Fischers Friends

Contemporary art is postconceptual art“ – ebenso einfach wie einleuchtend hat Peter Osborne definiert, was unter zeitgenössischer Kunst zu verstehen sei. Der britische Philosoph weist der Konzeptkunst eine zentrale Bedeutung zu: Was immer heute als zeitgenössisch gelten kann, hat demnach den Konzeptualismus der 1960er Jahre wie einen Katalysator durchlaufen und hinterfragt sich, im Sinne des Konzeptualismus, als Kunst selbstkritisch. In jenen 60er Jahren wurde in der Tat noch einmal grundsätzlich neu verhandelt, was überhaupt als Kunst zu gelten habe. Aus einer tradierten Geltung heraus sollte sie sich nicht mehr begründen, womit Malerei, Skulptur, Zeichnung zwar nicht per se obsolet wurden – doch sahen sich die Künstler nicht mehr als Maler, Bildhauer, Zeichner, vielmehr entwickelten sie für jede Setzung eine jeweils eigene Form und bedienten sich, wenn erforderlich, nur mehr nach Bedarf des einzelnen Genres.

So filmt Bruce Nauman die nächtliche Atmosphäre in seinem verwaisten Atelier oder richtet die Video­kamera auf sich selbst, als er auf seiner texanischen Ranch einen Zaun errichtet: „Setting a Good Corner (Allegory & Metaphor)“. Was immer der Künstler tut, und sei es eine alltägliche Verrichtung wie jene, ein paar Pfosten in den Boden zu rammen, Draht dazwischen zu spannen und ein Tor einzuhängen – es wird kunstwürdig bzw. wird selbst zur Kunst. Douglas Huebler bietet als Kunstwerk ein Zertifikat zum Kauf. Hanne Darboven legt ausführliche, hermetische ­Archive an, Stanley Brouwn stellt einen Karteikartenschrank aus Metall mit 1001 Karten aus.

Hanne Darboven, Lohn- / Gehaltsliste für Monat Juli 1.–31., 25.7.1968, 1968, 50,5 × 45,5 × 2,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen; © Hanne Darboven Stiftung, Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies
Hanne Darboven, Lohn- / Gehaltsliste für Monat Juli 1.–31., 25.7.1968, 1968, 50,5 × 45,5 × 2,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen; © Hanne Darboven Stiftung, Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies

Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer verkörpert den konzeptuellen Aufbruch in der Kunst der 1960er Jahre in solchen exemplarischen Werken und Werkgruppen. Wie ein Scheinwerfer richtet sie sich auf die entscheidenden Jahre und hält prägende Momente in einer – auch persönlich motivierten – Auswahl fest. Das Konvolut entstand in der Auseinandersetzung und oft auch in jahrelangen Freundschaften mit den Künstlern der Galerie. Keineswegs basiert sie auf einer orthodoxen Vorstellung zeitgenössischer Kunst; den offenen, künstlerischen Geist verbürgen unterschiedliche Ansätze wie jene eines Robert Ryman, der die Malerei auf ihre ureigenen Bedingungen abklopfte, nämlich als Ding an der Wand mit allen seinen Bestandteilen, bis zur Aktionskunst von Gilbert & George im Zeichen einer Kunst für alle. Besonders in den frühen Jahren – um 1970 – zeichnet sich die Sammlung durch Klarheit und Stringenz aus, wobei sich die untrügliche Intuition für Qualität fraglos auch aus der Tatsache herleiten lässt, dass Konrad und Dorothee Fischer beide Künstler waren. „You are a fine fellow, an artist, not a stuffy dealer“, hat der Künstler Carl Andre zu Konrad Fischer bemerkt: Der sei ein Kollege, ein Künstler, kein spießiger Händler.

Fischer verfügte über einen besonderen sechsten Sinn, als es darum ging, die Relevanz neuer Ansätze wahrzunehmen. In den frühen 1960er Jahren hatte auch er mit einer eigenwilligen deutschen Ausprägung der Pop-Art gegen einen hehren, utopisch-modernis­tischen Anspruch von Malerei gestichelt, indem er Putzlappen, Geschenkpapiere, Handtücher und Tischdecken zum Motiv machte. Während er solche Muster aber in seiner eigenen Malerei bald als ausgeschöpft sah, erkannte er das serielle Prinzip in der Minimal Art als substanzielle Option – allen voran bei Carl Andre, dem Künstler, mit dem er im Oktober 1967 seine Galerie eröffnete und so eine enge freundschaftliche Verbindung von Galerist und Künstler eingehen sollte. Jenes „5 × 20 Altstadt Rectangle“ mit hundert Platten aus Walzstahl, das das Publikum mit der Minimal Art konfrontierte, eliminierte nicht nur jegliches plastische Volumen der Skulptur, es unterlief darüber hinaus auch die üblichen Erwartungen an Kunst – für viele Galeriebesucher war sie als solche gar nicht erkennbar, wenn sie das Ensemble der Bodenplatten in der Galerie in der Düsseldorfer Altstadt betraten.

