen die Bilder. Bis heute spiegelt die Gemäldegalerie Alte Meister mit ihrer ausgezeichneten Dichte an Werken der deutschen und europäischen Malerei des 18. Jahrhunderts die damalige Blütezeit der Residenzstadt. Doch diese endete jäh, als Dresden nach dem Siebenjährigen Krieg seine führende Position in Europa verlor: Große Künstler wie Bernardo Bellotto verließen die Stadt, denn wichtige Aufträge wurden nun andernorts vergeben. Auch die Zeit exquisiter Kunstankäufe war erst einmal passé – was um so bedauerlicher war, als Jakob Philipp Hackert gerade zum erfolgreichsten und bedeutendsten deutschen Landschaftsmaler avancierte. Von Rom aus hatte der Klassizist sich mit idealen Landschaftsbildern mit heroischen Bergen, lieblichen Flußauen und antikisch drappierter Staffage in ganz Europa einen Namen gemacht; sowohl der englische Landadel als auch der russische Zarenhof goutierten seine Werke. In der Dresdner Gemäldegalerie ist Hackert bis heute mit nur einer Landschaft nicht angemessen vertreten. Nach erfolgter Restitution ist den Staatlichen Kunstsammlungen nun in einer glücklichen Lösung gelungen, was vor mehr als 200 Jahren nicht möglich war: mit Hackerts „Tempel der Sibylle bei Tivoli“ ein Gemälde aus der Zeit des Aufstiegs des gefeierten Künstlers zu erwerben.

Das A und O der Romantik

Wiederentdeckter Entwurf zum Romananfang „Heinrich von Afterdingen“ von Novalis; Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main
Wiederentdeckter Entwurf zum Romananfang „Heinrich von Afterdingen“ von Novalis; Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main

Alle Papiere von der Hand des Novalis werde er ihm, dem Bruder des verstorbenen Dichters, senden, versprach der Physiker und Galvanist Johann Wilhelm Ritter in einem Brief vom 5. August 1808, „mit Ausnahme eines Blattes […]: das Brouillon von der Zueignung des Ofterdingen“, das man ihm als „Reliquie von dem Seeligen“ lassen möge. „Ich würde mich von diesem Blatt nicht scheiden können so wenig als von dem Andenken des Novalis selbst.“ Mehr als zweihundert Jahre lag der Verbleib der von Ritter zurückbehaltenen Handschrift im Dunkeln – und mit ihr der Anfang des Haupt- und Schlüsselwerks der deutschen Frühromantik, des „Heinrich von Ofterdingen“. Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck hatten den durch Novalis’ Tod 1801 fragmentarisch hinterlassenen Roman aus dessen Nachlass herausgegeben. Doch dass ihrer Textfassung nicht immer zu trauen ist, bestätigt nun das zweiseitig beschriebene „Brouillon“, dessen Auftauchen auf dem internationalen Kunstmarkt einer Sensation glich. In einem Album der englischen Dichterin Hope Fairfax Taylor wiederentdeckt, erhellt das Autograph mit den einleitenden Sonetten und einem Entwurf des Titelblatts Genese und Gestalt des Romananfangs und bestätigt, was andere Quellen bereits vermuten ließen: „Heinrich von Afterdingen“ sollte der Titelheld nach Novalis eigentlich heißen, doch Schlegel und Tieck änderten den Namen in die historisch ebenfalls belegte Variante „Ofterdingen“ ab. Und was im Erstdruck stand, sollte für die nachfolgenden Ausgaben verbindlich bleiben – bis heute. Die Novalis-Forschung erhält mit der Handschrift reichlich Material für neue Deutungen und Diskussionen um eines der zentralen Werke der Weltliteratur – und der im Freien Deutschen Hochstift bewahrte Novalis-Nachlass einen kapitalen Zuwachs. Denn dem Frankfurter Goethe-Haus ist es gelungen, das kostbare Blatt mitsamt dem Album noch vor seiner geplanten Verstei­gerung zu erwerben.

