Sagenhafte Badegäste

Die Gunst des römischen Hochadels – für den aus dem Burgund stammenden Bildhauer Pierre Étienne Monnot (1657–1733) war sie der entscheidende Karriereschub im Rom des späten 17. Jahrhunderts: Protegiert durch den Prinzen Livio Odescalchi, dessen Familie u. a. durch Bankgeschäfte zu Reichtum gekommen war, gelang es dem Künstler Monnot, sich als einer der führenden Bildhauer der ewigen Stadt zu etablieren. Er schuf das Grabmal für Papst Innozenz XI. und zwei monumentale Apostel für die Lateranbasilika in Rom. Nach dem Tod seines Förderers 1713 folgte Monnot einem Ruf des Landgrafen Carl von Hessen-Kassel, um die Innenausstattung des prachtvollen „Marmorbads“ in der Kasseler Karls­­aue zu entwerfen und zu vollenden: Zwölf marmorne Skulpturen und acht großformatige Reliefs schuf Monnot für das prächtige Schaubad neben der Sommerresidenz der Landgrafen. Als der Bildhauer 1733 starb, erwarb die römische Adelsfamilie Odescalchi aus dem Nachlass Monnots vermutlich u. a. zwei Terrakotta-Statuetten: „Paris“ (Höhe 63 cm) und „Bacchantin“ (Höhe 66 cm), Vorstudien für die weltberühmten Figuren des „Marmorbads“. Die beiden Modelle konnten nun aus dem Kunsthandel für das Hessische Landesmuseum angekauft werden, neben der Kulturstiftung der Länder unterstützten das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die Hessische Kulturstiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung die Neuerwerbung.

Pierre Étienne Monnot, Paris und Bacchantin, zwischen 1692 und 1714 in Rom entstanden, vergoldete Terrakotten, Höhe 63 und 66 cm, Hessisches Landesmuseum Kassel © Trinity Fine Art LTD, Foto: Andrea Bacchi
Pierre Étienne Monnot, Paris und Bacchantin, zwischen 1692 und 1714 in Rom entstanden, vergoldete Terrakotten, Höhe 63 und 66 cm, Hessisches Landesmuseum Kassel © Trinity Fine Art LTD, Foto: Andrea Bacchi

Die beiden Terrakotten verblieben bis zum Tode Monnots in dessen Werkstatt, wo sie dem Künstler zur Ausbildung junger Gehilfen sowie als künstlerisches Gedächtnis dienten. Sie zählen zu den fünf erhaltenen rundplastischen Bozzetti aus der Hand des Meisters. Der Fachwelt bis dahin unbekannt, tauchten die Modelle überraschend 2013 wieder auf dem Kunstmarkt auf. Der Bozzetto, ein speziell angefertigtes Werkmodell aus meist leicht zu bearbeitenden Materialien, war in der italienischen Bildhauerei seit dem späten 15. Jahrhundert gebräuchlich, erlebte seine Hochzeit im Barock. Änderungswünsche der Auftraggeber, eine oftmals größere Endfassung und materielle Anpassungen führten dazu, dass diese Vorversionen häufig mehr über die künstlerische Intention preisgaben als die finale Ausarbeitung. Bei der vorliegenden Erwerbung kommt hinzu, dass Monnots fertiggestellte marmorne „Bacchantin“ heute kopflos ist und nun wieder ein Gesicht erhält.

Pierre Étienne Monnot erreichte mit dem „Marmorbad“ seinen künstlerischen Zenit: In Kassel erschuf er ein Meisterwerk barocker Residenzkultur. Die überschwängliche figürliche Ausstattung mit Statuen und Reliefs aus edlem Carrara-Marmor zeigt das extreme Repräsentationsbedürfnis des Landgrafen von Hessen-Kassel. Die Skulpturen der griechischen Mythologie, Ovids „Metamorphosen“ entlehnt, tummeln sich im Schaubad vor kunstvoll gestaltetem Hintergrund. Neben den weiteren Statuen der sagenhaften Zusammenkunft des Marmorbads, u. a. „Apollon“, „Venus“ und „Narziss“, haben sich in der Kasseler Sammlung zudem Marmorbüsten des Auftraggebers Landgraf Carl nebst Gattin Maria Amalia von Kurland erhalten.

Neben ihrer künstlerischen Bedeutung bestechen die nun erworbenen Statuetten auch durch ihren Wert als dokumentarische Zeugnisse. Die Terrakotten, deren marmorne Endfassungen und die ab November 2016 in neugestalteter Ausstellung präsentierten acht Wachsmodelle der Reliefs illustrieren den langjährigen Schaffensprozess des kostbaren Marmorbads: So stabilisierte Monnot die „Bacchantin“ in der vollendeten Skulptur an einem Baumstamm, wohingegen sie sich im Bozzetto noch in freier Tanzpose präsentiert. In der Marmorfassung wiederum gewinnt die „Bacchantin“ dank der expressiveren Gestaltung ihres wehenden Gewandes im Vergleich zum Bozzetto eine größere Dynamik. Monnot unterhielt während der gesamten Badgestaltung weiterhin seine Werkstatt in der italienischen Metropole, insofern verspricht die Kasseler Neupräsentation hohen Erkenntniswert auch für die Erforschung des römischen Barocks. Der Museumslandschaft Hessen Kassel gelingt es nun in seltener Vollständigkeit, alle Stadien der Werkgenese des einzigartigen Schaubads zu zeigen.