Ein Schiff wird bleiben

An Deck des kleinen Trinkschiffs geht es hoch her, mit Krummsäbeln, Hellebarden und Kanonen trutzt die Besatzung einem unbestimmten Angreifer, sucht das eigene Schiff im Gefecht zu verteidigen. Der Ulmer Meister Hans Ludwig Kienlin d.Ä. (1591–1653) trieb aus teilweise vergoldetem Silber ein außergewöhnliches Trinkgefäß in Form eines Schiffs, auf dem eine wilde Schlacht in Miniatur tobt. Dekorativer Tafelschmuck und Spielerei für gesellige Runden zugleich, unterhielt das auf 1650 datierte Werk der Silberschmiedekunst als exquisites Kuriosum große Tischgesellschaften: Beim Festmahl füllte man den mit Rädern versehenen Schiffsrumpf mit Wein und rollte das rund 20 cm lange und 18 cm hohe Schiffchen zur allgemeinen Erheiterung über den Tisch; derjenige Gast, vor dem das Gefährt stehenblieb, musste es in einem Zug durch das am Bug angebrachte Rohr leeren. Seit fast 80 Jahren gehört das Trinkschiff zum Sammlungsbestand des Ulmer Museums, wo es die Kunstfertigkeit seines Schöpfers dokumentiert. Kienlin versah das Schiff mit Mast und filigranem Tauwerk, ziselierte Blüten, Ranken und Blattwerk in den Schiffskörper und verlieh der Schlachtszene an Bord eine außerordentliche Detailfülle.
Das Ankaufsjahr 1937 verweist jedoch auf die tragischen Hintergründe des Erwerbs der Kleinskulptur: Das Trinkschiff war Teil der privaten Kunstsammlung des in Hamburg ansässigen jüdischen Ehepaars Budge. Nach Henry Budges Tod im Jahr 1928 plante seine Frau Emma, die gesammelten Kostbarkeiten zu großen Teilen ihrer Heimatstadt Hamburg zu vermachen. Sie änderte ihr Testament, als mit dem Nationalsozialismus in Deutschland die Verfolgung der Juden begann. Ein Schritt, der nicht verhindern sollte, dass die aus rund 2.000 Kunstwerken und kunsthandwerklichen Gegenständen bestehende Sammlung nach Emma Budges Tod im Jahre 1937 in falsche Hände geriet: An den rechtmäßigen Erben vorbei veräußerte der Kunstversteigerer Hans W. Lange im Berliner Auktionshaus Paul Graupe die Werke aus dem Budge-Nachlass weit unter ihrem eigentlichen Wert. Das Trinkschiff erstand der damalige Ulmer Kulturbeauftragte Carl Kraus für das Ulmer Museum. Den Erlös der Auktion behielt das Deutsche Reich ein, die Erben erhielten nichts. Die NS-Behörden pressten den teilweise ins Ausland geflohenen Budge-Erben zudem einen Großteil der Guthaben ab, die in der Schweiz deponiert worden waren. Mit Hilfe eines 1939 vom Gau Hamburg eingesetzten Nachlassverwalters konnte die Hansestadt schließlich auch das an der Innenalster gelegene Palais der Budges weit unter Wert für 305 000 Reichsmark übernehmen, abermals ging nichts davon an die Erben. Mit Henry Budges Neffen Siegfried und dessen Gattin Ella mussten die letzten Bewohner das Palais anschließend verlassen. Siegfried Budge starb 1941, seine Frau kam 1943 im KZ Theresienstadt um.

Gemäß einer gerechten und fairen Lösung, wie sie die Washingtoner Erklärung von 1998 vorsieht, entschied sich das Ulmer Museum nun zur Rückgabe des Trinkschiffs an die Erbengemeinschaft nach Emma Budge. Anschließend an die Restitution konnte das Museum das Trinkschiff von der Erbengemeinschaft erwerben. Zugleich restituiert das Museum an die Erben ein Paar vergoldeter Silber-Trinkgefäße in Form eines Hahns und einer Henne, das ebenfalls der Kunstgewerbe-Sammlung der Familie Budge entstammt. Ebenso wie das Trinkschiff auf der Versteigerung 1937 in Berlin verauktioniert, fanden Hahn und Henne – ohne Kenntnis ihrer Provenienz – erst in den 1980er Jahren Eingang in den Bestand des Ulmer Museums.

Die Kulturstiftung der Länder unterstützte neben der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Stadt Ulm die Ausgleichslösung mit den Erben und ermöglicht somit den Erhalt des kostbaren Trinkschiffs für das Ulmer Museum. Restitutionsfälle in Zusammenhang mit der enteigneten Sammlung Budge beschäftigen die Kulturstiftung der Länder schon seit Jahren: 2012 konnte die Meissner Statuette eines Feldherren aus Böttgersteingut aus dem frühen 18. Jahrhundert für das Staatliche Museum Schwerin angekauft werden. Das Historische Museum Bamberg erwarb 2014 im Rahmen einer fairen und gerechten Lösung den Schönborn’schen Löwenpokal von 1712, der 1937 ebenfalls verauktioniert worden war.