Sonntag, 5. Januar 1840

KSL_APT_1_2012_088
Tagebucheintrag Maximiliane von Arnims vom 5. Januar 1840; Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt/Main

„Dann erwischt ich ein Buch bei der Mutter, der Novalis, der mich so anzog, daß ich mich still hinsetzte und darin las; […] O Novalis dich in deiner Geistesschönheit erblicken von dir belehrt und geliebt zu werden; das ist der wahre Erdenhimmel“, schwärmte Maximiliane von Arnim nach der Lektüre von Novalis’ Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ in ihrem Tagebuch Anfang 1840. Diese bisher völlig unbekannten Aufzeichnungen der Tochter Bettina von Arnims tauchten jüngst auf einer Auktion auf und konnten zusammen mit weiteren wertvollen Handschriften der Romantik und der Goethezeit vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt erworben werden.  Im Umkreis der deutschen Romantikbewegung aufgewachsen, pflegte Maximiliane zeitlebens ihre Liebe zur Literatur: In ihrem Berliner Salon, den sie nach dem Tod ihres Mannes – dem preußischen Generalleutnant Graf von Oriola – führte, gaben sich Intellektuelle, Politiker und Künstler wie Hermann von Helmholtz, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Clara Schumann ein Stelldichein. Die zwei Tagebücher Maximiliane von Arnims (1818–1894) erweisen sich als eine der wenigen authentischen Quellen für das Zusammenleben der von Arnims im Berlin des Vormärzes. Der jetzt erworbene Autographenschatz erweitert die Sammlung des Deutschen Hochstifts u. a. aber auch um Briefe von Goethe und seiner Mutter und eine Gedichtreinschrift zum „West-östlichen Divan“ sowie – als eindrucksvolles Zeugnis aus der Anfangszeit der Romantik – Friedrich Schlegels Manuskript „Vom Verfalle der Griechischen Dichtkunst“.

Der inszenierte Freund

Wilhelm Bendz, Bildnis des Münchner Malers Wilhelm von Kaulbach, 1832, 92,5 × 79,5 cm; Museum Bad Arolsen
Wilhelm Bendz, Bildnis des Münchner Malers Wilhelm von Kaulbach, 1832, 92,5 × 79,5 cm; Museum Bad Arolsen

Geht dort in der Ferne über dem bergigen Land die Romantik unter? Schwaches Sonnenlicht stemmt sich noch tapfer gegen blau-schwarze Gewitterwolken; letzte Erinnerungen an eine Epoche werden wach, in der Mensch und Natur im schönsten Einklang zueinander fanden. Der romantischen Landschaft abgewandt, frontal und in strenger Haltung posiert der Maler Wilhelm von Kaulbach, ganz im Stil der biedermeierlichen Mode mit schwerem Mantel, hohem Kragen und Krawatte. Triumphiert hier vor düsterem Himmel das Biedermeier über die versinkende Romantik? Der dänische Maler Wilhelm Bendz (1804–1832) setzte seinen Künstlerfreund Kaulbach, den Schöpfer großer Wand- und Deckengemälde, jedenfalls recht zeitgemäß in Szene: Den Bildhintergrund ließ er allerdings seinen Malerfreund Christian Morgenstern, den Großvater des späteren Dichters selben Namens, gestalten; möglich, dass es auch deshalb zu diesem außergewöhnlichen Aufeinandertreffen zweier Epochen kam.  Fast ein wenig dämonisch blickt der junge, schmale Maler aus dem Schatten seiner breiten Hutkrempe eindringlich, aber auch unsicher in die neue Zeit. Doch ohne Grund: Kaum ein paar Jahre später war Kaulbach schon bayrischer Hofmaler, reüssierte mit seinen monumentalen Weltgeschichtsdarstellungen für das Neue Museum zu Berlin und wurde schließlich 1849 Direktor der Münchner Kunstakademie. Geboren wurde der Begründer der berühmten Künstlerfamilie Kaulbach im Jahr 1805 in Bad Arolsen. Das dortige Museum – u.a. auch in Kaulbachs Geburtshaus ansässig und auf die Malerfamilie spezialisiert – freut sich deshalb besonders, dass der Ankauf des Porträts für seine Sammlung jetzt gelang.