Man müsse seinen Geist verarmen lassen: Das sei echte Befreiung, befand Andre. Sie führte ihn dazu, „Materialien der Gesellschaft in einer Form zu verwenden, in der sie die Gesellschaft nicht verwendet“. Mit der am Boden sich ausbreitenden Fläche wie in der frühen Arbeit „Copper-Magnesium Alloy Square“ von 1969 schuf Andre einen eigenen Typus flacher Skulptur, mit der er auf die in den Himmel aufragende „Endlose Säule“ von Constantin Brâncuși aus dem Jahr 1937 reagierte. Den Raum der Skulptur hatte Andre regelrecht „herausgepresst“, wie die Kunsthistorikerin Rosalind Krauss schrieb. Dafür, bemerkte Andre, „trägt jede Arbeit eine Säule aus Luft, die bis zum oberen Rand der Atmosphäre reicht“. Die persönliche Handschrift auszublenden, den Anschein von Meisterschaft, gar Genie auszublenden – diese Intention verbindet zahlreiche Werke und Ansätze der Sammlung Fischer. Richard Long zog es in die Natur. Dort lief er so lange auf einer geraden Linie über eine Wiese hin und zurück, bis daraus eine Zeichnung auf dem Rasen entstand; ein Foto überliefert solche Land-Art. Diese trug der Brite in den Galerieraum, indem er den Boden mit Steinen, Weidenstöcken und Reisig bedeckte. Sol LeWitt beauftragte seine Assistenten, die von ihm erdachten Wandzeichnungen zu realisieren. Fred Sandback wiederum spannte Schnüre straff in den Raum und zerteilte diesen in der Reduktion auf minimale Mittel.

Solchen autonomen Setzungen stehen Werke mit autobiographischen Momenten gegenüber. Eine in Leben und persönlicher Biographie verankerte Konzeptkunst manifestiert sich in der Sammlung Dorothee und Konrad Fischer im Werk On Kawaras. Erworben hatten die Galeristen bedeutende Werke des japanischen Künstlers in New York wie dessen Serie „I Got Up“ mit Ansichtskarten, die, adressiert an die Galerie Konrad Fischer, den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juli 1969 komplett abdecken. Wie die Telegramme, die Kawara in den späten Sechzigern mit dem Hinweis „I am still alive“ an unterschiedliche Adressaten versandte, handelt es sich um Chiffren von Existenz, die ein hohes Maß an Imagination freisetzen und das Paradoxon einer Erinnerung an einen Alltag ermög­lichen, den man selbst nicht erlebt hat. Das gilt auch für Kawaras „Today Series“: Seit dem 4. Januar 1966 hatte der Künstler (fast) jeden Tag ein Bild gemalt, das das jeweilige Datum zeigt (siehe auch Arsprototo 3/2014). In selbstauferlegter Konsequenz stellte er diese Arbeiten bis Mitternacht fertig – oder vernichtete sie. In der Schreibweise des Ortes malte er das Datum auf einfarbigem Grund und schuf damit entleerte, von allem Ereignis gereinigte Erinnerungsbilder. Die gedämpften Farben mischte er jeden Tag eigens neu an, weshalb kein Rot, Grau, Braun oder Blau eines Date Painting mit einem anderen identisch ist. In der Ver­zahnung der Daten mit dem monochromen Grund entstanden ebenso konkrete wie abstrakte Bilder, die Kawara in Kartons mit der Titelseite der Tageszeitung des Erscheinungsorts aufbewahrte. Mit dem Anwachsen der „Today“-Serie verdichtete sich die Ahnung, dass jedes fertige Date Painting immer schon das letzte sein  konnte. On  Kawara  starb  am 10. Juli 2014  in New York.

On Kawara, NOV.3, 1996, 1996, aus Today Series (1966 – 2013), 20,5 × 25,5 × 4,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen; © The Estate of On Kawara / Foto: Achim Kukulies
On Kawara, NOV.3, 1996, 1996, aus Today Series (1966 – 2013), 20,5 × 25,5 × 4,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen; © The Estate of On Kawara / Foto: Achim Kukulies

Was das Galeristen-Ehepaar Fischer für sich selbst erwarb – oft auch nach Verkäufen aus eigenen Aus­stellungen später zurückkaufte –, bezeugt in all diesen Arbeiten exemplarisch einen bis heute virulenten Paradigmenwechsel in der Kunst des späteren 20. Jahrhunderts. Mag die Galerie auch mit vielen später hinzugekommenen Künstlern wie Paloma Varga Weisz, Thomas Schütte oder Gregor Schneider richtig gelegen haben, so liegt die Bedeutung der Sammlung Fischer vorrangig in den Avantgarden von Minimal Art und Conceptual Art. Die Kunstsammlung Nordrhein-West­falen schließt mit dem Erwerb eine beträchtliche Lücke in ihren Beständen. Als Zugabe erhält sie, nicht zu vergessen, das Archiv der Galerie, nachdem jenes der anderen legendären Düsseldorfer Galerie – der Galerie Alfred Schmela – vor einigen Jahren ans Getty Research Institute gegangen war. Derzeit wird das Archiv der Galerie Konrad Fischer komplett digitalisiert. Eine Besonderheit liegt bei vielen Archivalien in der Durchdringung von Werk und Dokument. Als sie die Ausstellung „Wolke & Kristall“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einrichteten, war den Kuratoren der Kunstsammlung aufgefallen, dass viele Zeichnungen, die sie als Anweisungen im Archiv vorfanden, ebenso gut gerahmt als Kunstwerke an der Wand hängen könnten, wie sie umgekehrt zahlreiche Zeichnungen, die nun an der Wand hängen, ebenso gut als Dokumente ins Archiv geben könnten. Darin bekundet sich dessen künstlerischer Einschlag. Es ist ein Glücksfall, dass Archiv und Sammlung nicht nur zusammen, sondern im Rheinland auch dem Ort erhalten bleiben, an dem sie entstanden.

Förderer dieser Erwerbung:
Kulturstiftung der Länder, Land Nordrhein-Westfalen, Ernst von Siemens Kunststiftung, Kunststiftung NRW, Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung NRW und weitere Stifter

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf
Telefon 0211-83 81-204
Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa, So 11 – 18 Uhr
www.kunstsammlung.de

Die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ ist noch bis zum 8.1.2017 zu sehen.